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Schweizer Neue Sachlichkeit
Leere Bildwelten, einsame Objekte

Große Nüchternheit und fast fotografische Lakonie: Zwar war die Schweizer Neue Sachlichkeit nicht so politisch und so spektakulär wie die Deutsche mit Otto Dix, stilistisch allerdings mehr als verwandt. Eine Ausstellung in Winterthur widmet sich diesem kaum bekannten Kapitel der Kunstgeschichte.

Von Christian Gampert |
    Ein Museumsbesucher steht vor einem Bild.
    Ausstellung im Museum der Moderne in Winterthur. (imago / Manfred Siebinger)
    Die Schweizer Neue Sachlichkeit war nicht so politisch und so spektakulär wie Otto Dix mit seinen grellen Großstadtszenen, mit seinen Bettlern, Huren und Wirtschaftsbonzen. Die Schweiz lag abseits des Kriegsgeschehens, es gab Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise, aber nicht jenes Berliner Nachkriegs-Elend und Amüsiergehabe, an dem Dix sich berauschte.
    Die Schweizer Künstler waren folglich an anderen Themen interessiert. Man malte, um das gleich mal landestypisch auf die Spitze zu treiben, bisweilen auch Raben und Elstern vor trüber Winterlandschaft - wie der scheinnaive Henri-Rousseau-Nachfahre Adolf Dietrich - oder Kühe und Schafe vor einem Wasserfall wie der ursprünglich mal expressionistische Edmund Gubler.
    Große Nüchternheit
    Stilistisch allerdings sind die Schweizer den Deutschen mehr als verwandt: große Nüchternheit und fast fotografische Lakonie in der Darstellung, reduzierte, leere Bildwelten, einsame Objekte, die von scharfen Linien eingefasst werden. Schonungslose, maskenhafte Künstler-Portraits, abgearbeitete Bauern mit Händen wie von Dürer, völlig reduzierte Stillleben - da kommt auch eine soziale Stimmung durch.
    Gemeinsam ist all diesen Bildern, dass sie fast altmeisterlich gemalt sind, ohne Emotion, ganz auf das Objekt konzentriert.
    "Grundsätzlich kann man sagen, dass die Schweiz wie eine eigenständige Ausprägung der Neuen Sachlichkeit, unabhängig auch von Deutschland, sich entwickelt hat", sagt Kurator Daniel Schmidhauser.
    Abwendung von Kubismus und Abstraktion
    Es lag also was in der Luft, und dieses Etwas war die Abwendung von Kubismus und Abstraktion - obgleich manche der Schweizer Maler durch diese Schule gegangen sind. Der großformatige, im Bild von großstädtischen Voyeuren beäugte gelbe "Luna"-Frauenakt von Wilhelm Schmid trägt noch kubistische Züge.
    Das Politische kommt bei den Schweizern eher hinterrücks ins Bild - als große Tristesse etwa bei dem bekanntesten neusachlichen Schweizer Maler Niklaus Stoecklin, der in fliehender Perspektive einsame Menschen vor Fabrikschloten zeigt, links der Friedhof, rechts die Fabrik.
    Stoecklin war der einzige Ausländer, der von Felix Hartlaub 1925 zur großen neusachlichen Übersichtsschau in die Mannheimer Kunsthalle geladen wurde. Und Stoecklin ist auch in Winterthur die prägende Figur.
    "Weil er, kurz gesagt, der beste Maler war von allen. Aber vor allem auch, weil er sehr früh das neusachliche Element für sich entdeckt hat, fruchtbar gemacht hat, ohne unpolitisch zu sein, aber ohne auch direkt aggressiv zu sein. Eine Mischung aus beidem. Typisch schweizerische Kompromisse, wenn man so will."
    Niklaus Stoecklin und Francois Barraud
    Noch nie ist die Schweizer Neue Sachlichkeit so umfassend dargestellt worden - ein Versäumnis, das jetzt mit dieser etwas frugal inszenierten, aber dafür kunsthistorisch sehr lehrreichen Schau in Winterthur gutgemacht wird. Denn die Schweizer Neue Sachlichkeit hat mit Niklaus Stoecklin und Francois Barraud zwei große Maler hervorgebracht.
    Der frühverstorbene Westschweizer Barraud stand unter dem Einfluß der französischen Klassik. Seine traurigen, leeren, ungeheuer virtuosen Portraits und Akte sind an Ingres geschult, während andere Westschweizer die voluminösen Picasso-Körper zu zitieren scheinen.
    Stoecklin dagegen ist schon als Werbegraphiker von großer Eindringlichkeit und schafft als Maler fahle Stimmungen. Leider fehlt sein bestes Werk, der im Ersten Weltkrieg umkämpfte "Hartmannsweiler Kopf" in den Vogesen, den er kahl wie den Mond darstellt. Aber sein "Eisweiher bei Kleinriehen", seine Gliederpuppen, geometrisierten Selbstportraits, Chemie-Laboratorien und Spielzeug-ähnlichen Landschaften sind von vollendeter Melancholie. Und sein Basler Fasnetsumzug von 1925, "Buebezigli", vermittelt mit leuchtenden Farben die Magie des Unheimlichen.
    Dass die Schweizer Künstler auch politisch dachten, zeigt dann Theodor Barths "Streikredner" - vor einer Menschenmenge mit Hüten ganz fotografisch konzipiert. Und die Bordellszenen des Zeichners Johannes Schürch feiern das Ordinäre und Häßliche - da knüpft die Ausstellung dann doch noch an Otto Dix an.
    "Neu. Sachlich. Schweiz. - Malerei der Neuen Sachlichkeit in der Schweiz" - Ausstellung im Museum Oskar Reinhart in Winterthur. 2. September 2017 - 14. Januar 2018