Archiv


Schwer erschüttert

Am 20. Mai bebte in der norditalienischen Region Emilia Romagna die Erde. Einige Tage später folgte dort wieder ein schweres Erdbeben. 26 Menschen kamen ums Leben. Die Nachbeben halten nach wie vor an, zerstörte Firmen können nichts mehr herstellen. Viele Menschen leben immer noch in Zelten.

Von Tilmann Kleinjung |
    Als vor drei Jahren ein Erdbeben die Abruzzenstadt L’Aquila zerstörte, rief der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Menschen in den Zeltstädten zu: Nehmt es einfach als Campingurlaub. An diesen dummen Spruch fühlt man sich auch in Mirandola unfreiwillig erinnert. Auf einem Parkplatz hat der Zivilschutz ein kleines Dorf für 300 Obdachlose errichtet. Zwischen den blauen Zelten spielen Kinder, die Dorfbewohner ratschen miteinander und im Mensazelt verkündet ein freiwilliger Helfer das Menü des Tages.

    Lorenzo nimmt Pasta mit Erbsen und Schinken. Und auf die Frage, ob er es schlimm findet, nicht mehr zu Hause wohnen zu können, sagt der Achtjährige empört: Nein!

    Lorenzo findet es hier einfach nur "bellissimo", wunderschön und seine Mutter Marzela sagt: "Klar, er hat keine Geschwister und hier kann er mit anderen Kindern spielen."

    Sie dagegen würde diese provisorische Unterkunft am Liebsten so schnell wie möglich verlassen. Sie sehnt sich nach ihrem alten, ganz normalen Leben.

    "Mich nervt, dass ich nicht nach Hause kann und meinen Alltag leben kann, das Kind in der Schule, ich in die Arbeit, dann der Haushalt und abends ein kleiner Spaziergang, ein ganz normales Leben."

    Die Erdbeben am 20. und am 29. Mai haben das Leben von Marzela auf den Kopf gestellt. Ihre Firma, einer der zahlreichen Medizintechnikhersteller in Mirandola, musste erst einmal schließen, ihre Wohnung musste sie verlassen.

    "Eigentlich scheint mein Haus bewohnbar, es muss nur noch überprüft werden. Aber ich will draußen bleiben, da fühle ich mich sicherer."
    Ein Trauma hinterlässt seine Spuren. Auch mit diesen Folgen müssen die Menschen im Erdbebengebiet leben lernen. In der Zeltstadt des Zivilschutzes gibt es sogar einen eigenen psychologischen Dienst, der dabei hilft. Leiter Maurizio Garotti:

    "Dieses traumatische Ereignis hat den Alltag durchbrochen, das ist aktuell das größte Problem. Außerdem trauen sich viele nicht in gemauerte Häuser zurück."

    Es gibt auch ein Sprachproblem. In dieser Zeltstadt, erklärt Maurizio leben fast genauso viele Marokkaner wie Italiener, dazu noch Inder, Chinesen, Albaner, Rumänen. Die Vereinten Nationen von Mirandola, auf engstem Raum zum Zusammenleben gezwungen. Doch Probleme gab es bisher nicht, sagt Maurizio; selbst in den Zelten, in denen Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern zusammen leben.

    "Es gibt viel Bereitschaft, wieder loszulegen, gerade in dieser Gegend gibt es viel Engagement. Damit man wieder arbeiten kann und ein normales Leben führen kann."

    Das Erdbeben hat eine der wirtschaftsstärksten Regionen Italiens getroffen. Mirandola ist ein Zentrum der europäischen Medizintechnik. Zwei Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet, sagt der Bürgermeister von Mirandola, Maino Benatti stolz.

    "Dieses Beben hat vor allem die Produktionsstätten in die Knie gezwungen. Ca. 80 Prozent der Fabrikhallen sind zusammengebrochen. Also ein enormer Schaden für die Produktion."

    In diesen Tagen ist es vor allem die Hitze, die den Menschen zu schaffen macht. Tagsüber zeigt das Thermometer deutlich über 35 Grad an. Um es zumindest nachts auszuhalten wurden die Zelte mit Klimaanlagen ausgestattet. Alle reden übers Wetter. Nur der Bürgermeister von Mirandola sagt: "Wir haben doch ganz andere Sorgen."

    "Es ist doch einfach nur Sommer. So wie früher, also tun wir so, als wäre das ein ganz normaler Sommer."

    Mehr zum Thema bei dradio.de:
    Beben und kein Ende
    Italien liegt in einer tektonisch gefährlichen Lage *

    Tausende verlieren durch Erdbeben ihr Zuhause -
    Italienischer Präsident Monti sagt schnelle Hilfe für Norden des Landes zu *