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"Schwer zu glauben, dass wir keine Informationen über den Täterkreis haben"

"Ein Fall, der so eigentlich nicht hätte stattfinden dürfen in Deutschland", sagt André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, über die "Zwickauer Zelle". Man müsse man sich fragen, wie der Verfassungsschutz arbeite - und ob das noch zeitgemäß sei.

André Schulz im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.11.2011
    Martin Zagatta: Wie konnte das passieren, dass Rechtsextreme 13 Jahre lang unbehelligt schwerste Verbrechen begehen, dass sie reihenweise Ausländer ermorden, ohne dass die Sicherheitskräfte, ohne dass Polizei oder Geheimdienste Verdacht schöpfen? Zwei der Männer sind tot, gegen ihre mutmaßliche Komplizin wurde Haftbefehl erlassen, nun soll es einen weiteren Mann geben, der der Gruppe geholfen hat und der auch festgenommen wurde.
    Verbunden sind wir jetzt mit André Schulz, er ist der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Guten Tag, Herr Schulz.

    André Schulz: Hallo!

    Zagatta: Herr Schulz, da zieht eine rechtsextreme Gruppe über Jahre eine solche Blutspur durch Deutschland, ermordet Ausländer, offenbar unbehelligt und ohne in Verdacht zu geraten. Das hört sich doch an wie ein schlechter Krimi. Können Sie sich das irgendwie zusammenreimen, wie so etwas passieren kann in einem Land wie Deutschland?

    Schulz: Zum jetzigen Zeitpunkt ist das für uns auch schwer nachzuvollziehen, muss man sagen. Wir Kriminalbeamten haben uns die gleichen Fragen gestellt und normalerweise ist das nicht nachzuvollziehen, und deswegen fällt es uns insgesamt auch schwer zu glauben, dass wir keine Informationen über diesen Täterkreis haben.

    Zagatta: Sie vermuten, da wird noch mit falschen Karten gespielt?

    Schulz: Zum jetzigen Zeitpunkt sind das Vermutungen. Vermutungen, da möchte ich mich nicht dran beteiligen. Aber als Kriminalbeamter hat man seine Erfahrungen und in Deutschland, wie Sie schon richtig sagen, so eine Gruppierung unerkannt tätig werden zu lassen, das glaube ich nicht und da wird der Verfassungsschutz sicherlich noch ein paar Fragen beantworten müssen.

    Zagatta: Aus Krimis wissen wir zumindest, dass man bei Morden relativ schnell feststellen kann, ob sie mit ein und derselben Waffe begangen wurden. Dann kommt ein Kommissar und klärt das relativ schnell auf. Warum hat das in diesem Fall überhaupt nicht funktioniert?

    Schulz: Wir würden uns das wünschen, wenn das immer in 45 Minuten klappen würde. Das ist bei uns in der Alltagsarbeit doch wesentlich schwerer.

    Zagatta: Ja wir reden von Jahren!

    Schulz: Genau, auch wenn wir da schon sehr weit sind und auch gerade in der Waffentechnik. Wenn die getestet werden oder beschossen werden, heißt es ja beim BKA zum Beispiel, dann konnte man ja auch Tatzusammenhänge durchaus feststellen. Aber auch gerade in den sogenannten Dönermorden – und ich habe da mit Kollegen gesprochen, die in dieser Bosporus-Soko drin waren – waren zum Beispiel entsprechende Hinweise überhaupt nicht bekannt und man hat auch in dieser Richtung nicht ermittelt. Man hat natürlich immer in jedem Fall Hypothesen und bildet Hypothesen als Kriminalbeamter, muss sich natürlich, wenn es sich um ausländische Opfer handelt, immer hinterfragen, gibt es da auch einen ausländerfeindlichen Hintergrund. Aber dass es in diese Richtung geht, das war nicht bekannt und war auch gar kein Ansatz.

    Zagatta: Heißt das, Sie gehen davon aus, dass da diese Waffen oder die mutmaßlichen Waffen, dass das gar nicht miteinander abgeglichen wurde, die einzelnen Morde da?

    Schulz: Das sollte schon sein. Das kann ich jetzt nicht so sagen, weil ich die einzelnen Ermittlungsstände nicht kenne. Und das kann sich auch durchaus mal – das ist analog zum Beispiel zu Fingerabdrücken oder DNA-Treffern – ein Jahr oder Jahre hinziehen. Insgesamt ist diese Vorgehensweise aber außergewöhnlich, auch außergewöhnlich für Deutschland. So etwas gab es vorher in der Form nicht und da fragt man sich natürlich, gerade hinsichtlich, dass man von diesem Personenkreis überhaupt nichts auf dem Schirm haben sollte, das ist nicht nachzuvollziehen.

    Zagatta: Aber wäre das nicht die reinste Routine, also eigentlich 0815-Vorgehen, wenn da Ausländer in Deutschland ermordet werden, wenn es eine Serie gibt, dass man dann nach Möglichkeit die Tatwaffe vergleicht?

    Schulz: Das macht man auch im Regelfall. Wie gesagt, die Frage ist ja, inwieweit – und die Frage wurde ja schon gestellt – durchaus jemand vielleicht kein Interesse daran hatte, dass die Polizei so sehr ermitteln kann, oder durchaus mal die schützende Hand darüber gehalten hat. Das ist auch nicht auszuschließen.

    Zagatta: Das deutet doch darauf hin, Sie haben da schon einen weitgehenden Verdacht gegen den Verfassungsschutz?

    Schulz: Verdacht würde ich nicht äußern, aber es ist einfach so: Die Kriminalpolizei lebt auch ein Großteil von Erfahrungen und spätestens die Auffindesituation, auch schon mit den beiden erschossenen Tätern und dann die Explosion, schon die stimmt einen erfahrenen Beamten relativ merkwürdig, wo man sagt, eigentlich kein klassischer Fall, da stimmt irgendwas in dem Fall "nicht". Von daher wünschen sich die Kollegen natürlich, dass die Strukturen aufgeklärt werden, und ich bin da auch guter Hoffnung, dass die Kripo in Thüringen und auch das BKA die Ermittlungen in die Richtung führen wird. Aber der ganze Vorgang ist doch sehr merkwürdig.

    Zagatta: Herr Schulz, sehr merkwürdig ist das. Braucht man denn, wenn man da Waffen, wenn man Morde miteinander vergleichen will, mögliche Tatwaffen, braucht man denn da überhaupt den Verfassungsschutz? Das ist doch Polizeiarbeit.

    Schulz: Das sind Grundsatzfragen in Deutschland, inwieweit auch, wenn ich bedenke, welche Diskussionen die Polizei insgesamt zum Datenschutz und sonst was aushalten muss, auch gerade in der virtuellen Welt, zum Beispiel bei Vorratsdaten, da ist man ja immer am Pranger mehr oder weniger, dass man Daten haben möchte. Aber der Verfassungsschutz kann da natürlich auch rechtlich in ganz anderen Dimensionen arbeiten. Da ist die Frage insgesamt, die sich die Gesellschaft sicherlich mal stellen muss, auch inwieweit die Arbeit oder wie das auch zeitgemäß ist, der Verfassungsschutz, so wie er heute läuft, und gerade im defizitären Informationsaustausch, muss man dann auch ganz klar sagen, zwischen den LKAs und den Verfassungsschutzstellen.

    Zagatta: Ganz klar! Aber brauchen Sie denn dafür überhaupt? Also das ist doch eigentlich 0815-Ermittlung, so stelle ich mir das als Laie zumindest vor, wenn es da eine Mordserie gibt, dass man dann möglicherweise die Tatwaffen vergleicht. Warum brauche ich dazu einen Geheimdienst?

    Schulz: Braucht man gar nicht, macht die Polizei auch nicht und wir dürfen uns deren Methoden ja auch gar nicht bedienen. Wenn man so möchte, haben wir das ja gemacht, und deswegen konnte man überhaupt diesen Zusammenhang in Zusammenhang bringen und hatte man diese neun Taten in ganz Deutschland ja auch erkannt, dass es eine Serie ist, bei der die Taten mit ein und derselben Waffe begangen worden sind. Von daher arbeitet in diesem Fall natürlich auch gerade zur Auswertung von Waffen die Polizei, kann sie auch gar nicht mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten.

    Zagatta: Wie meinen Sie jetzt, dass da jetzt was anders geregelt werden muss? Muss das jetzt mit dem Verfassungsschutz besser abgestimmt werden? Werden Sie da in Ihrer Arbeit tatsächlich behindert?

    Schulz: Behindert kann man nicht sagen. Wenn wir keine Informationen haben und das nicht wissen, dann sind wir auch nicht behindert. Natürlich ist auch die Frage, Polizei darf Daten oder Informationen immer nur rechtmäßig und nach Recht und Gesetz erlangen. Es nützt uns also auch gar nichts, wenn wir zum Beispiel über Informationen verfügen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfasst worden sind. Die könnten wir zum Beispiel gar nicht verwenden. Aber insgesamt wird sicherlich die Diskussion – das ist der zweite Schritt nach der Aufklärung der Struktur der Taten – in die Richtung sein, wie weit Verfassungsschutz heute, ob die Zusammenarbeit so zeitgemäß ist, ob das gewollt ist, auch von der Gesellschaft, und ein weiterer Punkt ist dann sicherlich auch, über Parteiverbote zu sprechen, aber das ist alles noch in naher Ferne.

    Zagatta: Jetzt sollen in dem Haus der mutmaßlichen Täter ja sogenannte legale illegale Papiere gefunden worden sein. Das heißt, wahrscheinlich Pässe auf falsche Namen. Und der Verdacht besteht, dass die vom Verfassungsschutz stammen. Halten Sie so etwas für möglich, dass der Verfassungsschutz so weit geht?

    Schulz: Absolut denkbar, ja.

    Zagatta: Ja?

    Schulz: Durchaus ja.

    Zagatta: Ist das nicht höchst fragwürdig? Was wirft das für ein Licht auf unsere Ermittlungsbehörden?

    Schulz: Dazu müsste man jetzt genau die Hintergründe kennen. Es gibt ja auch durchaus Zeugenschutzprogramme der Länder, wo viele Möglichkeiten sind, um neue Identitäten zu verschaffen, und in diesem Fall wird man sicherlich die Papiere erst noch mal prüfen müssen, auch die Herkunft feststellen müssen und dann Fragen beantworten dürfen.

    Zagatta: Bei all diesen Fragen, die jetzt da im Raum stehen, kann man da jetzt schon sagen, dass der Verfassungsschutz, dass die Behörden da weitgehend versagt haben?

    Schulz: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt zu früh, solche Vermutungen aufzustellen. Es ist sehr ungewöhnlich und gerade mit der Distanz sind da sehr, sehr viele Fragen offen und im Raum. Es ist auf jeden Fall ein Fall, der so eigentlich nicht hätte stattfinden dürfen in Deutschland, und deswegen wundert es auch. Normalerweise hätten wir da Erkenntnisse und deswegen ist halt immer die Frage, warum hatten wir die nicht. Nun muss man natürlich auch nicht nur auf den Verfassungsschutz gucken, sondern auch auf die Kriminalpolizei selber, die Frage mit der Zielfahndung zum Beispiel, wie weit hatten die Informationen, wie weit waren die Fahndungsmaßnahmen gediehen, oder warum hat man das zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gemacht, oder hatte man überhaupt keine Hinweise. Das sind alles noch offene Fragen, aber die sehr interessant zu beantworten sind.

    Zagatta: Gehen Sie denn jetzt davon aus, oder müssen Sie jetzt fürchten, dass das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und damit natürlich auch in die Polizei durch diesen Vorfall, durch diese Vorfälle gewaltig erschüttert ist in Deutschland?

    Schulz: Zum jetzigen Zeitpunkt, denke ich, noch nicht, weil auch das, was die Medien transportieren, ja zum Großteil doch Vermutungen und Spekulationen sind. Das wird man sehen, wenn dann der Worst Case eintritt, also genau das, was wir auch nicht hoffen, dass es eintritt, Verstrickung oder auch gerade Handlungen vom Verfassungsschutz, die wir auch nicht akzeptieren können. Dann wäre das ein Bereich, wo man sagen muss, doch, hier sind schon die Grundfesten erschüttert und so möchten wir nicht arbeiten in Deutschland. Aber das müssen die Ermittlungen ergeben.

    Zagatta: André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Herr Schulz, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Schulz: Bitte.

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