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Schwere Vorwürfe gegen Pharmaindustrie

Die Bestechung von Medizinern und Apothekern ist nach Einschätzung des Branchenexperten Peter Schönhöfer in der Pharmaindustrie an der Tagesordnung. Die damit erzielten höheren Preise wiederum habe der Patient zu zahlen, sagte Schönhöfer, Mitherausgeber des Arznei-Telegramms, das Praktiken der pharmazeutischen Industrie kritisch unter die Lupe nimmt, anlässlich der Ermittlungen beim Unternehmen Ratiopharm.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Wer Geschenke als Nebenwirkung einsetzt, plant Risiken mit ein. Diese haben die Arzneimittelfirma Ratiopharm jetzt in der Gestalt von Ermittlern heimgesucht. Die Staatsanwaltschaft Ulm vermutet, das Unternehmen habe Ärzte durch Geld und Sachleistungen dazu angehalten, Medikamente von Ratiopharm zu verschreiben. Die Mediziner seien auf gut Deutsch geschmiert beziehungsweise bestochen worden. Die Wohnungen von 400 gegenwärtigen oder ehemaligen Außendienstmitarbeitern von Ratiopharm wurden durchsucht.

    Philipp Daniel Merkle, der seit Herbst 2005 das Unternehmen leitet, ist nach eigenen Worten nach wie vor an einer schnellen Aufklärung der Vorwürfe interessiert. Daher werde Ratiopharm die Staatsanwaltschaft bei ihren Untersuchungen wie auch schon bisher uneingeschränkt unterstützen, erklärte das Unternehmen und der Unternehmenschef.

    Am Telefon ist jetzt Professor Peter Schönhöfer, Mitherausgeber des Arznei-Telegramms, einer Publikation, die die Praktiken der pharmazeutischen Industrie kritisch unter die Lupe nimmt. Guten Tag!

    Peter Schönhöfer: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Schönhöfer, ist dieses Verhalten, was jetzt Ratiopharm vorgeworfen wird, üblich in der Branche?

    Schönhöfer: Leider ja. Es ist üblich, dass die Warenanbieter den Verordnern oder den Apothekern, also den Apotheken, Rabatte oder Gelder geben, um Verordnungen zu gewinnen. Die Ursache dafür ist die Innovationsschwäche der Pharmaindustrie. Sie kann keine neuen Produkte mehr in den Markt bringen. Also müssen alte verkauft werden, und dann bedient man sich halt des Instruments der Bestechung.

    Heinemann: Das heißt, der Wettbewerb der Anbieter richtet sich nicht mehr auf das Produkt, sondern auf den Schmierstoff?

    Schönhöfer: Nicht mehr auf die Qualität oder den Preis, sondern auf die Gewährung von Vorteilen.

    Heinemann: Ist das die Regel oder die Ausnahme?

    Schönhöfer: Das ist leider weitgehend die Usance geworden in der Pharmaindustrie. Das Marketing der Pharmaindustrie hat anscheinend verlernt, dass Wettbewerb heißt Kostenwettbewerb oder Qualitätswettbewerb. Die machen den Wettbewerb unter Vergünstigungen.

    Heinemann: Um welche Geschenke oder Zuwendungen geht es da im Einzelnen?

    Schönhöfer: Die Ärzte kriegen einen prozentualen Kickback von dem, was sie an Ratiopharm-Produkten verordnet haben. Und die Apotheker bekamen Naturalrabatte, also Rabatte, die dann sie entlohnten für die Auswahl der Produkte der Firma Ratiopharm.

    Heinemann: Aber die Apotheker können doch nur verkaufen, was die Ärzte verschreiben?

    Schönhöfer: Nicht nur. Sie können ja durch die Austauschmöglichkeit die Präparate bevorzugen, für die halt eben der Warenanbieter die besten Rabatte gibt.

    Heinemann: Und wer zahlt die Zeche, die Kasse oder der Patient?

    Schönhöfer: Wenn der Wettbewerb über den Preis nicht mehr funktioniert, werden die Sachen teurer für den Patienten, für die Kasse. Dieses geschieht, wenn man Rabatte gewährt und nicht die Preise senkt. Eine Senkung des Preises im Wettbewerb würde den Kassen und den Patienten zugute kommen. Eine Gewährung von Vorteilen an die Verordner bei höheren Preisen geht natürlich zu Lasten, das zahlt halt eben der Versicherte.

    Heinemann: Sind Ihnen, Herr Professor Schönhöfer, Fälle bekannt, bei denen sich Ärzte auch schon mal beschwert haben, wenn solche Bestechungsangebote gekommen sind?

    Schönhöfer: Die Mehrheit der Ärzte, würde ich sagen, verhält sich ehrlich. Deshalb ist ja die Strategie der Hersteller dann oft, nicht direkt Geld anzubieten, sondern so genannte Anwendungsbeobachtungen zu machen, um über diese Weise den Arzt pro Verordnung zu entlohnen. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, wie die Hersteller die Bestechung von Ärzten kultivieren. Alle diese Maßnahmen führen zur Verteuerung der Produkte. Es wird eben nicht Preiswettbewerb gemacht, sondern Vergünstigungswettbewerb.

    Heinemann: Wie reagiert in der Regel die Pharmaindustrie auf Bestechungsvorwürfe?

    Schönhöfer: Überhaupt nicht. Sie verschweigt das. Das haben wir ja auch im Fall von Ratiopharm gesehen. Die haben überhaupt nichts getan, erst als es aufgedeckt wurde. Dann hat die Staatsanwaltschaft Ulm zunächst gesagt, die Ärzte sind freie Unternehmer, die kann man nicht bestechen. Dann haben erst andere Staatsanwaltschaften das rechtliche Konstrukt der Vorteilsgewährung durchgesetzt, dass man auch solche, in freier Praxis tätigen Ärzte belangen kann.

    Heinemann: Ein Grund, sagten Sie eben, sei die Produktpalette oder die schwache Produktpalette der Unternehmen. Wie ist das zu erklären?

    Schönhöfer: Das liegt daran, dass die Firmen nichts Neues bringen, dass alte Produkte, auch Generika, also Produkte, deren Patentfrist ausgelaufen sind, untereinander konkurrieren. Das Logische wäre Preiswettbewerb, aber genau das wird nicht gemacht. Es werden Vergünstigungen gewährt und auf diese Weise die Produkte überteuert vertrieben. Das ist ja auch bei Ratiopharm der Fall gewesen. Ratiopharm war nicht das preiswerteste Unternehmen, sondern lag im Mittelfeld.

    Heinemann: Herr Professor Schönhöfer, wenn bei der Vermarktung gepfuscht wird, kann man sich dann wenigstens auf die Beipackzettel verlassen. Oder gibt es auch Beispiele dafür, dass etwa bei klinischen Studien geschwindelt wurde?

    Schönhöfer: Bei klinischen Studien wird mehr und mehr nicht nur geschummelt, sondern direkt gefälscht. Das ist ein zunehmendes Phänomen, was wir sehen, und das ist echt bedrängend, denn solche gefälschten Studiendaten führen ja zu Fehlentscheidungen in der Therapie. Aber genau das ist eine Strategie, die die Pharmaindustrie mehr und mehr benutzt. Man kann sich also auf die Studienergebnisse nicht mehr verlassen.

    Heinemann: Das heißt, dieser Schwindel passiert mit Wissen der Konzerne? Es sind nicht die Studienärzte, die da pfuschen?

    Schönhöfer: Das geschieht, wenn man sich die Studien anschaut, in Studien, die überwiegend gesponsert sind von der Pharmaindustrie und in denen zum großen Teil eben auch Mitarbeiter der Pharmaindustrie als Mitautoren genannt sind. Dann widerspricht es doch jedem Kenntnisstand, dass jemand, der bezahlt und dessen Mitarbeiter im Studienkomitee sitzen, von Fälschungen nichts weiß. Nein, nein, das ist abgesprochen.

    Heinemann: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

    Schönhöfer: Ja. Eine der Studien, die in der letzten Zeit aufgefallen sind, war die "Pro Aktiv"-Studie von der Firma Takeda, glaube ich. Diese Studie sollte beweisen, dass ein bestimmtes insulinähnlich wirkendes Mittel das Herz vor Schäden schützt. Die Ergebnisse kamen nicht so wie erwartet. Also wurde nachträglich eine Gruppe eingeführt, mit der man doch einen Vorteil nachweisen konnte. Dieses ist nach den Gesetzen einer gewissenhaften Studienführung nicht zulässig. Das beinhaltet eine Fälschung, eine Verfälschung von Ergebnissen.

    Heinemann: Weiße Kittel und schwarze Schafe. Professor Peter Schönhöfer, der Mitherausgeber des Arznei-Telegramms, war das im Gespräch. Dankeschön und auf Wiederhören.