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Schwerer Schlag für den Frieden

Aslan Maschadow galt als gemäßigt, doch der Kreml sah den ehemaligen Präsidenten Tschetscheniens als Terroristen an. Nun ist Maschadow vom russischen Geheimdienst getötet worden. Boris Dieckow, Leiter von Hilfsprojekten in der Kaukasus, sieht im Tod des gemäßigten Separatistenführers einen schweren Schlag für eine friedliche Entwicklung in der Krisenregion.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Am Telefon mitgehört hat Boris Dieckow, er leitet die Tschetschenien Projekte der Hilfsorganisation Cap Anamur. Tag, Herr Dieckow.

    Boris Dieckow: Guten Tag.

    Remme: Sie haben Aslan Maschadow persönlich kennengelernt. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

    Dieckow: Mich hat es sehr bewegt diese Nachricht, weil ich ihn als einen sehr ruhigen, einen sehr zurückhaltenden, einen sehr still wirkenden, einen ausgesprochen sympathischen Menschen erlebt habe. Ich habe ihn vier, fünf Mal dort getroffen, selber auch mit ihm sprechen können. Ich teile so die Einschätzung, dass das ein ganz schwerer Schlag ist für eine mögliche friedliche Entwicklung, denn er war sicherlich das, was man einen gemäßigten Menschen nennt, was man aus seiner Geschichte, was viele nicht wissen, dass er auch als Soldat im Baltikum zum Beispiel dort sehr eingetreten ist gegen eine militärische Lösung dort Ende der 80er Jahre, was gerade auch dem tschetschenischen Volk dann im Baltikum viele Sympathien gebracht hat.

    Remme: Wie passt dieses Bild, das Sie von ihm zeichnen, zu dem des Terroristen, als den ihn Moskau gerne sehen will?

    Dieckow: Da gibt es eigentlich so einen Spruch: Für den, der nur den Hammer kennt, ist jedes Problem ein Nagel. Das ist für die russische Seite eigentlich immer das aller Einfachste gewesen, in solchen ganz einfachen Schwarzweiß-Karikaturen zu leben. Letztlich war er rechtlich der letzte wirklich regulär gewählte Präsident, alles andere sind Fälschungen gewesen, nicht anerkannte Wahlen. Er war wirklich sehr beliebt dort in dem Land, man hat ihm, glaube ich, auch nicht die Chancen, die Gelegenheit gegeben, weil es eigentlich auch nie wirklich gewollt war. Es war eigentlich nie wirklich gewollt, dass man diesen Friedensweg so geht und das Bild, wir sehen ja das, was sie an Kommentaren auch so hatten, es gibt einfach die offizielle Meinung, die einfach von der Realität sehr, sehr weit abgehoben ist. Das Bild, was man dann dort in der offiziellen Meinung zeigt, das kann und darf einfach kein gutes sein.

    Remme: Fehlte ihm möglicherweise auch ausreichende Unterstützung in Tschetschenien selbst?

    Dieckow: Ihm fehlte sicherlich auch Unterstützung in Tschetschenien selber, das ist gar keine Frage, weil viele Leute auch ungeheuer müde sind. Man darf halt nicht vergessen, wie viel Leute dort in Trümmern leben und seit über zehn Jahren wirklich diesen unglaublichen Krieg dort über sich ergehen lassen müssen. Sie dürfen nicht vergessen, dass im letzten Jahr über 2000 Menschen in Tschetschenien spurlos verschwunden sind. Die sind nicht einfach bloß verschwunden, sondern ermordet. Da sind beide Seiten beteiligt, Russen wie Tschetschenen. Sicher hätte Maschadow auch jetzt nicht irgendeinen Frieden garantieren können, aber das war die einzige Chance auf tschetschenischer Seite, auf den man noch gehört hat. Man darf nicht vergessen, dass er einen Waffenstillstand verkündet hat, dem sich Bassajew eben auch angeschlossen hat. Wer will das jetzt machen? Omarow sicherlich nicht.

    Remme: Sie sind mehrfach in Tschetschenien gewesen, reisen dort demnächst wieder hin. Sie sagen die Menschen sind müde. Heißt das, dass sie auch gleichzeitig Sympathie für Menschen wie Bassajew vertreten, also für Leute, die den harten Kurs vertreten?

    Dieckow: Das ist eine Ambivalenz. Ich glaube, dass die Sympathien zum Teil nachgelassen haben, aber es gibt auch genügend Leute, man darf ja nicht vergessen, Menschen, die 1990 zehn Jahre alt waren, sind jetzt 25, die kennen nichts anderes. Da gibt es eine ganze Reihe von wirklichen Dogmatikern, richtigen Hardlinern und die haben sicherlich sehr große Sympathien für Bassajew nach wie vor noch. Der wird auch nach wie vor noch so seinen Rückhalt haben. Das ist ja alles schon sehr merkwürdig, zu einer Zeit, als jeder Journalist sich ins Flugzeug setzen konnte und mit dem Taxi nach Grosny oder wo hin auch immer fuhr, mit Bassajew zu sprechen, hatte der Geheimdienst nicht die Möglichkeit, Bassajew auszuschalten. Das ist einfach nur lächerlich, das zeigt eigentlich, dass das auch so ein Mensch ist, der gebraucht wird.

    Remme: Wenn Sie mal für einen Moment die Sichtweise Moskaus einnehmen. Kann dieser Tod Maschadows dann tatsächlich als Erfolg gewertet werden?

    Dieckow: Ja, aus der Ideologie und aus der Sicht Moskaus sicherlich. Aber wenn man das fern von allen Ideologien eben betrachtet, kann das kein Erfolg sein, weil ich die Einschätzung teile, es wird zu Terrorakten führen, weil Maschadow eben ein gemäßigter Mensch gewesen ist. Wer soll denn jetzt Bassajew oder Omarow oder wen auch immer mäßigen, wer soll das denn tun? Putin sicherlich nicht.

    Remme: Was weiß man über Omarow?

    Dieckow: Ich weiß nicht so furchtbar viel über ihn. Ich kenne eigentlich so die Einschätzung, die dort der Hermann Krause auch genannt hat. Aber ich weiß, dass Maschadow es auch nicht so furchtbar leicht hatte mit vielen Leuten, die da waren, aber er hatte einfach eine Autorität und das ist etwas, was Tschetschenen anerkennen. Die Autorität scheint Omarow auch zu haben gegenüber seinen Kämpfern und das, was da passiert, wird uns irgendwann hier noch mal wieder ereilen. Ich habe ja immer noch die große Furcht, dass es Tschetschenen gibt, die sich irgendwann einmal ein Kernkraftwerk vornehmen und dann werden wir alle etwas davon haben, dann wird uns dieser Konflikt schneller einholen als wir denken.

    Remme: Gibt es Indizien, die für einen Prozess jenseits des Terrors sprechen und sei es auch mittelfristig?

    Dieckow: Es gibt da nicht so furchtbar viel. Das Einzige, was es gibt, sind da Menschen, die dort leben. Es werden ja letztlich dort auch Kinder geboren und es finden Hochzeiten statt und das tut man ja nur, wenn man irgendwie eine Form von Optimismus hat. Aber in der Tendenz wird das ein sehr festgefressener Konflikt werden, aber es gab ja nach der Repression in Tschetschenien auch Kämpfe gegen Stalin und die letzten Kämpfer sind in den siebziger Jahren gegriffen worden. Da war der Krieg ja schon eine ganze Weile vorbei. Wer hier schnelle Lösungen jetzt erwartet, da ist nicht viel zu hoffen und auch in der Tendenz ist das alles wirklich eher ein ganz trostloses Bild.

    Remme: Gibt es denn möglicherweise Kontakte jenseits der hohen offiziellen Ebene zwischen Russen und Tschetschenen?

    Dieckow: Das habe ich nicht verfolgen können. Es gibt eine ganze Reihe von Kontakten zwischen Geschäftsleuten, auch zwischen Banditen, da sind sie sich viel einheitlicher, als man sich so denkt. Die einzige Chance, glaube ich, das in irgendeiner Form zu beeinflussen, wäre, in irgendeiner Form Einfluss auf Putin auszuüben, was aber, zugegebener Maßen, eben schwierig ist. Die reagieren ja nicht so auf Befehle, aber die Vernunft greift im Moment nicht so sehr viel Raum.

    Remme: Cap Anamur leistet ja humanitäre Arbeit in Tschetschenien, wenn Sie dies tun, dann ist das gefährlich und sie bedürfen doch irgendeiner Art von Schutz. Wer leistet diesen Schutz? Die Rebellen?

    Dieckow: Den Schutz leistet niemand. Tschetschenien ist das Land, wo am meisten humanitäre Helfer umgekommen sind und man muss sich das gut überlegen, was man tut, wie man es tut und es gibt ja andere Organisationen, die dann ständig stationiert sind dort im Nachbarland, in Inguschetien, aber eigentlich permanent ist dort niemand präsent, weil das einfach zu gefährlich ist. Also muss man sehen, dass man Projekte macht, die eigentlich auch so den humanitären Sinn erfüllen, die sich einfach tragen, ohne dass man selber anwesend ist. Wenn man es zum Beispiel schafft, das Kinderkrankenhaus aufzubauen, das durch die russische Armee in die Luft gesprengt wurde, dann funktioniert das. Wir haben das 1995 gemacht und die arbeiten immer noch mit den Geräten von damals. Dann weiß man auch, das war nicht umsonst, aber das Risiko ist schon wirklich sehr hoch.

    Remme: Boris Dieckow war das, er leitet die Tschetschenien Projekte der Hilfsorganisation Cap Anamur.