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Schwerpunktthema
Deutschland, deine Krankenhäuser

Sie dienten zur Versorgung der Kranken, Armen oder als Unterkunft für Pilger - Hospitäler im europäischen Mittelalter. Mönche oder Nonnen übernahmen die Pflege der Patienten.

Von Barbara Weber | 26.06.2014
    Archäologen haben auf dem Rathausplatz in der Kölner Innenstadt die Ruinen der mittelalterlichen Gebäude freigelegt, darunter Überreste von Synagoge, Kultbad, Hospital, Bäckerei, Tanz- und Hochzeitshaus.
    Die Ruinen eines mittelalterlichen Hospitals in der Kölner Innenstadt. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde."
    "Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden."
    Er ist die erste grundlegende Formulierung ärztlicher Ethik: der Eid des Hippokrates von Kos, benannt nach dem griechischen Arzt, der vermutlich zwischen 460 bis 370 v. Chr. lebte. Doch ob Hippokrates ihn wirklich so formulierte? Überliefert wurde er im 1.Jahrhundert n.Chr. von dem römischen Arzt Scribonius Largus. Auch wenn sich der Ursprung des Eides im Dunkel der Geschichte verliert, gilt das Versprechen bis heute als Referenzpunkt medizinischer Ethik.
    "Das Ideal hat es immer gegeben. Man hat den Arzt manchmal sogar als Schicksalsgefährten - Karl Jaspers spricht vom Schicksalsgefährten des Patienten - beschrieben, der Arzt, der den Patienten begleitet, die Cura, die Sorge um den Kranken, das war das leitende Ideal der Medizin", sagt Professor Giovanni Maio, Arzt und Philosoph, Lehrstuhl für Medizinethik der Universität Freiburg.
    "Heute ist ja nicht nur die Verunmöglichung des Ideals Realität, sondern heute wird das Ideal selber infrage gestellt. Heute kommen die Geschäftsführer und sagen, das ist doch gar nicht so wichtig, wichtig ist doch, dass ihr die betriebswirtschaftlichen Ziele erreicht. Wir haben im Grunde eine Umdefinierung der Ideale in der Medizin."
    Ist das so? Hat sich das Krankenhaus von einem Ort der Barmherzigkeit zu einer Stätte der Kapitalerzeugung gewandelt?
    Oder klaffte der Unterschied zwischen Ideal und Realität immer schon auseinander?
    Das derzeit älteste bekannte Krankenhaus ist ein römisches Militärlazarett aus dem Römerlager in Haltern in Westfalen. Es stammt aus der Zeit um Christi Geburt. In diesen sogenannten Valetudinarien gab es vom Operationssaal bis zum Krankenzimmer alles, was für die Behandlung eines Patienten damals benötigt wurde.
    Doch welches Motiv steckte hinter der staatlichen Fürsorge?
    Weniger humanitäre als vielmehr machtpolitische Aspekte bewegten Kaiser Augustus zur Gründung der Valetudinarien: Der Hintergrund für die medizinische Versorgung der Legionäre ist der Wandel der römischen Armee von einem Bewegungsheer zu einem Besatzungsheer. Durch die ärztliche Versorgung wollte der Herrscher die Attraktivität des Militärs erhöhen. Kein Soldat in der Peripherie sollte den Eindruck haben, er bleibe bei einer Verletzung unversorgt.
    Anders stellte sich die Situation in Hospitälern dar, meint Prof. Volker Hess, Medizinhistoriker an der Charité Berlin:
    "Im Wort Hospital steckt Hospes drin, der Gast. Hospitäler kommen auf im Nahen Osten, in Form des Gasthauses. Man kennt die Geschichte vom Samariter."
    "Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen."
    Lukas 10, 25-37
    "Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am anderen Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme."
    "Also diese Funktion der Betreuung und Versorgung Notleidender auf der Reise, nachher waren es Pilger, ist eine Wurzel des Hospitals, das heißt, es ist eine Einrichtung, die in erster Linie der Versorgung dient: Bettchen, Dach, etwas zu Essen, im Mittelalter dann noch ein würdevoller Tod, das heißt: ein Abendmahl, eine Segnung, ein anständiges Begräbnis, das ist das, was ein Hospital zu bieten hat. Dass bei diesem Komplettpaket, um das jetzt mal modern zu sagen, auch medizinische Betreuung dabei ist, versteht sich von selbst, aber sie ist nicht der alleinige Zweck, das heißt, es kommt ein Arzt vorbei, der kümmert sich auch, wenn jemand akut krank ist, aber das ist nicht der Zweck des Hospitals."
    In diesem Sinne hat das Hospital "eine soziale Funktion, die sich nicht auf die Behandlung von Kranken alleine konzentriert, sondern die dazu dient, in den nun entstehenden größeren Städten eine Lücke zu schließen der Versorgung, das heißt für alle jene Menschen, die aus welchen Gründen auch immer jetzt nicht in der Familie oder im Familienverband betreut werden, denen bietet ein Hospital Unterkunft, Versorgung, Pflege. Das sind Alte, Gebrechliche, Irre, Arme, Sieche, das ganze Spektrum."
    Die Versorgung Kranker in speziell dafür eingerichteten Häusern hat historisch betrachtet zwei Wurzeln: zum einen handfeste machtpolitische Motive, zum anderen aber auch mitmenschliche.
    Was die Behandlung anbelangt, galt bis in das 17. Jahrhundert hinein, was der römische Arzt Galenos von Pergamon im zweiten nachchristlichen Jahrhundert in über 400 Schriften festhielt. Er vereinigte die zu seiner Zeit konkurrierenden medizinischen Richtungen, die zum einen auf Hippokrates und seiner Lehre von den Gleichgewichten der Körpersäfte zurückging. Zum anderen basierte sie auf der alexandrinischen Medizin, die sich mit den festen Bestandteilen des Körpers beschäftigte. Deren Urheber haben möglicherweise als erste einen Menschen seziert, weshalb sie glaubten, dass die Symptome eines Patienten aus den Folgen anatomischer Veränderungen herrührten.
    Die Medizin aus dem arabischsprachigen Raum baute auf den antiken Vorstellungen auf, entwickelte sich jedoch weiter. Die Krankenhäuser boten eine Qualität, wie sie im Westen erst im 19. Jahrhundert wieder zu finden war. Volker Hess:
    "Es ist sicherlich so, dass im frühen Mittelalter die islamische Medizin, was den wissenschaftlichen Anspruch betrifft, weiter ist, und die Krankenhäuser, soviel ich das aus der weiteren Literatur kenne, einen medizinischeren Anspruch haben als die Hospitäler in Mitteleuropa und Westeuropa."
    Eine der Kliniken, die prototypisch für die Entwicklung des Krankenhauses der Neuzeit in Mitteleuropa steht, ist die Charité in Berlin.
    "Dieses Modell, das wir hier realisiert haben, zeigt die Charité etwa um 1768 in noch dem ursprünglichen Grundriss des Pesthauses, allerdings gibt es jetzt nicht zwei Stockwerke sondern 1727 wurde ein dritter Stock aufgesetzt."
    Professor Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, steht vor einem Modell:
    "Und dieses Stockwerk ist jetzt hier mit Beschriftungen näher ausgewiesen: Da geht es um die "Krätzige Weiberstube", die "Salivationsstube", es geht um die "Männer offen Schaden Stube", die "Weiber offen Schaden Stube" , die "Weiber Pflege Stube" So sind die originalen Beschreibungen und zeigen an, dass diese obere Etage nun insbesondere für die infizierten Kranken vorgesehen ist, die sollen dort oben - Salivation heißt eigentlich, der Speichelfluss wird provoziert durch Schwitzen - im Sinne der alten Humoralpathologie sollen hier die üblen Säfte aus den Körpern der Patienten regelrecht ausgetrieben werden, um dann letztendlich auch über das darüber sich befindende Dach nach oben abziehen zu können."
    Oder anders gesagt:
    "Man bringt nun die Armen, Kranken, Siechen, Lahmen, Gebrechlichen aus der Stadt in dieses Haus und versorgt sie dort, lässt sie arbeiten, also die Vorstellung ist: Wem etwas Gutes wird getan, der muss auch dafür etwas tun, das heißt, die Frauen werden in der Küche eingesetzt, die Männer sind beteiligt an einem mehr oder weniger landwirtschaftlichen Betrieb oder an kleineren Arbeiten. Also wer in irgendeiner Weise arbeiten kann, wird hinzugezogen, und das Ganze ist im Wesentlichen ein Hospital", welches natürlich in einer Abteilung auch Militärs behandelt, meint Volker Hess, denn das war die Ursprungsidee, die Friedrich Wilhelm I. mit dem Haus verknüpfte. Er nannte seine Einrichtung Charité.
    "Französisch ist damals die Lingua franca, heute würde man sagen nicht die Charité sondern Charity. Das gibt praktisch die Gemeinnützigkeit der Einrichtung an, sprich Mildtätigkeit, Güte."
    Nicht allein die Mildtätigkeit und die Versorgung verletzter Soldaten stehen im Mittelpunkt der Einrichtung, auch die Ausbildung der Militärärzte spielt eine zunehmend größere Rolle.
    "1713 bekommt Berlin ein anatomisches Theater. Wir würden heute sagen ein anatomisches Institut, allerdings nicht auf dem Gelände der Charité gelegen, sondern ganz zentral im damaligen aufgegebenen Marstallgebäude, dort, wo heute die Staatsbibliothek Unter den Linden lokalisiert ist", sagt Museumsdirektor Thomas Schnalke und deutet auf eine große Abbildung.
    "Dort hat man in einem Eckturm einen Hörsaal errichtet und im Zentrum des Hörsaals, das zeigen wir auch, befand sich ein Sektionstisch. Hier haben dann die Anatomen für die künftigen Militärärzte die Anatomie demonstriert. Nur die Leichname, die stammten dann im 18.Jahrhundert auch zu großen Teilen aus der Charité, also die verstorbenen mittellosen Armen wurden auch per königliches Dekret auf das Anatomische Theater hin dirigiert, wie es damals hieß, damit man dort die Anatomie des Menschen studieren konnte."
    "Die Lehre ist schon von Anfang an dabei", sagt Volker Hess. "Wir sind allerdings in einem Hospital, und in einem Hospital bildet man zu diesem Zeitpunkt keine Ärzte für das bürgerliche Publikum aus, nein, es werden Militärärzte dort ausgebildet, also erst Militärchirurgen, dann Militärärzte."
    "Man lernt im Hospital und dann auch im Krankenhaus - das soll jetzt nicht disqualifizierend sein - serielle Behandlung, das heißt, der Fieberkranke im Bett eins wird genauso behandelt wie der Fieberkranke im Bett drei und der im Bett sieben, und auf dem Wege entsteht natürlich auch ein bisschen klinische Wissenschaft: Man vergleicht, man guckt, man bildet Gruppen, man unterscheidet. Die Wissenschaft folgt zum einen der Ausbildung auf dem Fuß, zum zweiten wird sie dann im Zuge der Ausbildung nach Gründung der Universität", also ab 1810, "durch die Hintertür hineingeholt, als man einzelne Abteilungen, klinische Abteilungen für die Ausbildung der Militärchirurgen dann auch für die klinische Ausbildung für die Zivil-Medizinstudenten nutzt."
    Neben der Lehre setzt im 19. Jahrhundert massiv die Forschung ein.
    Wichtige Entwicklungen in der Medizin stehen mit der Charité in Verbindung, zum Beispiel die Zellforschung.
    Thomas Schnalke:
    "Das ist eigentlich die Definition des menschlichen Körpergewebes auf der Basis von Zellen, und der Zellentheoretiker schlechthin ist Rudolf Virchow, der ab 1844 als Pathologe hier tätig wird und kann hier dann ab 1846 in ersten eigenen Studien zur Chemie des Blutes auf der einen Seite aber auch zur Frage der Grundelemente des Körpers arbeiten und kommt dann letztendlich zur Erkenntnis, jedes menschliche Leben ist lokalisiert in der körpereigenen Zelle und als Pathologe noch die Frage stellen: Finden sich in der Zelle Zeichen von Krankheit?"
    Dass es immer nur um die körpereigene Zelle geht, bestreitet sein großer wissenschaftlicher Widersacher: Robert Koch, "der dann ab 1880 hier in Berlin tätig ist und 1882 in einem sehr bedeutenden Vortrag hier vor der Physikalischen Gesellschaft die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus präsentiert. Beide Auffassungen sind bis heute gültig: Es geht immer nur um die Gesamtsicht der Dinge."
    Doch das, was im Dienste der Wissenschaft an Krankenhäusern geforscht und untersucht wird, dient nicht immer dem Wohl der beteiligten Patienten.
    Volker Hess:
    "Das Ganze knallt beispielsweise fast exemplarisch, als in Breslau der Haut- und Syphologe Neisser, wie er das immer getan hat, von der Polizei aufgegriffene junge Frauen für seine Syphilis-Experimente heranzieht und sich herausstellt, dass das nicht Prostituierte waren, wie er gemeint hat, sondern junge anständige Mädchen. Da gibt es einen Skandal darüber, wie mit Kranken im Krankenhaus umgegangen wird. Das sind dann die Momente, an denen sich in der öffentlichen Debatte verdichtet, was die neue Rolle des Krankenhauses ist, und dass plötzlich ganz andere soziale Kreisen kommen, um sich dann im Krankenhaus behandeln zu lassen. "
    Die ethische Debatte, was im Krankenhaus zulässig ist und was nicht, entzündet sich dabei auch an der gesellschaftlichen Stellung der Patienten und kommt in dem Moment auf, als die ersten Krankenversicherungen im 19. Jahrhundert gegründet werden.
    Schon damals etabliert sich das, was heute als Zweiklassenmedizin beschrieben wird:
    "Natürlich haben die Ärzte eine Werthaltung gegenüber ihren Patienten. Die Patienten wiederum haben auch Ansprüche. Nun gibt es an manchen Stellen - für uns ungewohnt - die Erwartung, und das wird von den Patienten geteilt wie von den Ärzten: Wer über die Armenfürsorge im Krankenhaus ist, also durch die Allgemeinheit bezahlt wird, der muss sich auch beispielsweise für den Unterricht zur Verfügung stellen. Und eine der ersten, wenn man so will, ethischen Debatten ist, dass sich die Patienten, die über Krankenkassen im Krankenhaus sind, wehren und sagen, wir haben hier für unsere Behandlung gutes Geld gezahlt, und wir wollen auch anders behandelt werden. Da gibt es, wenn man das jetzt als Ethik bezeichnet, ja, da gibt es eine Auseinandersetzung über Werte und Haltungen."
    Diese ethische Debatte über Patientenrechte tritt durch den Nationalsozialismus völlig in den Hintergrund. Jetzt gilt nicht mehr das Recht des Einzelnen, sondern das des sogenannten Volkskörpers.
    Krankenhäuser gehörten während der NS-Zeit zu den Orten, an dem Kranke damit rechnen mussten, aussortiert, zum Tode abtransportiert oder mit Tabletten, Spritzen oder durch Aushungern getötet zu werden. Viele Ärzte saßen als ehemalige NS-Funktionäre in Nürnberg auf der Anklagebank, darunter der Hauptangeklagte und Chirurg Karl Brandt, Hitlers "Begleitarzt". Als "Euthanasiebeauftragter" war er für die systematische Ermordung von über 100.000 Menschen mit Behinderungen mitverantwortlich, darunter auch 5.000 Kinder. Er wurde verurteilt und 1948 hingerichtet.
    "Das letzte Bett, das wir zeigen, das ist ein Intensivbett", sagt Prof. Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité. Der letzte Raum des Museums verdeutlicht die 300 Jahre Geschichte des Krankenhauses.
    In zwei Reihen aufgestellte Betten erzählen durch unterschiedlichste darauf platzierte Objekte Fallgeschichten einzelner Patienten und ihre Behandlung über die Jahrhunderte hinweg. So demonstriert das letzte Bett, "wie man etwa um 2007 einen Kranken, der unter einer massiven Infektion des gesamten Körpers, unter einer Sepsis leidet, auf der Intensivstation behandelt hat. Hier gibt es einen Dialyseapparat, ein Beatmungsgerät. Es gibt natürlich das ganze Monitoring hier und Infusionsset dabei, und auf der Bettmatratze zeigen wir anatomisch korrekt die ganzen Anschlüsse, die der Mensch damals an seinem Körper dulden musste um dann letztendlich über diese äußerst krisenhafte Phase seines Lebens zu kommen."
    Das letzte Bett zeigt auch, was sich bei der Behandlung im Krankenhaus geändert hat. Die Apparatemedizin ist wichtiger geworden, die Therapie dadurch teurer.
    Die Möglichkeiten haben sich vergrößert. Heute überlebt auch derjenige, der noch vor 50 Jahren gestorben wäre. Medizin ist zu einem gigantischen Geschäft geworden, an dem viele verdienen wollen.
    Nach Staat und gemeinnützigen Betreibern drängen seit den 1980er Jahren private Investoren und Aktiengesellschaften in den Klinikbereich. Ihr Ziel ist nicht nur die viel zitierte schwarze Null, sie wollen an ihre Eigentümer Gewinne ausschütten.
    Der kranke Mensch dient nun der Profitmaximierung. Der Arzt fungiert als Bindeglied zwischen Patient und Aktionär.
    "Die medizinische Logik steht eben hier der ökonomischen Logik komplett gegenüber, weil ein Arzt ist ja jemand, der sich entschieden hat, einen sozialen Beruf zu ergreifen, der sich entschieden hat, etwas für Menschen zu tun, und der im Grunde den Kontakt zum Menschen gesucht hat, sonst hätte er einen technischen Beruf gewählt", sagt Prof.Giovanni Maio, Arzt und Philosoph am Lehrstuhl für Medizinethik der Universität Freiburg.
    "Die ökonomische Logik sagt, der Kontakt zum Patienten, der ist teuer, der muss minimiert werden, der muss reduziert werden, es muss schnell gehen, und die ökonomische Logik sagt, je schneller, desto besser. Die medizinische Logik sagt aber, je sorgfältiger, desto besser, und insofern haben wir hier sich widersprechende Logiken."
    Anstelle der bisher geltenden Ideale wie Sorgfalt, Geduld und Verständnis, treten jetzt Funktionalität, Zweckrationalität und Schnelligkeit.
    "Das führt zu einer Veränderung der gesamten Medizin."
    Denn für die Krankenhäuser ist es eine Überlebensfrage, weil sie in Zeiten knapper Mittel danach bewertet werden, ob sie Verluste machen. Ihre Existenz hängt davon ab, wie viel Geld sie mit ihren Patienten verdienen.
    Ärzte lernen Patienten zu kategorisieren: Eine gute Diagnose ist eine Diagnose, mit der man viel Geld verdienen kann, eine schlechte Diagnose ist womöglich eine, mit der das Krankenhaus rote Zahlen schreibt. Die Folge: Die Ökonomisierung führt zu einem Verlust der Mitmenschlichkeit, beklagt Giovanni Maio:
    "Und insofern ist es wichtig, dass wir neu realisieren, Medizin hat etwas mit Menschen zu tun, und diese Menschen, sie müssen natürlich technisch apparativ gut versorgt werden, aber dadurch ist die Behandlung nicht allein gut, sondern sie wird nur dann gut, wenn hier tatsächlich Ärzte auch belohnt werden, wenn sie sich auf die Patienten einlassen, wenn sie versuchen, die Patienten zu verstehen, weil man kann nur dann ärztlich gut entscheiden, wenn man sich Zeit nimmt für den Patienten, um zu realisieren, was sind seine Probleme eigentlich, und diese Zeit, die wird wegrationalisiert und insofern wird eine Beziehungsmedizin nicht mehr ermöglicht, und das spüren die Patienten, und sie fühlen sich auf diese Weise von den modernen Ärzten wenig verstanden, weil die Ärzte zwar technisch vieles können aber im Grunde verlernen, dass sie auf den Patienten hören müssen, um ihm wirklich zu helfen."
    Wie viele andere Krankenhäuser auch hat die Charité eine lange Geschichte: Sie reicht vom Pesthaus und einem Militärlazarett, einem Hospital der allgemeinen Krankenversorgung bis zur modernen Universitätsklinik. Immer wieder, insbesondere im 20. Jahrhundert, wurde sie konfrontiert mit ethischen Debatten, und auch Klagen über die finanzielle Situation sind Bestandteil der Charité-Geschichte, sagt der Medizinhistoriker Prof. Volker Hess:
    "Was jedoch dem Ganzen eine neue Qualität gibt, ist die Vorstellung, dass man ein Krankenhaus aber auch eine Universitätsmedizin, Forschung und Lehre, wie einen Geschäftsbetrieb führen kann, nach der Buchhaltung und nach den Kriterien eines Industrieunternehmens misst, als ob wir Ärzte produzieren und gesunde Menschen am Fließband herstellen."
    Die Charité ist eine Einrichtung der staatlichen Barmherzigkeit gewesen, heute versteht sie sich als ein staatlicher Geschäftsbetrieb. Das ist ein weiter Weg.