Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Schwerpunktthema
Männer im Stress

Männer leiden vor allem unter Stress, der entsteht, wenn ihre Position, ihre Rolle in Frage gestellt oder entwertet wird. Auch Konkurrenz kann ihnen schaden und Unklarheit darüber, für welche Ziele sie leben wollen. Diese Empfindlichkeit wird noch dadurch gesteigert, dass für viele Männer Beruf und Ehe die Mittelpunkte ihres Lebens sind.

Von Cajo Kutzbach | 06.02.2014
    Ein Mann steht  im Regen hinter der Scheibe.
    Wie steht es um das Männerbild in unserer Gesellschaft? (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Männer und Frauen sind verschieden, deshalb untersucht das Robert-Koch-Institut in Berlin, eine nachgeordnete Behörde des Gesundheitsministeriums, in Gesundheitsberichten stets die Geschlechter getrennt. Anne Starker, die dort auch am Männergesundheitsbericht arbeitet, nennt typische Unterschiede:
    "Frauen leben im Durchschnitt - nach heutigen Lebenserwartungsdaten - fünf Jahre länger als Männer. Und wenn man dann mal schaut, was sind die Haupttodesursachen, dann sieht man, dass junge Männer vor allem an Unfällen und Selbstmorden sterben. Und diese jungen Männer fehlen ja dann in der Kohorte, um sozusagen ihren Beitrag der Lebensjahre für die Männer beizutragen, und deswegen kommt es zu einem Großteil der geringeren Lebenserwartung der Männer insgesamt."
    Verblüffenderweise gibt es diesen Unterschied bei Nonnen und Mönchen fast nicht und die waren ja auch mal jung. - Die höhere Risikobereitschaft der Männer zeigt sich auch im späteren Leben. Anne Starker:
    "So ab 40 kommen dann Erkrankungen hinzu, die als Todesursache auffallen, wo man sieht, ok, das hat eventuell mit dem Risikoverhalten von Männern zu tun. Da kommt der Lungenkrebs ins Spiel; da kommt der Herzinfarkt ins Spiel und die alkoholische Leberkrankheit. Und das sind ja schon Hinweise, wenn jemand im Alter von 45 bis 54 stirbt an diesen Erkrankungen, wo man noch nicht dran sterben muss, dass da über lange Zeit ein Risikoverhalten hinsichtlich Alkohol, hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Übergewicht bestanden haben muss. Man sieht, ok, da gibt es schon große Unterschiede zwischen Männern und Frauen."
    Diagnosen nach Geschlecht
    Die notwendigen Daten bekommt das Robert-Koch-Institut einerseits von den Statistikern und andererseits aus eigenen Umfragen. Dabei fielen Unstimmigkeiten auf:
    "Bei der Frage nach der depressiven Symptomatik wird ein eigentlich etablierter Fragebogen eingesetzt. Und wir sehen einen deutlichen Frauen-Männer-Unterschied. Frauen sind häufiger betroffen, Männer nicht. Und da fragt man sich natürlich: Ist das real oder ist das ein Artefakt, das wir sehen. Forschungen anderer Kollegen zeigen, dass Männer eine andere depressive Symptomatik äußern als Frauen. Und dass dieser Fragebogen, den wir einsetzen, da vielleicht nicht so gut passt. Und deswegen gibt es Bestrebungen, einen spezifisch männlichen Fragebogen zu entwickeln, oder einen Fragebogen, der eben die spezifisch männliche Symptomatik besser erfasst."
    Versuche mit Schauspielern ergaben, dass auch Ärzte Depressionen eher bei Frauen diagnostizieren, als bei Männern. Da die Zahl der Selbsttötungen bei Männern viel höher ist als bei Frauen, ist unwahrscheinlich, dass Männer weniger depressiv sein sollten, da vielen Selbsttötungen eine Depression vorausgeht.
    Das bedeutet auch, dass möglicherweise psychische Leiden bei Männern unterbewertet werden. Die Zahl der stationären Behandlungen von Männern wegen Depressionen stieg zwischen 2000 und 2010 auf 250 Prozent.
    Was gesund oder krank macht, untersucht an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten Professor Bertram Szagun:
    "Allgemein ist es so, dass letztlich drei Fragen scheinbar - nachdem was wir über Gesundheit wissen - geklärt sein müssen, damit jemand in sich ruht und damit halbwegs stressfrei auch durchs Leben geht. Und zwar diese Frage: Was führt einen durchs Leben? Also welche Ziele, Einstellungen, Werte, Glauben; da gibt es relativ viele Modelle dazu, die das auch beschreiben und die den Zusammenhang mit Gesundheit beschreiben.
    Dann die Frage der gefühlten Kontrolle: Habe ich den Eindruck, in meinem Leben auch Dinge zu beherrschen? Habe ich irgend welche Lebensbereiche, beispielsweise Besitz oder Ähnliches, eben gefühlte Kontrolle, Kompetenzen in irgendwelchen Bereichen?
    Und die dritte Frage: Zu wem bin ich zugehörig? Mit wem bin ich verbunden?"
    Wer befriedigende Antworten auf diese Fragen hat, der lebt sehr wahrscheinlich gesund und vielleicht sogar vergnügt. Das Leben hat einen Sinn, man hat seinen Platz, kann etwas und ist nicht allein. Offenbar ist aber die Bedeutung der einzelnen Fragen für Männer und Frauen verschieden:
    "Das gilt eigentlich für Männer und Frauen. Bei Männern scheinen aber genau diese wenn man so will hierarchischen Fragen, also: Wer führt mich sozusagen? Oder: Was führt mich durchs Leben? Und: Was beherrsche ich im Leben? Diese Fragen scheinen von ganz besonderer Bedeutung zu sein.
    Eventuell von noch größerer Bedeutung, sehr wenig eigentlich in der Gesundheitsförderung berücksichtig, grade die Frage Was führt mich?, weil wir uns schwertun in einer pluralistischen Gesellschaft grade mit Lebenszielen; das wird individuell bestimmt und das wollen wir auch nicht vorgeben. Lebensziele, Werte, Einstelllungen, oder auch Religiosität, das ist ja ins Private abgeglitten und damit sehr willkürlich natürlich geworden."
    Diese letzte Frage ist im Kloster eindeutig geklärt, aber ob das allein die veränderte Lebenserwartung erklärt ist offen.
    Stress - das Wort bedeutet nur "Belastung" - wird gesundheitsgefährlich, wenn er zur Überlastung wird. Wenn man einen Knochen überlastet, bricht er, wenn man die Psyche überlastet, wird sie krank. Dabei scheinen Frauen und Männer verschieden zu reagieren. Bertram Szagun:
    "Der Stressor, der für Männer am intensivsten ist, ist eigentlich der soziale Stressor der Herabsetzung, wenn man gekränkt wird, wenn man beschämt wird, also wenn der eigene Status in Gefahr kommt. Da ist eine ganz besondere Sensibilität. Das ist auch ganz besonders gesundheitsrelevant, diese Form von Stress und das ist für Männer noch stärkerer Stress als für Frauen. Und genau hier kann man gegenarbeiten, indem man versucht in seinem Leben tatsächlich diese Kernfragen - sind ja nicht viel - diese drei Kernfragen für sich zu klären."
    Das erklärt auch ein wenig, weshalb Statussymbole - "mein Haus, mein Auto" - für Männer so wichtig sind oder das Beherrschen von Technik sie so fasziniert. Zugleich wird verständlich, weshalb Konkurrenz für Männer Segen und Fluch sein kann. Solange man seine Kräfte in einem Freundschaftsspiel misst, spornt Konkurrenz an. Sobald aber die Konkurrenz bedrohlich wird, gefährdet sie die Gesundheit. Deshalb sind auch Armut oder Arbeitslosigkeit für die Gesundheit der Männer besonders gefährlich. Privatdozent Alfons Hollederer vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Nürnberg skizziert das so:
    "In der Gesundheitsperspektive führt Arbeitslosigkeit zu Krankheit. Oder wir sagen, es erhöht die Krankheitsrisiken. Krankheit kann aber auch die Wahrscheinlichkeit für Arbeitslosigkeit leicht erhöhen, oder bei Arbeitslosen kann Krankheit auch dazu führen, dass Vermittlungshemmnisse im Arbeitsmarkt bestehen und die Wiedereingliederungschancen geringer sind im Vergleich zu Gesunden."
    Krank durch Jobverlust
    Je länger jemand arbeitslos ist, desto wahrscheinlicher leidet seine Gesundheit und desto früher stirbt der Betreffende voraussichtlich auch. Damit wird aber die Arbeit und damit die Gesundheit von Männern zu einem nicht nur individuellen Problem, sondern verursacht auch hohe Kosten für die Gesellschaft. Alfons Hollederer:
    "Wir haben festgestellt, dass der durchschnittliche Krankenstand bei Arbeitslosen in etwa doppelt so hoch ist, wie bei Beschäftigten. Und dass sie doppelt so hohe Krankenhaustage und Krankenhausfälle haben, wie die Beschäftigten im Durchschnitt. - Und der BKK-Bundesverband hat 2007 mal ausgerechnet, was ihn - für die gesetzliche Krankenversicherung - in einem Jahr Einnahmen entgehen und was er an Mehrausgaben für die Krankenversorgung hat. Und er kam eben zu dem Ergebnis, dass circa sieben Milliarden Euro Mindereinnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die ausfallenden Beitragseinnahmen entstehen, und sie in etwa 5,2 Milliarden Mehrausgaben auf Grund der erhöhten Morbiditätslast von Arbeitslosen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbuchen haben."
    Hinzu kommen Ausfälle bei der Alterssicherung, die entweder zur Altersarmut, oder zu Unterstützungszahlungen aus Steuergeldern führen. Angesichts dieser Milliardenausgaben verwundert es, wenn die Gesundheit von Männern noch schlecht erforscht ist.
    Da Männer so status-empfindlich sind, ist auch die Trennung von der Ehefrau ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Sogar der Auszug der Kinder, wenn sie groß sind, kann Väter in eine Krise stürzen. Da viele Männer sich ganz stark über den Beruf definieren, ist auch die Verrentung eine mögliche Gefahr für die Gesundheit, erklärt Professor Eckart Hammer von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg:
    "Also der Ruhestand ist die Zäsur für viele Männer, wo sie alt werden, sich alt fühlen, oder alt gemacht werden, weil dort die große Zäsur ist, wo all die Dinge, die vorher wichtig waren, die das Leben bestimmt haben wegfallen: Die Rhythmisierung des Alltags, die Kontakte nach Außen, die Kollegen, die mit Freunden verwechselt werden, der Sinn und Inhalt des bisherigen Lebens; nicht selten auch ist ein Einbruch der Gesundheit auch mit verknüpft. Und plötzlich bin ich bedeutungslos, ich bin Rentner, habe keine Rolle mehr, wer bin ich jetzt und was kann ich tun? Der Haushalt gehört der Frau und ich als Mann stehe mit leeren Händen da."
    Frauen dagegen haben zeitlebens gelernt, mehrere Schwerpunkte in ihrem Leben zu pflegen. Angefangen von der Familie, über die Ehe, den Haushalt, die Kindererziehung, den Beruf, bis zur Pflege von Angehörigen, von Freundschaften und Nachbarschaft. Wenn da ein Schwerpunkt von einer Katastrophe betroffen ist, ist das weniger gefährlich, als beim Mann, der oft nur den Beruf und die Ehe, vielleicht noch samt Kindern hat, worauf er sich stützen könnte. Eckart Hammer rät deshalb:
    "Also das, was Frauen oft viel mehr erleben, dass sie eben für Beruf orientiert werden, für Familie, für Nachbarschaft, Freizeit, für Ehrenämter, das sollten auch Männer viel mehr noch erleben und auch die Erfahrung machen, wie beglückend es sein kann für andere Menschen da zu sein, sich zu kümmern, zu sorgen; das ist etwas, was Männer oft im Ruhestand mühsam lernen müssen."
    Dann können sie, wenn schon nicht mehr für die eigenen Söhne, so doch für die Enkel auch ein gutes Vorbild geben.
    Diese unterschiedlichen Lebensstrategien erklären vielleicht auch, weshalb Frauen oft weniger an einer Karriere interessiert sind, als an einem vielseitigen und erfüllten Leben. Männer können in diesem Punkt von Frauen lernen. Die Elternzeit für Väter ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
    Konkurrenz macht krank
    Große Teile der Wirtschaft fördern dagegen die Konkurrenz unter ihren Mitarbeitern, die auch schon in der Schule gelehrt wird. Für die Gesundheit der Jungen jedoch müsste Schule weniger auf Höchstleistung und Konkurrenz aus sein. Bertram Szagun:
    "Dieses Selbstverständnis von Schule kann eben einerseits sein, dass sie sich als Leistungsoptimierungsanstalt, als reine sehen. In dem Moment werden sie zwar eventuell Leistungsoptimierung betreiben, aber sie werden wahrscheinlich eher zur Destabilisierung von Persönlichkeiten auch beitragen. In dem Moment, wo Schule sich aber ganz bewusst, nicht zufällig, sondern ganz bewusst entscheidet, beispielsweise Misserfolgserlebnisse zu dämpfen, damit Beherrschbarkeit zu erhöhen im täglichen Leben, das Gefühl von Kontrollverlust zu vermindern und eben auch Wertevermittlung als einen ganz wesentlichen Aspekt sehen, trotz Pluralismus, dann haben Schulen eigentlich ein sehr sehr großes Potenzial zu dieser inneren Stabilität beizutragen."
    Sogar mehr als in jedem anderen Alter und Lebensumfeld. - Auch bei vielen Paaren scheint Konkurrenz die Partnerschaft zu erschweren, wie Matthias Stiehler vom Dresdner Institut für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft als Berater beobachtet:
    "Es wird im Moment vor allen Dingen so geschaut, wer macht mehr, wer muss weniger machen, wer muss mehr machen. Es wird oft so vor einander aufgerechnet. Das ist ne Entwicklung, die in vielen Paarbeziehungen zu sehen ist. Die ist aber auch gesamtgesellschaftlich zu sehen. Die ganze Geschlechterdebatte ist davon auch geprägt. Was mir auffällt ist, dass uns das alles nicht zu einem größeren Miteinander geführt hat."
    Wer eine erfolgreiche Partnerschaft, sowohl in der Ehe, als auch im Alltag wünscht, muss Konkurrenz auf ein gesundes Maß zurückdrängen, denn Konkurrenz ist der Gegenspieler von Hilfsbereitschaft, von Vertrauen und Fairness, also den Werten, die eine Beziehung belastbar und erfreulich gestalten. Matthias Stiehler begründet das so:
    "Wir erleben das in Paarberatung immer: Es gibt nicht so, dass einer gewinnt und der andere verliert, sondern, wenn einer gewinnt, dann verliert immer die Partnerschaft, oder, wenn einer verliert, dann verliert immer die Partnerschaft. Und das ist die Problematik; und die wird meines Erachtens auch zu wenig beachtet."
    Dann wird das Liebesleben zu einer Art Zimmersport, bei dem es Punkte zu machen gilt.
    Wenn um Kleinigkeiten gestritten wird, geht es oft nicht um Staubsaugen und Müll runter tragen oder um eine faire Lastenverteilung.
    "Oftmals sind solche - wir nennen das auch 'Küchenstreitereien' - so Stellvertreter für weitere, tiefer gehende Konflikte. Und die müssten eher behoben werden."
    Man sollte solche Streitigkeiten als ein Warnzeichen ernst nehmen und Hilfe suchen. Auch wenn Männer verstummen, ist das ein Krisenzeichen.
    Ein neues Verständnis von Männlichkeit
    Damit die Gesundheit der Männer besser wird, könnte an vielen Ecken etwas getan werden. Angefangen vom Vorbild des Vaters, über eine Schule, die nicht zur ungesunden Konkurrenz, sondern zu mehr gesundem Miteinander erzieht, bis hin zur Wissenschaft, die gründlichere Datenanalysen machen, und genauere Erklärungen für unterschiedliche Einflüsse auf die Gesundheit von Frauen und Männern finden sollte. Ob das genügt, fragt sich Anne Starker:
    "Brauchen wir einen gesellschaftlichen Diskurs über Männergesundheit? Weil, wir sehen ja schon, es gibt eine Männergesundheitsbewegung, die sich in Deutschland so langsam formt, auch die Politik hat diese Problematik aufgegriffen, es gab Männergesundheitskongresse, Männergesundheitsberichte, ... Was mir aber so ein bisschen noch fehlt, dass wir anstoßen in der Gesellschaft zu diskutieren darüber, was macht Männer wirklich krank, aber auch, was hält sie gesund? Brauchen wir ein neues Selbstverständnis von Männlichkeit?"
    Erste Ansätze, wie Vätererziehungszeiten gibt es. Bereits 35 Prozent derer, die Angehörige pflegen, sind Männer. Solange aber etwa sechs mal so viele Menschen Arbeit suchen, wie es freie Stellen gibt, wird das Problem der krankmachenden Arbeitslosigkeit und Armut nicht gelöst. Arbeitslosigkeit müsste aus dem Blickwinkel der Gesundheitsforschung so rasch, wie möglich beendet werden. Alfons Hollederer:
    "Auf der einen Seite würde es erst mal Geld kosten. Auf der anderen Seite würde es Geld sparen, aber wir würden lieber sozusagen in Beschäftigung investieren und präventiv wirken, wie dann später die Krankheitslast und die längere Arbeitslosigkeitsdauer und die mangelnde Perspektive zu finanzieren. Und menschlicher wäre es allemal."