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Schwerpunktthema: Sollen wir das Altern verlangsamen?

In der biologischen Altersforschung entschlüsseln die Wissenschaftler immer mehr Alterungsprozesse. Ihr Ziel ist es, die gesunde Lebensphase bis ins hohe Alter zu verlängern. Was das für unsere Vorstellung vom Leben und für unsere Gesellschaft bedeutet, darüber hat das Tübinger Forschungsprojekt "Diskurs: Biogerontologie" debattiert.

Von Judith Grümmer | 11.04.2013
    "Das Altern abschaffen, dass alle jugendlich bleiben? Bei gleicher Geburtenrate? Wie soll die Welt damit fertig werden? Halte ich für undenkbar, auch ethisch für undenkbar."

    "Keiner will ja unbedingt alt werden oder? Oder: Alt in Ehren, sag ich mal. Und noch bei Verstand."

    "Ach ja, das Zellwachstum ein bisschen aufhalten, das ist bestimmt nicht verkehrt."

    "Aber häufig ist es so, dass Leute, die älter sind, auch Gebrechen haben."

    "Das wäre schon ein sehr starker Eingriff, den wir gar nicht kontrollieren können. Das wird ziemlich voll auf unserem Planeten dann, wenn wir das könnten."

    "Ohne Beschwerden ja, aber Alter abschaffen, nee."

    Universitätsklinikum Tübingen.
    David Goldeck, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Tübinger Alterung und Tumorimmunologie "TATI" betritt das Labor.

    Unter der Leitung von Prof. Graham Pawelec erforscht der Biologe hier menschliche Alterungsprozesse:

    "Wir untersuchen hier vor allem das Altern in Bezug auf das Immunsystem, das heißt, wir schauen uns Blutzellen an von einmal gesunden Menschen und von Menschen mit altersbezogenen Erkrankungen."

    Es ist eine Begleiterscheinung des Alterns, so erklärt der junge Doktorand, dass bestimmte Erkrankungen im Alter gehäuft auftreten:

    "Krebs beispielsweise. Herzerkrankungen.

    Aber auch Infektionserkrankungen wie die Grippe, die alte Menschen mit ihren geschwächten Immunsystemen viel häufiger sterben lässt als junge Menschen."

    Die wissenschaftliche Frage, die sich daraus ergibt:

    "Welche Immunzellen könnte man unterstützen? Durch Immuntherapie beispielsweise, dass diese Krankheit nicht ausbricht oder zurückgeht und dass man dadurch ein angenehmeres Leben führen kann."

    Aus gesunden jungen Zellen entwickeln sich mit zunehmendem Alter immer häufiger Krebszellen.

    Aber warum? Der Biogerontologen Graham Pawelec erwartet von seiner Forschungsarbeit Erkenntnisse, aus denen Therapieansätze für ein gesünderes Altern entwickelt werden können.

    "Der biogerontologische Aspekt ist, dass diejenigen Zellen, die dann einen Krebs bilden werden, sind bei älteren Leuten schon ältere, haben gehäufte Mutationen mit der Zeit. Normale Zellen haben Schutzmechanismen gegen solche Transformationen, wie man das nennt, das normale Zellen zu Krebszellen macht durch die Häufungen von Mutationen."

    Über die Entschlüsselung der menschlichen Tumorschutzmechanismen ließe sich die Zellimmunität verbessern, und altersbedingte Krebs- und Infektionserkrankungen könnten präventiv therapiert werden, hoffen die Tübinger Biogerontologen.

    Was könnte dagegen sprechen, dank einer modernen Alternsmedizin irgendwann deutlich länger gesund zu leben. Im Durchschnitt 100 oder 120 Jahre?

    Nur ein paar Minuten von den Tübinger Forschungslaboratorien entfernt liegt das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften.

    Hier - und am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin - wurden ein Jahr lang die ethischen Aspekte der Biogerontologie, die Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft, interdisziplinär und generationsübergreifend diskutiert.

    Denn – so die Wissenschaftler - nicht alles, was in Zukunft biogerontologisch machbar sein wird, könnte auch mit unserem ethischen, rechtlichen und sozialen Wertesystem vereinbar sein.

    "Dürfen wir alles, was wir können? Ich finde, eine Frage liegt vorab: Wollen wir alles, was wir können?"

    Dr. Julia Dietrich ist Verbundskoordinatorin und im Leitungsteam des "Diskurs: Biogerontologie", das am kommenden Wochenende abschließend die Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes öffentlich vorstellen wird:

    "Können wir nicht eine Haltung entwickeln: Ja, Erkenntnis muss frei sein, aber daraus sollte kein Sachzwang entstehen, sich legitimieren zu müssen, das eine zu tun und das andere zu tun. Man könnte auch sagen, wir haben Möglichkeiten entwickelt, und jetzt schauen wir sehr in Ruhe und mit Gelassenheit, ob wir sie nutzen oder nicht."

    Forscher sollten sich darüber im Klaren sein, welche komplexen ethischen Fragen sie aufwerfen, wenn sie in biologische Prozesse eingreifen.

    "Und dann auf der nächsten Stufe in der Gesellschaft: Welche Erwartungen weckt diese biogerontologische Forschung, das heißt, welche individuelle Haltung zum Altern wird dadurch gefördert oder auch ermöglicht, und dann: Was sind die gesellschaftlichen Konsequenzen?"

    Der Philosoph Dr. Hans-Jörg Ehni ist der stellvertretende Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Tübinger Universität.

    "Die Biogerontologie ist sehr nah an der Medizin dran und dann der nächste Schritt: Was bedeutet es, wenn biogerontologische Methoden in die Medizin Eingang finden. Wie verändert es die Erfahrung des Alterns? Verändert es die Erfahrung des Alterns auf eine Weise, die erstrebenswert ist oder nicht erstrebenswert ist? Welche Positionen gibt es dazu? Was sind die Argumente dieser Positionen? Und dann natürlich auf gesellschaftlicher Ebene: Wer wird Zugang haben zu dieser Medizin? Und was, wenn nicht alle Zugang haben sollten, wie ist das zu bewerten?"

    Fragen, die nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch innerhalb unserer Gesellschaft dringend diskutiert werden müssen – so Hans-Jörg Ehni.

    Doch wie lässt sich dieses schwierige, bisher weitgehend unbeachtete Thema in die Öffentlichkeit tragen, fragten sich die Ethiker und Sozialwissenschaftler.

    Mit einem Kurskonzept, für den Einsatz in der Erwachsenenbildung, im Schulunterricht oder an den Universitäten.

    "Fertige Antworten entwickeln wir im Rahmen des Kurskonzepts nicht, weil es uns darum geht, die Diskussion zu öffnen. Es geht um Fragen des guten Lebens, Fragen der Gerechtigkeit und Fragen der Folgen, inwieweit die Folgen dem Einzelnen und der Gesellschaft nutzen oder schaden."

    Die Soziologin Mone Spindler hat über Anti-Aging-Medizin in Deutschland promoviert und ist federführend am Projekt "Diskurs: Biogerontologie" beteiligt.

    "Es geht darum, klug zu gucken, welche Schlüsselkenntnisse sowohl in der Ethik als auch in einem kritischen Verständnis von Naturwissenschaften und Biogerontologie zu vermitteln, sodass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen von dem Kurs in die Lage versetzt werden, dieses schnelle Forschungsfeld auch weiter zu verfolgen und die Diskussion darüber auch weiter zu tragen.."

    Acht Kurse und mehrere Veranstaltungen zu ethischen Fragen der Biogerontologie hat Mone Spindler zusammen mit den interdisziplinären Projektpartnern konzipiert und durchgeführt. Eingeladen waren Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen, Senioren und Wissenschaftler.

    Diese sollten sich ein Bild von den Möglichkeiten und Folgen der Biogerontologie machen, Fragen formulieren, Antworten suchen.

    "Forscher forschen ja nicht im wertefreien Raum, sondern sie gehen aus von einem bestimmten Altersbild und das ist, was die Biogerontologie betrifft, eigentlich ziemlich negativ. Und man muss sich die grundsätzliche Frage stellen: Warum soll den eigentlich Altern abgeschafft werden?"

    Oder umgekehrt: Da in der Natur auch unsterbliche Organismen vorkommen – Einzeller, Süßwasserpolypen - könnte es sein, dass das biologische Altern des Menschen keine zwangsläufige Option ist?

    Dr. Uta Müller ist Projektpartnerin im "Diskurs: Biogerontologie" und hat einen der Kurse zu ethischen Fragen der Biogerontologie durchgeführt. In einem philosophischen Hauptseminar hat sie ausführlich mit Studierenden darüber diskutiert, welches Altersbild bei jungen Menschen vorherrscht. Und welchen Sinn es geben könnte, zu altern.

    "Das ist etwas, was die Biogerontologie eigentlich als sinnlos abstreitet, weil Altern für die Biogerontologie etwas Sinnloses ist. Altern wird von der Biogerontologie immer pathologisiert, ist immer mit Krankheit verbunden, immer mit Einschränkungen, immer mit Dysfunktionen, und das ist ja durchaus zu hinterfragen."

    "Das war für mich besonders wichtig, weil das Altern in den Medien und auch im Alltag eher als negativ dargestellt wird, weil man da immer erst an Krankheit denkt und nur das Warten auf den Tod im Vordergrund steht. Und für mich war es wichtig, herauszufinden, ob es da noch andere Aspekte gibt, die ich bisher noch nicht gesehen habe, und das hat das Seminar ganz gut geleistet."

    Ihr Bild vom Altern habe sich im Laufe der Diskussion doch dahin gehend verändert – so die 22-jährige Lehramtsstudentin Patrizia Breil ,
    "… dass ich nicht mehr so ganz sicher bin, wie man darüber nachdenken soll. Es gibt auch viele verschiedenen Aspekte, die man eben bei der Diskussion um die Altersforschung betrachten muss: zum Beispiel, dass eben das Ende des Lebens Sinn gebend ist für den Rest des Lebens. Die Abschaffung des Alterns, das hört sich im ersten Moment nach so einer Superidee an, man ist weniger krank, man lebt länger, das ist alles wunderbar, aber so einfach ist es dann doch nicht."

    Die Tübinger Wissenschaftler luden auch Senioren zum Dialog.

    Uwe Liebe-Harkort beobachtete zunächst viel Skepsis in seiner eigenen Altersgruppe, als sie eingeladen wurden, über die "Abschaffung des Alterns" zu diskutieren.

    Manch einer hätte sich durch dieses Thema wohl zunächst irritiert oder gar bedrängt gefühlt:

    "Ich fand den Gedanken sehr spannend, weil der einem so normalerweise nicht einfällt und die Welt so nicht ist. Es kapriziert sich ja dann sehr schnell auf die Frage, wie wollen wir das Alter haben, also: Es abzuschaffen ist Utopie, aber die negativen Aspekte abzuschaffen, das wäre schon ein angenehmer Gedanke, mehr Gesundheit, weniger Schmerzen, weniger Krachen in den Gelenken, das ist schon sehr attraktiv","

    erzählt der 72-jährige Vorsitzende des Stadtseniorenrates Tübingen.
    ""Wenn man genauer drüber nachdenkt, dann kommt man darauf, naja, erstens, wenn man keine Krankheiten hat, dann wird man ja noch älter, wir werden ja eh schon sehr viel älter, als es früher üblich war, und mit all dem, was dann damit zusammenhängt. Unser Leben ist einmalig, wir kämpfen, wir hadern mit schwierigen Erfahrungen, wir werden krank, wir gehen dem Tod entgegen, und wenn das alles nicht mehr so ist, dann wird sich unser Leben ja vollkommen verwandeln, die Gesellschaft wird eine andere, die Werte werden andere werden, und da haben wir sehr viele Bedenken genannt."

    Wie weit dürfen wir zukünftig in den biologischen Alternsprozess eingreifen? Und …

    "sollen damit einhergehend alle gezwungen werden, solche Therapien zu machen, soll es kein Altern mehr gebe? Soll dahin gehend geforscht werden, dass wir immer älter werden? Solche Fragen könnte man ja an die Biogerontologie stellen. Und natürlich auch Forschungsfragen: Ist es gerechtfertigt, dass in Gesellschaften wie unsrigen, so viel Geld in diese Forschung zu stecken, wo es doch andere Dinge gibt, die man doch auch erforschen könnte. Zum Beispiel andere Krankheiten, die auch sehr viel Leid verursachen, wo so viele Leute dran sterben, wie Aids, Malaria, müsste man da nicht viel mehr forschen und nicht versuchen, in unseren hoch industrialisierten Gesellschaften das Leben zu verlängern, wo wir doch sowieso schon so alt werden im Vergleich zu anderen Menschen in anderen Gesellschaften."

    Mone Spindler ist davon überzeugt, dass zukünftig sowohl in den Forschungslaboren als auch in Bildungseinrichtungen über die ethischen Fragen der Biogerontologie diskutiert werden wird.

    "Und wir veröffentlichen dieses Kurskonzept jetzt als Buch, als fachwissenschaftliche Einführung, aber auch als Handreichung für Lehrende, denen Materialien an die Hand gegeben werden, um ähnliche Kurse in eigenen Lerngruppen, sei es im universitären Bereich, in der Erwachsenenbildung, in der Sekundarstufe 2, durchführen zu können."