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Schwierige Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Müller: Der Count-down läuft. Morgen soll das Gesetz zur Reform der Betriebsverfassung vom Kabinett verabschiedet werden. Doch noch steht die notwendige Einigung zwischen Bundesarbeitsminister Walter Riester und Wirtschaftsminister Werner Müller in ihrem seit Wochen dauernden Streit aus. Nun droht der Kanzler wieder einmal mit einem Machtwort. Darum hat er die beiden Minister sowie die Fraktionschefs Peter Struck (SPD) und Rezzo Schlauch von den Grünen heute am Vorabend der Kabinettssitzung in seine Dienstvilla eingeladen. Hier soll notfalls in letzter Sekunde eine Einigung erzielt werden, denn auch heute Nacht sind weitere Gespräche zwischen Müller und Riester ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Am Telefon begrüße ich nun den Grünen-Finanzexperten Oswald Metzger. Guten Morgen!

    Metzger: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Der grüne Parteichef Fritz Kuhn fordert mehr Demokratie in den Betrieben. Zu Lasten der Arbeitgeber?

    Metzger: Nein. Wir wollen mehr Demokratie in den Betrieben, auch indem wir Minderheitenschutzrechte durch die Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes wollen. Wir wollen auch, dass es keine überfallartigen Sofortwahlen in den Betrieben gibt, wo Minderheiten dann der Mehrheit in den Betrieben ihre Meinung aufdrücken. Wir wollen hier also auch quoren. Genau diese Position steht in einem Parteiratsbeschluss, der gestern einstimmig von uns gefasst wurde und der auch heute in der Fraktion beschlossen werden wird.

    Müller: Herr Metzger, das müssen Sie uns noch einmal genauer erklären: Minderheiten und Mehrheiten. Um wen geht es da?

    Metzger: Es geht um das Wahlverfahren. In Riesters Entwurf ist ein von Müller kritisiertes Verfahren drin, dass praktisch in einem sehr kurzen Akt und einer einmaligen Veranstaltung in den Betrieben gewählt werden kann. Hier wollen wir an dem bewährten mehrstufigen Verfahren festhalten und wir wollen auch nicht, dass Minderheiten in den Betrieben oder gar externe an einem Tag praktisch einen Betriebsrat wählen können, der gegen den Willen auch der Mehrheit der Mitarbeiter in den Betrieben agiert, also eine Art Minderheitenquorum, wie wir es beispielsweise kennen selbst bei Volksentscheiden auf kommunaler Ebene, wo auch nicht nur die reine Mehrheit zählt, beispielsweise in Baden-Württemberg, sondern wo auch die Mehrheit einen bestimmten Anteil der gesamten Wählerschaft umfassen muss.

    Müller: Wenn ich das Papier richtig lese dann sind Sie dafür, dass zehn Prozent der Belegschaft bei der Wahlversammlung anwesend sein müssen. Ist das nicht eine kleine Minderheit?

    Metzger: Über den Prozentsatz ist in dem Papier, das wir gestern beschlossen haben, überhaupt nicht geredet worden. Ich meine, das ist ein laufender Prozess, wo zwei Minister, die im inhaltlichen Klinsch liegen, jetzt erst seit vier oder fünf Tagen überhaupt auf höchster Ebene miteinander reden, wo wir jetzt einen Diskussionsprozess in letzter Minute organisieren müssen, der eigentlich schon vor Monaten hätte stattfinden müssen. Da werde ich mich jetzt als Sprecher einer Koalitionsfraktion am Morgen der Entscheidung nicht in Details stürzen. Klar ist auf jeden Fall: in dem Punkt wird Riesters Gesetzentwurf verändert werden müssen, weil die jetzige Regelung praktisch Tür und Tor für Missbrauch öffnet.

    Müller: In letzter Sekunde sagen Sie. Ist das eine gute Regierungsarbeit?

    Metzger: Es gibt manchmal inhaltliche Auseinandersetzungen, die auch einen gewissen Prozess brauchen. Eines ist jedenfalls klar: sie müssen natürlich bestimmte Themen miteinander koppeln. Es ist keine Frage, dass die Gewerkschaften aus ihrer Sicht bei der Rente mit dem Verzicht auf die paritätische Mitfinanzierung der Eigenvorsorge eine bittere Pille geschluckt haben und dass dann natürlich die Bereitschaft der SPD größer ist, in diesem Punkt der Betriebsverfassung den Gewerkschaften ihre Wünsche zu erfüllen. So kann man trotzdem nicht regieren. Keine Gruppe dieser Gesellschaft, und sei sie noch so groß, kann quasi ultimativ in einem Gesetzgebungsverfahren so tun, als ob die Position, die als Referentenentwurf eines Ministeriums eingebracht ist, unverändert den Kabinettstisch verlassen kann. So geht es nicht und ich finde auch richtig, dass vom Prozedere her klar ist, dass hier der Kanzler, der beide Minister auch im Amt haben will, heute Abend mit den Fraktionsspitzen die schlussendliche Entscheidung über den Kompromiss trifft und den auch verkündet. Das geht in Ordnung. Die Richtlinienkompetenz hat er, wenn zwei sich streiten.

    Müller: Ist der Anspruch der Gewerkschaften legitim?

    Metzger: Eine Modernisierung der Mitbestimmung ja, aber ich würde die Gewerkschaften auch davor warnen, so zu tun als ob wir heute in der Arbeitswelt in einer Situation sind wie in den 70er Jahren, als die letzte große Revision des Betriebsverfassungsgesetzes war. Demokratie in den Betrieben muss sein, aber Demokratie heißt nicht nur Gewerkschaftsdemokratie, sondern heißt auch Stärkung der Individualrechte von Mitarbeitern, heißt auch Wahlverfahren, wo andere Gruppierungen in den Betrieben eine Chance haben, nicht nur organisierte Gewerkschafter.

    Müller: Haben deutsche Betriebe im internationalen sowie europäischen Vergleich ein Demokratiedefizit bei der Mitbestimmung?

    Metzger: Aus meiner Sicht nicht. Wir haben in Deutschland relativ weitreichende Mitbestimmungsrechte. Allerdings dass sie verbessert werden, das geht absolut in Ordnung. Wir müssen halt über Details reden. Ich meine was nicht sein kann ist folgendes, dass man durch eine Verkomplizierung und Verbürokratisierung der Betriebsverfassung Investitionsentscheidungen gerade in mittelständischen Betrieben bremst. Wenn Sie an die derzeitige Konjunkturentwicklung denken, dann muss klar sein: wir brauchen gerade den Mittelstand, der Garant für Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Ausbildung ist, dass er in dieser labilen konjunkturellen Seitwärtsbewegung auch investiert. Wir dürfen nicht eine ohnehin schwierige Situation aufgrund des weltwirtschaftlichen dazu nutzen, den Betriebsinhabern den Eindruck zu vermitteln, Gewerkschaften können in die Betriebe hineinregieren, und zwar auch Minderheiten.

    Müller: Nun ist es ja, Herr Metzger, gerade der Mittelstand, den Sie angesprochen haben, der sich beschwert und vor Entlassungen warnt. Wie antworten Sie denen?

    Metzger: Wir antworten zumindest bis heute Abend, dass wir daran arbeiten wollen, dass gerade die besonderen Belastungen kleiner und mittlerer Betriebe sachlich geprüft werden müssen Mitbestimmung ja! Mitbestimmung darf auch was kosten, weil Arbeitskämpfe kosten viel mehr. Wenn man damit Konflikte in den Betrieben regeln kann ist das in Ordnung. Nur soll man nicht übertreiben. Genau an dem Punkt ist das Problem des riesterschen Entwurfs, dass er eben sehr stark doch die klassische Gewerkschaftsposition atmet. Wenn man hier ein bisschen modifiziert und die berechtigten Bedenken des Wirtschaftsministers in einem Kompromiss aufgreift, wo beide erhobenen Hauptes herausgehen können, dann geht es in Ordnung. Wenn beide aufschreien, Arbeitgeber und Gewerkschaften, dann ist es ein guter Kompromiss.

    Müller: Der grüne Finanzexperte Oswald Metzger war das. Vielen Dank. - Auf der anderen Leitung hat mitgehört der SPD-Bundestagspolitiker Karl Hermann Haack, zugleich Mitglied im Fraktionsvorstand. Guten Morgen!

    Haack: Guten Morgen.

    Müller: Herr Haack, ist Riester vor den Gewerkschaften eingeknickt?

    Haack: Nein, überhaupt nicht. Ich denke das ganze ist eine Gespensterdebatte. Man muss genau hinsehen. Von den neuen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, zum Beispiel Schwellenwerte, sind 98 Prozent der Betriebe überhaupt nicht erfasst, denn 98 Prozent der Betriebe haben weniger als 100 Beschäftigte. Bei diesen Betrieben ändert sich lediglich das Wahlverfahren. Nun kommt bei dem Wahlverfahren, wie Herr Metzger ja auch noch mal die Argumentation von Herrn Minister Müller referiert, der Gedanke, einfaches Wahlverfahren wird Minderheiten eine zu starke Position einräumen. Das alte, jetzige Betriebsverfassungsgesetz besteht seit 1972. Es hat nie ansatzweise etwas gegeben, dass Minderheiten versucht haben, in Betriebe außerbetriebliche Gesichtspunkte hineinzutragen. Insofern ist das zunächst einmal eine Gespensterdebatte.

    Müller: Wenn das kaum jemanden betrifft, kaum Betriebe davon erfasst werden, warum das Gesetz?

    Haack: Das Gesetz zielt bei Betrieben mit über 100 Beschäftigten auf die Veränderung der Wirtschaft, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Da muss einiges getan werden und das bedeutet, die Position der Betriebsräte zu verstärken. Das finde ich auch in Ordnung.

    Müller: Wie können die Arbeitgeber diese Belastungen verkraften? Es wird ja von 2,7 Milliarden Mark geredet.

    Haack: Es wird von 2,7 Millionen D-Mark geredet. Ich habe mal konkret versucht, durch Tickermeldungen oder Gespräche eine Aufschlüsselung dieser Zahlen herauszufinden. Ich bin Sozialpolitiker, mache Gesundheitspolitik, mache Rentenpolitik. Es kommen dann immer Märchenzahlen auf. Die sollen dann die Öffentlichkeit verwirren. Diese 2,7 Millionen D-Mark sind plausibel bei mir bis heute noch nicht aufgeschlossen worden. Wer eine gute Betriebsratspolitik will, wer sozialen Frieden will - und Helmut Schmidt hat einmal gesagt, Mitbestimmung und Sozialpolitik sind soziale Produktionsfaktoren des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland -, der muss sich das auch etwas kosten lassen. Das sagt also, die finanzielle Abstützung von Betriebsarbeit ist richtig.

    Müller: Auf welche Zahl sind Sie denn jetzt gekommen?

    Haack: Es gibt keine Zahlen. Ich habe im Arbeitsministerium nachgefragt und das Arbeitsministerium sagt, das sind alles gegriffene Zahlen. Ich kenne das aus den ganzen Reformen von Rentenpolitik, Behindertenpolitik. Jede Partei operiert dann plötzlich mit Zahlen und im nachhinein verschwinden die wieder in der politischen Trickkiste.

    Müller: Herr Haack, dann machen wir es konkret: Werden die Unternehmen mehr Kosten, mehr Belastungen durch die Reform haben, ja oder nein?

    Haack: Sie werden dadurch mehr haben, dass ja die Freistellung neu gestaffelt wird. Es werden jetzt mehr freigestellt als das vorher war. Das ist richtig. Da gibt es Kosten, aber das sind Betriebe, wo dann schon 500 Beschäftigte und mehr sein müssen. Man muss sich die Schwellenwerte genau angucken. Das ist richtig. Dass es neue Büroausstattungen gibt, das ist auch richtig. Dahinter hängt natürlich dann auch eine Bürokraft, was auch richtig ist. Man muss sich auf der anderen Seite überlegen, dass eine Rechnung immer wieder aufgemacht wird, dass bei schwierigen Branchen, die in die Krise kommen, Betriebsräte eine ganz andere Arbeit haben als die klassische Form, wie man sich das vorstellt. Sie sind mehr als Feuerwehr heutzutage, sondern machen Strukturpolitik mit. Da muss ich einen Partner amtsmäßig auch so ausstatten, dass er seine neuen Funktionen wahrnehmen kann.

    Müller: Heißt mehr Mitbestimmung auch mehr Verantwortung?

    Haack: Mehr Mitbestimmung heißt auch mehr Verantwortung. Wenn man in die Wahlkreise hineinsieht, dann erfährt man in seiner täglichen Arbeit, welch eine positive Funktion Betriebsräte wahrnehmen, wenn Betriebe oder Dienstleistungsunternehmen ins Trudeln kommen. Von daher mache ich - ich bin selber selbständig - eigentlich im Überblick gute Erfahrungen.

    Müller: Sollen Arbeitnehmer unternehmenspolitische Kompetenzen bekommen?

    Haack: Das finde ich nicht, sondern da soll klar getrennt werden zwischen dem Unternehmerstandpunkt und dem Arbeitnehmerstandpunkt. Das wird meistens auch sorgfältig eingehalten. Fälle aus meiner Vergangenheit, an denen ich bei Verhinderung von Betriebsschließungen mitgewirkt habe, gingen dann immer schief, wenn die Arbeitnehmerseite versuchte, den Arbeitgeberstandpunkt zu übernehmen und damit eine einseitige Sichtweise zu forcieren.

    Müller: Wird der Kanzler in Ihrem Sinne richtig entscheiden?

    Haack: Der Kanzler wird richtig entscheiden. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung sieht vor, die Ressorts müssen sich verständigen. Wirtschaft und Arbeiter haben sich bisher nicht verständigt. Es gibt die Liste von Herrn Müller, die 26 Punkte umfasst. Die hätte man vorher - da gebe ich Herrn Metzger recht - anders abarbeiten müssen. Ich hätte mir ein Verfahren gewünscht, dass diese Liste mit 26 Punkten auch die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales zur Beratung bekommen hätte. Dann hätten die jeweiligen zuständigen Fraktionsvorsitzenden moderieren können mit den parlamentarischen Staatssekretären. Dann wären vielleicht von den 26 Punkten zwei oder drei übrig geblieben.

    Müller: Karl Hermann Haack war das, Mitglied im SPD-Fraktionsvorstand. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!

    Link: Interview als RealAudio