Montag, 29. April 2024

Archiv

Schwierige Regierungsbildung
"Die Zukunft von Herrn Schmidt ist sicherlich vorbei"

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel hat Landwirtschaftsminister Schmidt vorgeworfen, mit seinem Glyphosat-Alleingang die schwierige Situation in der Bundesregierung bewusst missbraucht zu haben. Dieser "eklatante Vertrauensbruch" belaste auch die Gespräche über eine Neuauflage der Großen Koalition, sagte Schäfer-Gümbel im Dlf.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Silvia Engels | 30.11.2017
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, SPD-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag, beim Hintergrundgespräch im Funkhaus Köln.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, SPD-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag, beim Hintergrundgespräch im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Bettina Fuerst-Fastre)
    Silvia Engels: Hatten Sie in der SPD-Parteispitze nach der Glyphosat-Zustimmung durch Landwirtschaftsminister Schmidt, der ja gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung damit verstoßen hat, mal kurz an den Rückzug der SPD-Minister aus dem Bundeskabinett gedacht?
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Im ersten Moment waren wir alle sprachlos, danach fassungslos, weil es ein inakzeptabler Vorgang ist, ein eklatanter Vertrauensbruch, erst recht in der jetzigen Phase. Aber warum sollten wir die Ministerinnen und Minister aus einer geschäftsführenden Bundesregierung zurückziehen, wenn die CSU sich in dieser Art und Weise gegen die Regeln verhält?
    Engels: Na um ein Zeichen zu setzen.
    Schäfer-Gümbel: Ja. Man hätte ihnen ja dann endgültig den Weg freigemacht in der jetzigen Situation, und Sie wissen, dass das alles eine schwierige Situation ist, die wir nicht herbeigeführt haben, dass die Jamaikaner nicht in der Lage waren, nach acht Wochen Winken vom Balkon am Ende eine Koalitionsvereinbarung hinzukriegen und dies uns jetzt wirklich insgesamt vor schwierige Fragen stellt und das jetzt auch noch in der Situation missbraucht wird von Herrn Schmidt - und anders kann man das ja gar nicht formulieren. Es ist ja ein bewusster Akt gewesen, er ist lange vorbereitet gewesen. Das ist schon etwas, was uns fassungslos und sprachlos macht. Aber den Weg freimachen darf man ihnen jetzt natürlich auch nicht.
    Engels: Fordern Sie dann wenigstens den Rücktritt oder den Rausschmiss von Christian Schmidt?
    Schäfer-Gümbel: Es gibt natürlich mit Herrn Schmidt keine Vertrauensbasis nach diesen Ereignissen, und wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Herr Schmidt um die Entlassung gebeten hat und hätte, dann wäre es genau derjenige. Ich glaube, dass er seinen Wunsch hinreichend dokumentiert hat, dass er dem nächsten Kabinett nicht mehr angehört, egal wer das zu verantworten hat.
    "Herr Schmidt hat seine Zukunft hinter sich"
    Engels: Was verlangen Sie im Gegenzug von Bundeskanzlerin Merkel, wenn diese Entlassung nicht kommt? Nun hat sich ja beispielsweise Parteichef Schulz geäußert, man müsse auf nationaler Ebene Glyphosat schneller verbieten als auf EU-Ebene. Würde das als Preis schon genügen?
    Schäfer-Gümbel: Es geht überhaupt nicht um Preise in der jetzigen Situation. Wir haben jetzt erst einmal festgehalten, dass das ein klarer Verstoß der Regeln ist. Zweitens, dass wir nicht bereit sind, zur Tagesordnung überzugehen, dass sich die Kanzlerin erklären muss. Das hat sie getan. Es gibt nach wie vor Unklarheiten, in welcher Art und Weise sie informiert war oder auch nicht, nach den Äußerungen auch von Herrn Altmaier. Das wird weiter zu klären sein.
    Auf der anderen Seite ist für mich völlig klar, dass Herr Schmidt seine Zukunft hinter sich hat und dass es auf der anderen Seite aber in der Tat um die inhaltliche Frage geht, was können wir nach dieser Entscheidung im nationalen Kontext noch tun.
    Engels: Aber wir halten fest: Die SPD besteht nicht darauf, dass Herr Schmidt nicht mehr Mitglied der geschäftsführenden Bundesregierung ist?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, dass es genau so ist, wie ich es gesagt habe. Wir erwarten von der CDU/CSU und von der Bundeskanzlerin vertrauensbildende Maßnahmen und wir sind sehr gespannt, was dazu kommt. Die Gelegenheit dazu aber, Entscheidungen zu treffen, die hat sie ja jeder Zeit, und ich wiederhole, die Zukunft von Herrn Schmidt ist sicherlich vorbei.
    Vereinbarte Regeln weiter einhalten
    Engels: Fühlen sich denn umgekehrt die SPD-Minister im geschäftsführenden Bundeskabinett nach diesem Alleingang von Herrn Schmidt frei, vielleicht künftig bei der einen oder anderen internationalen Abstimmung auch eher SPD-Positionen zu vertreten und dem zuzustimmen, auch wenn die CDU/CSU nicht einverstanden ist?
    Schäfer-Gümbel: Ich bin in solchen Fragen strukturkonservativ. Wenn es Regeln gibt, die man miteinander vereinbart hat, die gelten, dann gelten sie. Wenn jemand sie bricht, heißt das nicht automatisch, dass man das für sich selber in Anspruch nehmen kann. Deswegen plädiere ich sehr dafür, die Regeln weiter einzuhalten. Das hat viel damit zu tun, dass es am Ende um Verlässlichkeit geht. Es geht auch um Vertragstreue.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, SPD-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag, beim Hintergrundgespräch im Funkhaus Köln.
    "Es gibt für uns keine Option, die im Moment vom Tisch ist." Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) (Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré)
    Spitzentreffen beim Bundespräsidenten
    Engels: Dann blicken wir voraus. Heute trifft sich ja Bundespräsident Steinmeier mit den Parteichefs von Union und SPD, also Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz. Es geht um die Frage, ob beide Lager noch mal in irgendeiner Form zusammenarbeiten, um Deutschland eine stabile Regierungsform zu geben. Wie wird das gehen? Werden Sie die Union-Minderheitsregierung tolerieren? Ist eine Große Koalition im Schwange, oder irgendetwas dazwischen?
    Schäfer-Gümbel: Ich kann verstehen, dass Sie diese Frage heute Morgen ganz besonders umtreibt. Aber ich bitte gleichzeitig um Verständnis. Wir haben in der engeren Parteiführung klar entschieden, dass die Gesprächseinladung des Bundespräsidenten zu einem Gespräch mit den Vorsitzenden von CDU und CSU angenommen wird und dass wir in den nächsten Tagen in der engeren Führung, aber auch im Parteivorstand dieses Gespräch auswerten.
    Wir werden auf dem Bundesparteitag, der nächste Woche stattfindet, ganz sicherlich weitere Schritte und das Vorgehen miteinander nicht nur diskutieren, sondern auch zu entscheiden haben. Und ich kann - da bitte ich wirklich um Verständnis - am heutigen Morgen vor diesen Gesprächen nicht sagen, wie sie ausgehen. Es macht übrigens auch keinen Sinn, weil man dann solche Gespräche auch nicht braucht.
    Engels: Vor einer guten Woche haben Sie uns im Deutschlandfunk ein Interview gegeben, und damals haben Sie nichts ausgeschlossen, aber klar auf den Weg Neuwahlen gesetzt. Sehen Sie das immer noch so?
    Schäfer-Gümbel: Es gibt für uns keine Option, die im Moment vom Tisch ist. Wir haben uns entschieden, die Gespräche jetzt abzuwarten, danach auszuwerten, und deswegen hat sich substanziell und grundsätzlich nichts verändert. Wir sind in einer nach wie vor schwierigen Situation, nachdem die Jamaika-Verhandlungen gescheitert sind, und ich will es noch einmal sagen: Wir waren an diesem Scheitern nicht beteiligt. Offensichtlich - das ist ja die Kritik der FDP, aber in Teilen auch von Bündnis 90/Die Grünen - ist die Kanzlerin in diese Verhandlungen ohne Plan und Ziel gegangen, und das hat sich am Ende in den Verhandlungen gerächt.
    "Niemand hat geglaubt, dass Jamaika in dieser Art und Weise auseinanderfliegt."
    Wir haben uns aus sehr guten Gründen am 24. September im Lichte auch eines für uns dramatisch schlechten Wahlergebnisses entschieden, in die Opposition zu gehen. Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Wir nehmen aber gleichzeitig zur Kenntnis, dass es jetzt eine problematische Gesamtsituation gibt, und deswegen haben wir die Gesprächseinladung des Bundespräsidenten angenommen. Ob daraus folgt, was daraus folgt, das werden wir in den nächsten Tagen zu entscheiden haben.
    Das ist objektiv keine einfache Lage, auch nicht für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Ich habe auf meinem Schreibtisch einen großen Stapel von Briefen von Menschen, die mir sagen, dass wir unter gar keinen Umständen mit dem Modell einer Großen Koalition operieren sollten. Ich habe auf der anderen Seite einen großen Stapel, in dem erklärt wird, dass das richtig war, aber dass man jetzt nach dem Scheitern dieser Verhandlungen es anders machen soll. Und Sie sehen allein aus diesen beiden großen Stapeln, dass es auch für die SPD als Partei keine einfache Situation ist.
    Engels: Aber Sie hatten ja schon eine klare Position. Letzte Woche hieß Ihr Argument, die SPD habe keinen Regierungsauftrag. Warum wollen Sie jetzt diesen Bogen doch sehen? Die staatsbürgerliche Verantwortung als Argument haben wir verstanden. Auf der anderen Seite: Ist denn eine GroKo irgendwie noch in der SPD-Basis vermittelbar, oder etwas Ähnliches, das nicht GroKo heißen darf, aber de facto auch feste gemeinsame Vereinbarungen vorsieht?
    Schäfer-Gümbel: Unsere Verfassungslage sieht verschiedene Möglichkeiten vor, und die werden wir - da kann ich mich nur wiederholen - in den nächsten Tagen weiter besprechen. Wir haben eine klare Entscheidung nach dem 24. September getroffen, und ich habe das ja eben schon mal gesagt: Daran ändert sich auch grundsätzlich erstmal nichts, weil die Argumente, die zu dieser Entscheidung geführt haben, sind nicht weg. Wir haben keinen Regierungsauftrag. Wir wollten eine Regierung anführen. Wir haben mit dem Wahlergebnis von knapp über 20 Prozent diesen Auftrag nicht erhalten. Und insofern müssen wir mit dieser Situation umgehen.
    Auf der anderen Seite hat auch niemand geglaubt, dass Jamaika in dieser Art und Weise auseinanderfliegt, nachdem vor der Bundestagswahl alle beteiligten Parteien, Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb, die schwarze Ampel, alles getan haben dafür, dass sie eigentlich die richtige Option sind. Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Tagen in unsere Richtung erklärt, wir seien auf Jahre nicht regierungsfähig. Der Vorgang Schmidt kommt jetzt noch obendrauf. Also lange Rede, kurzer Sinn: Das ist alles eine Suppe, die da angerührt wurde, die schlecht schmeckt. Aber am Ende braucht es ja trotzdem eine Auflösung.
    Engels: Wäre denn eine Auflösung der von Ihnen skizzierten schwierigen Gemengelage zwischen Union und SPD dadurch möglich, dass Frau Merkel nicht die Kanzlerin einer künftigen Regierung wäre?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, wir dürfen das nicht auf Personalfragen reduzieren. Klar ist allerdings auch, dass Angela Merkel mit ihrem Regierungsstil gescheitert ist. Ich habe ja nicht umsonst eben schon mal darauf hingewiesen, dass sowohl FDP als auch Bündnis 90/Die Grünen darauf hingewiesen haben, dass es in diesen Verhandlungen keinen Plan und kein Ziel gab, dass das schlecht organisiert war. Und von daher ist es sicherlich eine Zeit der Kanzlerinnendämmerung, die wir auch erleben. Aber es ist eben keine Frage von Personal, die am Ende alleine darüber entscheidet, was die nächsten weiteren Schritte sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.