Dirk Müller: Guten Morgen.
Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen.
Müller: Herr Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien - ich hoffe, ich habe das so richtig tituliert?
Lambertz: Das ist richtig. Für das deutsch Vorverständnis würde es am besten wohl sagen, wir sprechen von einem Bundesland, zwar das kleinste, aber immerhin ein richtiges.
Müller: Immerhin ein richtiges. Herr Lambertz, Belgien soll uns beschäftigen nach den Parlamentswahlen. Es hat viele Verschiebungen gegeben, es hat einen Rechtsruck gegeben, wie wir in den deutschen Zeitungen zumindest lesen konnten. Die Sozialisten haben verloren, damit auch Ihre Partei. Dennoch ist jetzt eine Regierungsbildung äußerst schwierig. Verstehen die Belgier ihr eigenes politisches Regierungssystem?
Lambertz: Wer versteht schon sein Regierungssystem? Wer kann zum Beispiel jede Form des Grundgesetzes in Deutschland erklären? Das ist in Belgien vielleicht noch ein bisschen komplizierter, weil wir einen dissoziativen Föderalismus haben, wo in der Tat ein sehr komplexes System entwickelt wurde, um das Zusammenleben der Flamen und Wallonen zu erlauben. Aber wenn auf Bundesebene gewählt wird, dann muss am Ende natürlich auch eine Bundesregierung dabei herauskommen. Und das besondere am belgischen System ist, dass es ja keine Bundesparteien gibt, sondern lediglich Regionalparteien.
Müller: Und das stärkt nicht gerade das belgische Gemeinschaftsgefühl.
Lambertz: Das belgische Gemeinschaftsgefühl hat viel damit zu tun, dass sich in diesem Land die Flamen und die Wallonen und auch die deutsche Minderheit gemeinsam zusammenraufen müssen und eben diese Vielfalt Belgien ausmacht.
Müller: Weil das der Staat so will, Herr Lambertz, oder weil die Menschen das wollen?
Lambertz: Das ist die Geschichte dieses Landes, das ja 1830 zustande gekommen ist. Vor allem auch, weil das so in den damaligen Kontext passte. Und seitdem zanken sich die Belgier schon mal, aber immerhin leben sie auch zusammen und sind eigentlich doch ein sehr spannendes und auch ein sehr lebensfrohes Land.
Müller: In wie weit sind denn diese Zwiespältigkeiten, diese Auseinandersetzungen, Sprachenstreit, Diskriminierungen, die es dort gibt, es gibt auch ein großes wirtschaftliches, soziales Gefälle zwischen Flandern und Wallonien, tatsächlich für die Weiterentwicklung eines modernen Staates kontraproduktiv.
Lambertz: Das gehört zu den Voraussetzungen des belgischen Staates. Flandern, Wallonie, und dann vor allem der Zankapfel Brüssel - das alles macht das Zusammenleben zwischen Flamen und Wallonen so richtig spannend. Und wenn Wahlen sind, kommt das dann auch zum Ausdruck. Es ist schon etwas besonderes, wenn dann Wahlen stattfinden, wo ein Großteil der inhaltlichen Auseinandersetzung darin besteht, dass man sich eben situiert im Verhältnis zu der Beziehung, die man zu dem anderen Landesteil hat, obschon man da eigentlich gar nicht gewählt werden kann.
Müller: Warum, Herr Lambertz, sind in Belgien die Rechten so stark?
Lambertz: Ich würde das mit den Rechten mal ein bisschen vorsichtiger ausdrücken. Die Sozialisten haben bei dieser Wahl einen Rückgang. Die Christlich Sozialen haben in Flandern gewonnen, und vor allem auch wegen einer Kartellbildung mit einer sehr autonomistischen Partei in Flandern dann einen bedeutenden Wahlsieg errungen. Es gibt dann auch eine liberale Partei, die in Flandern verloren hat, die sich aber in dem wallonischen Landesteil hat behaupten können und sogar stärkste Partei geworden ist. Und übrigens ist es so, dass von den Sitzen her die beiden liberalen Parteien in Belgien jetzt 41 Sitze im Parlament haben werden, die Christdemokraten, die zwar stimmenmäßig ein paar hundert Stimmen mehr haben, nur 40 Sitze besitzen.
Müller: Aber die Vertreter des Vlaams Belang, das ist die Nachfolgepartei des Vlaams Blok, ist ja doch sehr stark geworden. Welche Begründung haben Sie dafür?
Lambertz: Das ist eines der besonderen Elemente in Belgien, und auch eines, was mich besonders bedrückt macht. In einer der reichsten Regionen Europas, in Flandern, gibt es eine rechtsradikale Partei, die über 20 Prozent der Stimmen macht, und das ist schon bedenklich. Da sind alle demokratischen Parteien gefordert und da gibt es sicherlich noch einen ganz großen Nachholbedarf an Aufarbeitung. Allerdings ist es jetzt so, dass zum ersten Mal nach mehreren Jahrzehnten diese Partei nicht mehr gewonnen hat. Sie stagniert, allerdings auf einem hohen Niveau.
Müller: Ist das auch ein Protest gegen diese ewigen Streitereien in Belgien?
Lambertz: Das glaube ich nicht. Das ist eher ein Zusammenspiel verschiedener Elemente. Das ist ein Stück belgischer Geschichte. Die flämische Bewegung hat sich zwar als Partei aufgelöst, aber sich auf verschiedene Parteien verteilt. Und ein Teil dieser flämischen Bewegung findet man dann in Vlaams Belang wieder. Hinzu kommt, dass es auch ein starkes Element der Ausländerfeindlichkeit in dieser Partei gibt, das auf einen gewissen Erfolg bei der öffentlichen Meinung dann hinweisen kann. Und es sind in dieser Partei auch einige sehr medientüchtige Politiker am Werk. All das zusammen macht, dass diese Partei dieses außergewöhnlich gute Ergebnis schon seit mehreren Jahrzehnten macht, was natürlich sehr bedauerlich ist.
Müller: Der neue vermeintliche starke Mann in Belgien, der designierte Ministerpräsident Yves Leterme - ich weiß, dass kann man vielleicht noch gar nicht so deutlich sagen, aber er hat nun offenbar die besten Chancen, Regierungschef zu werden - sagt, das erste, was wir machen müssen, ist eine moderne Staatsreform. Hat er da Recht?
Lambertz: Ja, das stimmt, Leterme ist da, genau wie alle flämischen Parteien, sehr darauf bedacht, den belgischen Staat weiter zu entwickeln, den Föderalismus zu vertiefen, mehr Eigenständigkeit noch zu erzielen. Aber das Problematische ist, dass die französischsprachigen Parteien genau das Gegenteil sagen. Alle Parteien sagen praktisch zum jetzigen Zeitpunkt, wir gehen nur in diese Regierung rein, wenn es keine wirkliche Vertiefung der Staatsreform gibt, wir wollen die Dinge so lassen, wie sie sind. Es gibt also unabhängig von allen politischen Verschiebungen, die jetzt stattgefunden haben, da ein richtiges Problem, und das wird in den nächsten Wochen und Monaten schon einiges Kopfzerbrechen bringen.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk, Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Vielen Dank für das Gespräch.
Lambertz: Vielen Dank.
Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen.
Müller: Herr Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien - ich hoffe, ich habe das so richtig tituliert?
Lambertz: Das ist richtig. Für das deutsch Vorverständnis würde es am besten wohl sagen, wir sprechen von einem Bundesland, zwar das kleinste, aber immerhin ein richtiges.
Müller: Immerhin ein richtiges. Herr Lambertz, Belgien soll uns beschäftigen nach den Parlamentswahlen. Es hat viele Verschiebungen gegeben, es hat einen Rechtsruck gegeben, wie wir in den deutschen Zeitungen zumindest lesen konnten. Die Sozialisten haben verloren, damit auch Ihre Partei. Dennoch ist jetzt eine Regierungsbildung äußerst schwierig. Verstehen die Belgier ihr eigenes politisches Regierungssystem?
Lambertz: Wer versteht schon sein Regierungssystem? Wer kann zum Beispiel jede Form des Grundgesetzes in Deutschland erklären? Das ist in Belgien vielleicht noch ein bisschen komplizierter, weil wir einen dissoziativen Föderalismus haben, wo in der Tat ein sehr komplexes System entwickelt wurde, um das Zusammenleben der Flamen und Wallonen zu erlauben. Aber wenn auf Bundesebene gewählt wird, dann muss am Ende natürlich auch eine Bundesregierung dabei herauskommen. Und das besondere am belgischen System ist, dass es ja keine Bundesparteien gibt, sondern lediglich Regionalparteien.
Müller: Und das stärkt nicht gerade das belgische Gemeinschaftsgefühl.
Lambertz: Das belgische Gemeinschaftsgefühl hat viel damit zu tun, dass sich in diesem Land die Flamen und die Wallonen und auch die deutsche Minderheit gemeinsam zusammenraufen müssen und eben diese Vielfalt Belgien ausmacht.
Müller: Weil das der Staat so will, Herr Lambertz, oder weil die Menschen das wollen?
Lambertz: Das ist die Geschichte dieses Landes, das ja 1830 zustande gekommen ist. Vor allem auch, weil das so in den damaligen Kontext passte. Und seitdem zanken sich die Belgier schon mal, aber immerhin leben sie auch zusammen und sind eigentlich doch ein sehr spannendes und auch ein sehr lebensfrohes Land.
Müller: In wie weit sind denn diese Zwiespältigkeiten, diese Auseinandersetzungen, Sprachenstreit, Diskriminierungen, die es dort gibt, es gibt auch ein großes wirtschaftliches, soziales Gefälle zwischen Flandern und Wallonien, tatsächlich für die Weiterentwicklung eines modernen Staates kontraproduktiv.
Lambertz: Das gehört zu den Voraussetzungen des belgischen Staates. Flandern, Wallonie, und dann vor allem der Zankapfel Brüssel - das alles macht das Zusammenleben zwischen Flamen und Wallonen so richtig spannend. Und wenn Wahlen sind, kommt das dann auch zum Ausdruck. Es ist schon etwas besonderes, wenn dann Wahlen stattfinden, wo ein Großteil der inhaltlichen Auseinandersetzung darin besteht, dass man sich eben situiert im Verhältnis zu der Beziehung, die man zu dem anderen Landesteil hat, obschon man da eigentlich gar nicht gewählt werden kann.
Müller: Warum, Herr Lambertz, sind in Belgien die Rechten so stark?
Lambertz: Ich würde das mit den Rechten mal ein bisschen vorsichtiger ausdrücken. Die Sozialisten haben bei dieser Wahl einen Rückgang. Die Christlich Sozialen haben in Flandern gewonnen, und vor allem auch wegen einer Kartellbildung mit einer sehr autonomistischen Partei in Flandern dann einen bedeutenden Wahlsieg errungen. Es gibt dann auch eine liberale Partei, die in Flandern verloren hat, die sich aber in dem wallonischen Landesteil hat behaupten können und sogar stärkste Partei geworden ist. Und übrigens ist es so, dass von den Sitzen her die beiden liberalen Parteien in Belgien jetzt 41 Sitze im Parlament haben werden, die Christdemokraten, die zwar stimmenmäßig ein paar hundert Stimmen mehr haben, nur 40 Sitze besitzen.
Müller: Aber die Vertreter des Vlaams Belang, das ist die Nachfolgepartei des Vlaams Blok, ist ja doch sehr stark geworden. Welche Begründung haben Sie dafür?
Lambertz: Das ist eines der besonderen Elemente in Belgien, und auch eines, was mich besonders bedrückt macht. In einer der reichsten Regionen Europas, in Flandern, gibt es eine rechtsradikale Partei, die über 20 Prozent der Stimmen macht, und das ist schon bedenklich. Da sind alle demokratischen Parteien gefordert und da gibt es sicherlich noch einen ganz großen Nachholbedarf an Aufarbeitung. Allerdings ist es jetzt so, dass zum ersten Mal nach mehreren Jahrzehnten diese Partei nicht mehr gewonnen hat. Sie stagniert, allerdings auf einem hohen Niveau.
Müller: Ist das auch ein Protest gegen diese ewigen Streitereien in Belgien?
Lambertz: Das glaube ich nicht. Das ist eher ein Zusammenspiel verschiedener Elemente. Das ist ein Stück belgischer Geschichte. Die flämische Bewegung hat sich zwar als Partei aufgelöst, aber sich auf verschiedene Parteien verteilt. Und ein Teil dieser flämischen Bewegung findet man dann in Vlaams Belang wieder. Hinzu kommt, dass es auch ein starkes Element der Ausländerfeindlichkeit in dieser Partei gibt, das auf einen gewissen Erfolg bei der öffentlichen Meinung dann hinweisen kann. Und es sind in dieser Partei auch einige sehr medientüchtige Politiker am Werk. All das zusammen macht, dass diese Partei dieses außergewöhnlich gute Ergebnis schon seit mehreren Jahrzehnten macht, was natürlich sehr bedauerlich ist.
Müller: Der neue vermeintliche starke Mann in Belgien, der designierte Ministerpräsident Yves Leterme - ich weiß, dass kann man vielleicht noch gar nicht so deutlich sagen, aber er hat nun offenbar die besten Chancen, Regierungschef zu werden - sagt, das erste, was wir machen müssen, ist eine moderne Staatsreform. Hat er da Recht?
Lambertz: Ja, das stimmt, Leterme ist da, genau wie alle flämischen Parteien, sehr darauf bedacht, den belgischen Staat weiter zu entwickeln, den Föderalismus zu vertiefen, mehr Eigenständigkeit noch zu erzielen. Aber das Problematische ist, dass die französischsprachigen Parteien genau das Gegenteil sagen. Alle Parteien sagen praktisch zum jetzigen Zeitpunkt, wir gehen nur in diese Regierung rein, wenn es keine wirkliche Vertiefung der Staatsreform gibt, wir wollen die Dinge so lassen, wie sie sind. Es gibt also unabhängig von allen politischen Verschiebungen, die jetzt stattgefunden haben, da ein richtiges Problem, und das wird in den nächsten Wochen und Monaten schon einiges Kopfzerbrechen bringen.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk, Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Vielen Dank für das Gespräch.
Lambertz: Vielen Dank.