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Schwierige Regierungsbildung in der Slowakei

In der Slowakei zeichnet sich nach den Parlamentswahlen eine schwierige Regierungsbildung ab. Der sozialdemokratische Wahlsieger Robert Fico soll zwar den Auftrag zur Bildung einer Koalition bekommen. Nach Einschätzung des Journalisten Christoph Thanei ist allerdings fraglich, ob er genügend Unterstützung von anderen Parteien erhält.

    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Christoph Thanei. Er ist Journalist und lebt seit Jahren in der Slowakei. Guten Morgen, Herr Thanei!

    Christoph Thanei: Schönen guten Morgen!

    Engels: Der Wahlsieger Robert Fico will nun eine Regierung bilden. Er bekommt wohl auch den Auftrag dazu. Aber bekommt er genügend Koalitionspartner?

    Thanei: Das ist die Frage. Es werden jetzt einige Szenarien durchgespielt, wie es möglich sein wird, eine Koalition zu bilden. Ganz klar ist, dass Fico nur eine Regierung mit Parteien bilden kann, die eigentlich nicht das gleiche wollen wie er.

    Engels: Was will denn Fico, was wollen die anderen?

    Thanei: Ficos Partei ist von allen, die ins Parlament gekommen sind, die einzige, die wirklich diese neoliberalen Reformen, wie er sagt, stoppen will. Seine Partei ist die einzige, die die Einheitssteuer zum Beispiel abschaffen will, die von den bisherigen Regierungsparteien als Flaggschiff ihres Reformwerks gesehen wird und die als lukrative Attraktion für ausländische Investoren gesehen wurde. Das will außer seiner Partei niemand abschaffen. Und so sind auch einige andere Reformschritte, die nur seine Partei abschaffen will. Aber er muss mit Parteien aus dem rechten Spektrum eine Koalition bilden, die genau diese Schritte aber beibehalten wollen.

    Engels: Denken Sie, er wird das hinbekommen, denn er hat ja Wahlkampf damit gemacht, den wirtschaftsliberalen Kurs verlassen zu wollen? Wird er sich so wandeln, oder wird er dann lieber auf die Regierungsbildung verzichten?

    Thanei: Ich denke, es ist ganz klar, Fico wird sich nicht leisten können, sein ganzes Image damit aufs Spiel zu setzen, dass er von seinem Ziel abgeht. Er muss also entweder so gefügige Partner finden, dass er zumindest symbolische Schritte machen kann, dass er zum Beispiel seine Millionärssteuer einführt. Das ist so eine der Ideen, wie man einen kleinen Schritt in Richtung Steuerprogression wieder machen könnte, dass nicht mehr nur die Einheitssteuer da ist. Das wären so kleine symbolische Schritte, die er wenigstens erreichen müsste, um nicht das Gesicht zu verlieren. Wenn er auch solche Schritte nicht durchsetzen kann gegen einen potenziellen Koalitionspartner, dann wird es wahrscheinlich keine Koalition unter seiner Führung geben, weil er wahrscheinlich nicht das gleiche machen möchte, was seine frühere Partei, bei der er Vizeparteichef war, als Schicksal erlitten hat, nämlich die ist in eine Koalitionsregierung, in die erste Dzurinda-Regierung, mitgegangen 1998 bis 2002 und bei der Parlamentswahl unter der Fünf-Prozent-Hürde gelandet, weil sie eben bei allem nachgegeben hat.

    Engels: Wenn man so hört, dass dieser radikale Kurs, den Fico eigentlich durchsetzen will, sich möglicherweise nicht realisieren lassen wird, was bedeutet das für den bisherigen Ministerpräsidenten Dzurinda? Kann er möglicherweise doch mit neuen Koalitionspartnern eine Mehrheit zusammenbringen, die er mit seiner alten Regierung nicht mehr hat?

    Thanei: Ja, ich denke auch dieser Weg ist nicht ausgeschlossen. Vielleicht zu diesem Wort radikal noch. Das was Ficos Partei primär will, ist ja so radikal eigentlich gar nicht. Ich würde eher sagen, radikal ist das, was die Regierung bisher gemacht hat, diese Einheitssteuer zum Beispiel, dass unabhängig von jedem Einkommen jeder 19 Prozent Steuern bezahlt ohne Steuerprogression. Das ist ja das eigentlich Radikale, das es in Europa in wenigen Ländern überhaupt gibt und in dieser extremen Form gar nirgendwo innerhalb der Europäischen Union. Was Fico will, ist eigentlich der Normalfall in Europa, nämlich eine Rückkehr zu einem Sozialstaat und einem Steuersystem mit mehreren Stufen, wie wir es auch in Deutschland und in den meisten europäischen Ländern haben.

    Aber zu den Koalitionsperspektiven: Dzurinda hat zwar mit seiner Partei deutlich weniger Stimmen erreicht als Ficos Sozialdemokraten, aber er hat eigentlich nicht wirklich das schlechtere Koalitionspotenzial. Wenn er mit seinen bisherigen Regierungspartnern zusammengeht, kommen diese drei christdemokratisch orientierten Parteien auch auf ungefähr 40 Prozent. Das hieße dann schon mehr als Ficos Partei alleine, und dann gäbe es die Möglichkeit, dass zum Beispiel die Partei des früheren Ministerpräsidenten Wladimir Meciar, der in den 90er Jahren ziemlich umstritten war und dreimal regiert hat, mit Dzurinda eine Mehrheit bilden könnte. Es wird also die Frage sein, ob diese Gruppierung eher mit Dzurinda oder eher mit Fico geht. Ideologisch ist sie Dzurinda näher, weil sie an sich auch diese Reformen mitgetragen hat zumindest teilweise, aber vom Wählerpotenzial her spricht sie ähnliche Wähler an wie Fico, nämlich die eher enttäuschten. Die würden also zumindest soziale Ausgewogenheit versuchen zu erreichen oder zumindest Schritte dahin zu machen.

    Engels: Sie haben es angesprochen. Der frühere Regierungschef Wladimir Meciar könnte Zünglein an der Waage sein, egal welche Regierung sich jetzt bildet. Nehmen wir mal an, er wäre an einer Regierung beteiligt, was würde das mit Blick auf den künftigen Europakurs der Slowakei bedeuten, denn Meciar war ja bekannt dafür, dass er die EU-Integration gestoppt hatte?

    Thanei: Ich denke, da ist so ein grundlegender Irrtum in der Wahrnehmung der slowakischen Politik von außen passiert. Es war nicht Meciar, der die Europäische Union abgelehnt hat, sondern umgekehrt. Die Europäische Union hat Meciar abgelehnt. Auch in der Meciar-Zeit wollte die Slowakei in die Europäische Union. In der Meciar-Regierung ist der Beitrittsantrag zum Beispiel gestellt worden. Aber die Europäische Union hat die Slowakei nicht akzeptiert, weil die Slowakei damals politische Defizite hatte, dass man gesagt hat, es gibt bestimmte demokratiepolitische Schritte, die nicht in Ordnung sind und die nicht vereinbar sind mit den Kopenhagener Kriterien. Also Meciar wollte immer in die EU.

    Engels: Vielen Dank. Das war Christoph Thanei, Journalist, der seit Jahren in der Slowakei lebt und das politische Geschehen für uns eingeordnet hat. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Thanei: Dankeschön. Auf Wiederhören.

    Engels: Danke Ihnen.