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Schwieriger Büchertransfer

In Hessen sind derzeit viele Bücher auf Reisen: Weil kleinere geisteswissenschaftliche Fächer wie Japanologie nur noch an wenigen Hochschulstandorten angeboten werden sollen, bündeln auch die Bibliotheken ihre Bestände. Doch gegen den Umzug von Teilen der Frankfurter Orientbibliothek mit ihren 40.000 Bänden nach Marburg regt sich Widerstand.

Von Anke Petermann |
    Im Jahr 2005 beschloss das CDU-regierte Hessen, kleinere geisteswissenschaftliche Fächer in Gießen, Marburg und Frankfurt am Main zu bündeln. An der Marburger Universität wird ein Orientzentrum eingerichtet, dafür die Orientalistik in Frankfurt bis 2010 geschlossen. Die Uni Frankfurt bekommt ein Zentrum für Ostasienwissenschaften, die Japanwissenschaften werden in Marburg dicht gemacht. Verbunden mit der Zentrumsbildung ist der Transfer von Büchern: Die japanologischen Bestände aus Marburg gehen nach Frankfurt. Erste Signaturen der Frankfurter Orientbibliothek mit 40.000 Bänden sollten eigentlich schon in diesem Monat nach Marburg gebracht werden. Doch in Frankfurt regt sich heftiger Widerstand. Nicht nur bei den Studierenden der Orientalistik, die befürchten, ohne Bücher ihren Studiengang nicht bis zum Auslaufen des Fachs beenden zu können, sondern auch bei Sprachwissenschaftlern und Theologen, die aus der interdisziplinären Bibliothek schöpfen.

    Ihre Politik- und Jura-Professoren sind begeistert, wenn die Orientalistik-Studentin Anna Willich verspricht, in der Orient-Bibliothek in arabischsprachigen Originalen nachzuschlagen, zum Beispiel in Sachen Menschenrechte:

    " Die werden in der islamischen Welt anders betrachtet als bei uns, und dabei ist mir einfach wichtig nicht vorzuverurteilen, dass der Gedanke der Freiheit, der Gleichheit anders betrachtet wird, sondern warum wird er anders gesehen. Und da ist ganz wichtig, wo sind die Ursachen dafür, wie ist das entstanden, und die Antworten darauf die finde ich in dieser Bibliothek. "

    In modernen Nachschlagewerken und alten Handschriften. Eine interdisziplinäre und interkulturelle Bibliothek, 40.000 Bände, aufgebaut über fast 100 Jahre hinweg - ein kulturhistorisches Erbe, das Wissenschaftler wie den iranischstämmigen Historiker Mohsen Zakeri, der zuvor in den USA forschte, ins Schwärmen bringt:

    " Ich habe verschiedene Bibliotheken in Amerika, Europa, arabischen Ländern und Iran besucht, kenne mich ziemlich gut aus. Diese Frankfurter Bibliothek ist einzigartig, weil von Anfang an Fachleute diese Bibliothek aufgebaut haben. Irgend etwas Vergleichbares habe ich nie in meinem Leben gesehen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass - was auch immer mit der Bibliothek passiert - das Ganze muss zusammenbleiben. "

    Genau das war Konsens in der zuständigen Senatskommission, betont Hans Daiber, Leiter der Orientalischen Seminars.

    " Wir haben eindeutig festgestellt, dass die Bibliothek als Ganzes erhalten bleiben darf. "

    Was der stellvertretende Universitätspräsident Ingwer Ebsen dementiert. Die Universität Frankfurt ist seiner Meinung nach in einem Dilemma. Bliebe die Orientbibliothek als gewachsener Organismus erhalten, dann gebiete die Fairness, dass die Frankfurter sie nach Marburg geben müssten, wo das Orientzentrum entsteht. Frankfurter Fachbereiche seien aber auf Teilbestände aus dieser Bibliothek angewiesen. Zum Beispiel:

    " Judaistik, aber beispielsweise gibt es sicherlich auf Bedarf der Indogermanistik, der Archäologen, die bei uns eine starken Schwerpunkt in vorderasiatischer Archäologie haben, insofern neigen wir dazu zu sagen: nein, die Bibliothek muss wohl nach bestimmten sachlichen Gesichtspunkten aufgegliedert werden. "

    Doch dafür müsse der Katalog erst mal digitalisiert werden. Das nehme Jahre in Anspruch, sagt der stellvertretende Universitätspräsident, der sich noch vor kurzem dafür stark gemacht hatte, erste Bände schon in diesem Monat aus Frankfurt abzutransportieren. Da lautete die Begründung: das Hessische Wissenschaftsministerium habe die Evaluierung der neuen Zentren ja schon für 2010 angesetzt. Auch er habe erst in den letzten Wochen verstanden, wie problematisch die Bibliotheken seien, meint Ebsen jetzt. Das Ministerium habe das nicht berücksichtigt. Und:

    " Selbstverständlich bedeutet so eine Verzögerung auch, dass die Arbeit der Zentren vernünftigerweise etwas später beurteilt werden muss. "

    Der Bibliotheksstreit als Anlass für einen neuen Zeitplan für die 2005 beschlossene geisteswissenschaftliche Zentrenbildung in Hessen und deren Evaluierung? Das CDU-geführte Wissenschaftsministerium äußerte sich auf Anfrage vorerst nicht. Der Zeitplan gilt, heißt es aus Marburg. Ansonsten: Kein Kommentar. Die Universitätspräsidenten seien im Gespräch, kein Thema für die Öffentlichkeit. Warum man gravierende Probleme im Vorfeld nicht bedacht hat? Der Frankfurter Orientalistik- Professor Hans Daiber sieht es so.

    " Das ist ganz einfach dadurch entstanden, dass die geisteswissenschaftliche Zentrumsbildung über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen wurde, das ist eine politische Angelegenheit gewesen. "

    Tatsächlich, so räumt Ingwer Ebsen ein, Vizepräsident der Universität Frankfurt, wie knifflig die Details sein würden, habe man nicht abgesehen.