Simon: Aber mal aus der Sicht des Praktikers: Sie haben vor Ort in Projekten gearbeitet, in Bagdad und auch außerhalb Bagdads. Kann man es sich denn leisten, im Irak so lange zu warten mit der Hilfe? Die Menschen brauchen das doch.
Schäfer: Ja, das ist ja nun die schlimme Zwickmühle, in der wir alle sind. Auf der einen Seite muss man einfach sehen, dass die Infrastruktur des Irak wirklich am Boden liegt. Die ist wirklich über die Jahre vernachlässigt worden. Von den Schulen angefangen über Abwassernetz, über die Strom- und Wasserversorgung alles wirklich verrottet ist. Dort ist dringend Hilfe nötig. Auf der anderen Seite ist es einfach so, dass es ein fast unkalkulierbares Risiko ist, dort zu arbeiten, weil es eben Gruppen im Land gibt, die aus politischem Kalkül diese Aufbauarbeit verhindern wollen.
Simon: Wie gehen Sie denn mit dieser Bedrohung um bei Caritas? Haben Sie Projekte, haben Sie genug deutsche Mitarbeiter, die vor Ort arbeiten können? Wie lösen Sie das Problem?
Schäfer: Also, die Caritas ist in einer glücklichen Position, dass es eine Caritas Irak gibt, die seit 1992 im Land aktiv ist und 150 irakische Mitarbeiter wie Ärzte, Sozialarbeiter und Ingenieure hat. Und wir können jetzt auf diese Leute in dieser Situation zurückgreifen, was natürlich die Arbeit sehr viel einfacher macht. Wir sind da also privilegiert und in einer glücklichen Lage, wenn man das mit anderen Hilfsorganisationen vergleicht, die eben jetzt erst anfangen müssen, Strukturen aufzubauen und eben auch sehr viele Ausländer ins Land bringen müssen, um überhaupt erst einmal arbeiten zu können.
Simon: Ich nehme an, Sie haben für Ihre Projekte vor Ort genug Geld. Wie sehr behindert es Sie, dass eben die Straßen nicht funktionieren, dass Strom und Wasser nicht vorhanden sind, dass vieles fehlt, was im normalen Staat da ist?
Schäfer: Es wird eben alles sehr viel langsamer. Man kann es vielleicht an einem Projekt verdeutlichen. Wir haben ein Wasseraufbereitungsprojekt für den Südirak gestartet. Das Problem dort ist ja, dass die Flüsse verdreckt sind. Das Wasser, das aus dem Brunnen, aus dem Boden kommt, ist so salzig, dass es nicht trinkbar ist. Man braucht also wirklich dringend Wasseraufbereitungsanlagen. Wir haben drei große solcher Anlagen angeschafft, die sitzen in Bagdad im Lager und jetzt geht es darum, sie aufzustellen. Technisch ist das alles kein Problem, das könnte jederzeit angegangen werden. Das Problem ist, es jetzt abzustimmen, und zwar nicht nur mit den irakischen Behörden, die ja inzwischen auch wieder, wenn auch langsam, arbeiten, sondern man muss es auch mit UNICEF abstimmen, weil UNICEF die sogenannte Leading Agency für die Wasserversorgung ist.
Simon: Also die die Führung bei diesen Projekten übernimmt.
Schäfer: Genau, UNICEF koordiniert die Wasserversorgung unter den Hilfsorganisationen, und dann muss man es natürlich mit den Amerikanern und den örtlichen Clanchefs abstimmen, damit da eben auch klar ist, wenn in einer Gemeinde eine Wasseraufbereitungsanlage kommt, dass es keinen Unfrieden gibt, weil dann die nächste Gemeinde sagt, wir haben da nichts davon. Mit diesen ganzen Leuten muss man sprechen. Es gibt kein Telefonnetz im Irak, das heißt, wenn man mit jemandem sprechen will, dann muss man hinfahren. In Bagdad gibt es Verkehrschaos, es dauert schon Stunden, in Bagdad irgendwohin zu kommen. Dann kann man nur hoffen, dass derjenige da ist, wenn nicht, dann muss man am nächsten Tag wiederkommen. Das zieht sich alles in die Länge. Eine Frage, die am Telefon in zwei Minuten geklärt werden kann, kann teilweise sich über eine Woche hinziehen, bis dann endlich die Antwort kommt.
Simon: Herr Schäfer, wie bürokratisch oder unbürokratisch verläuft denn die Arbeit mit den Besatzungsmächten und der UNO?
Schäfer: Ich möchte den Amerikanern, die ja nun wirklich bei allem im Endeffekt das letzte Wort haben, wirklich zugestehen, dass sie wirklich helfen wollen, zumindest glaube ich das von den Leuten, mit denen ich zu tun hatte. Das Problem ist, dass sie in einem völlig fremden Land sind, dass sie sich nicht auskennen und dass die Mentalität der Leute, mit denen sie zusammen arbeiten, auch eine andere ist. Das heißt, es ist alles sehr viel langsamer, es ist alles sehr viel schwieriger und problematischer. Es läuft anders als wir das gewohnt sind. Man kann nicht irgendwo einfach hinmarschieren und kann sagen, ich bin Herr Soundso von der Caritas und ich möchte bei Ihnen ein Wasserprojekt aufstellen, wie sieht das aus? Das sind alles ganz andere Umgangsformen. Die Leute haben auch oft persönlich einfach noch sehr viel anderes zu tun. Das heißt, es zieht sich einfach alles sehr in die Länge, es ist alles sehr schwierig. Die ganzen Strukturen sind ja auch überhaupt erst im Aufbau begriffen und entwickeln sich, das heißt, es ist alles sehr zeitraubend.
Simon: Das heißt also die Gelder, die jetzt voraussichtlich nicht in der erwünschten Höhe kommen, sind gar nicht mal nur das Problem?
Schäfer: Nein, ich könnte mir vorstellen, dass auch bei den anderen Hilfsorganisationen genug Geld da ist. Das Problem ist, das Geld schnell genug umzusetzen und das ist auf Grund der Probleme, die ich gerade geschildert haben, von der Infrastruktur, von der Sicherheitslage eben auch, im Augenblick gar nicht so rasch möglich.
Simon: Wie sehr behindert Sie denn in der praktischen Arbeit vor Ort dieses langsam zunehmende Misstrauen im Klima zwischen Irakern und den anderen anwesenden Ausländern im Land?
Schäfer: Ja, das ist eine ganz komische Situation eigentlich. Ich habe persönlich nicht ein einziges schlechtes Erlebnis im Irak gehabt. Ich habe mit den Irakern, egal, ob es der Bäcker gegenüber vom Hotel ist oder die Kollegen oder wildfremde Leute, denen wir auf der Straße begegnet sind, oder Leute, mit denen wir verhandelt haben, wirklich nur positive Erfahrungen gemacht. Das sind sehr freundliche, hilfsbereite und sehr warmherzige Menschen. Also, von daher ist da auf der eine Seite diese positive Resonanz, auf der anderen Seite immer das Bewusstsein dieser Drohung, dass es auch Gruppen im Irak gibt, die, wie ich schon sagte, aus politischem Kalkül eben die Aufbauarbeit verhindern wollen und dann Ausländern zum Ziel machen.
Schäfer: Das kann man aber beim praktischen Arbeiten doch kaum kalkulieren?
Schäfer: Das ist das Problem. Deshalb ist ja auch die praktische Arbeit sehr eingeschränkt. In viele Gegenden können wir als Ausländer gar nicht hin. Es gibt Stadtteile in Bagdad, wo man sich als Ausländer tunlichst nicht sehen lassen sollte. Es gibt viele Regionen im Irak, wo man nicht hin kann. Also, wir wollten eine Wasseraufbereitungsanlage besichtigen, die Caritas vor dem Krieg aufgebaut hatte, wo jetzt nicht klar war, arbeitet die noch, ist die kaputt, muss sie repariert werden. Da konnten wir zum Beispiel nicht einfach hinfahren, da mussten wir uns mit Einheimischen vor Ort erst absprechen. Das ging über zwei Wochen, bis die gesagt haben, okay, wir holen euch ab, wir fahren mit unserem Auto, wir geleiten euch dorthin und dann seid ihr sicher. Alles andere ist ein Risiko, das unkalkulierbar ist.
Simon: Erfahrungen in der täglichen Aufbauarbeit im Irak. Das war Hanno Schäfer, Mitarbeiter von Caritas Deutschland, vielen Dank für das Gespräch.