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Schwimmen im Meer als Leidenschaft

Von dem Schriftsteller Paul Morand liegt in Deutsch nur eine Handvoll Bücher vor. Offenbar scheint er hierzulande nicht wenigen suspekt, denn Morand arbeitete als Diplomat für die Vichy-Regierung. In Frankreich war er deshalb lange eine "persona non grata", was jedoch nicht seinen, späten, Eintritt in die Académie française verhinderte. Nun hat sich der marebuchverlag daran gewagt, ein Werk des umstrittenen aber gleichwohl brillanten Autors zu heben: "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers" heißt die deutsche Ausgabe eines Buches, das 1960 unter dem Titel "Bains de Mer, Bains de Rêve" erschien und von einer Leidenschaft erzählt - dem Schwimmen im Meer.

Von Krischan Schroth |
    Er war elitär und konservativ, er hielt nicht viel von der Masse, schon gar nicht, wenn es ums Bad ging, ums Bad im Meer. Dem Meer nähert man sich angezogen, nackt nur, wenn man allein ist. Man nähert sich ihm als Kenner, der etwas vom Salzgehalt des Wassers und den strandnahen Pflanzen versteht, und dem Bevölkerung und Geschichte des Landes ein Begriff sind, mit einem Wort, ein gebildeter Weltmann ist - so wie der 1888 in Paris geborene und 1976 daselbst gestorbene Paul Morand. Von dem Autor liegt in Deutsch nur eine Handvoll Bücher vor - offenbar ist er hierzulande nicht wenigen suspekt, denn Morand arbeitete als Diplomat für die Vichy-Regierung. In Frankreich war er deshalb lange eine "persona non grata", was jedoch nicht seinen, späten, Eintritt in die Académie française verhinderte. Nun hat sich der marebuchverlag daran gewagt, ein Werk des umstrittenen aber gleichwohl brillanten Autors zu heben: "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers" heißt die deutsche Ausgabe eines Buches, das 1960 unter dem Titel "Bains de Mer, Bains de Rêve" erschien und von einer Leidenschaft erzählt - dem Schwimmen im Meer.

    Alles begann, unterrichtet uns der Autor, mit jenem plötzlichen Run aufs Meer der 10er Jahre des 20. Jh., denn bis dahin galt ein Bad im Meer als frivol und deshalb unchristlich. Zunächst noch halb angezogen, sprang man in den 20er Jahren bereits weitgehend nackt ins Wasser. Mit den Twenties trat dann überhaupt eine neue Generation auf den Plan: sie ließ die Hüllen fallen, verdiente ihr Geld an der Börse und feierte an den Stränden Europas einen exklusiven Hedonismus. In den 20er Jahren war auch Paul Morand in den besten Jahren, und auch ihn packte die Bademode. 1913 in den diplomatischen Dienst getreten, reiste er kreuz und quer durch Europa. Und so führt uns sein überaus lesenswertes Buch, das Jürgen Ritte in ein direktes, modernes Deutsch übertrug, nahezu allen Küsten unseres Kontinents zu, wo einsame Strände noch der Normalzustand waren. Als hässliches Gegenbild fungieren stets die fünfziger Jahre mit ihren Massentouristen. Die aquatischen Erinnerungen Morands sind aus dem Geist der 20er Jahre geschrieben, oft schweifen sie in diese Zeit ab, als ein Pläsier rasch das nächste abwechselte. Schlag auf Schlag geht es in dem wunderbaren Meeresbrevier des Liebhabers von Sportwagen, des modernen Dandys von einem Strand und Land zum nächsten. In Spanien verlustierte man sich so:

    " Was für bezaubernde Bäder und wie viel Langusten "à l'américaine" habe ich in den Jahren 1919 und 1920 in Renteria (...) genossen! Etwas weiter, die kantabrische Küstenstraße (...) entlang (...) in Deva gebadet, wo die Kastanienwälder bis ins Meer hinein wachsen;"

    In Hellas ging er, wie er sagt, mit Miss Griechenland ins Wasser, abends vergnügte man sich auf einem Orchesterball; in Palermo machte er einen Kopfsprung ins offenbar saubere Hafenbecken; an der dalmatischen Küste:

    "(...) entkleidete ich mich im Schatten schweigender Zypressen (...) und tauchte in ein vollkommen transparentes Wasser; unter mir hatte ich Riffgebirge, die so violett leuchteten wie eine von Bougainvilleen überwachsene Mauer;"

    An der Côte d'Azur lebte er auf einem Boot, in Saint-Tropez ... und so weiter und so weiter. Morand malt ein Leben des Genusses, dem jeder Grund zu fehlen scheint, und so wundert es auch nicht, dass ihm selbst das Meer eines Tages wie ein hedonistisches Spektakel vorkommt:

    " Das Meer hat kein Alter; es wirft Falten, um sie im nächsten Augenblick zu verlieren; (...) es ist turbulent wie die Kinder: stets in Bewegung und doch ziellos; seine Wellen verausgaben sich und zerschellen in reiner Nutzlosigkeit, sie türmen sich auf und stürzen ins tosende Nichts;"

    Wie der écrivain-diplomate, der mit einer rumänischen Prinzessin verheiratet war, gelebt hat, so hat er auch geschrieben. Morand hat unzählige Reisen unternommen, und nebenher etwa achtzig Bücher geschrieben - an den meisten hat er wohl nicht länger als sechs Monate gesessen. Sein Stil hat etwas flüchtiges und hingeworfenes, nicht jede Seite scheint durchgearbeitet. Im ganzen sind seine Bücher aber immer brillante, scharfsichtige und provokante Zeitanalysen. Denn so sehr uns hier Morand seinen fröhlichen Hedonismus vorlebt, so sehr hat er ihn auch durchschaut und kritisiert. Auch in dem Satz vom Meer, das sich da "ins tosende Nichts" stürzt, ist eine feine Ironie eingebaut. Proust sagte über seinen Freund Morand einmal:

    " Dieser neue Schriftsteller ist im allgemeinen ziemlich mühsam zu lesen und schwer zu verstehen, weil er die Dinge durch neue Zusammenhänge verbindet."

    Für Proust gewöhnungsbedürftig war, dass Morand eine Gesellschaft porträtierte, die an einem nostalgischen Blick in alte Zeiten kein Interesse mehr hatte, und sich lieber voll und ganz der Gegenwart überließ. Und das hieß, ein Leben unter Tempo führen. In Morands Roman "Die Fusion" von 1924 verwechseln eine Griechin und ein Franzose, beide in der Finanzbranche tätig, ihre Ehe mit einer Firmenfusion - letztlich sprengt die in die Beziehung brechende ökonomische Dynamik den Bund. In dem Roman "Der Mann in Eile" von 1941 scheitert die Beziehung, weil der Hauptheld mehr auf seine Uhr sieht als zu seiner Frau. Er hat für nichts mehr wirklich Zeit. Ein Satz aus der "Fusion" fasst dieses neue Gehetztsein auf verblüffend aktuelle Weise zusammen:

    " Wir leben in einer Zeit, wo die Dinge sich schneller von uns abwenden als wir uns von ihnen."

    Die nervösen, genusssüchtigen, geldgierigen Figuren, vor allem der frühen Romane Morands, erscheinen uns heute wie die noch vereinzelten Prototypen des in den fünfziger Jahren einsetzenden Massentourismus. Morand zeichnete diese Vorhut noch mit Charme, Kultur und Geschmack (sie wussten sich noch zu benehmen). Ihre Nachfahren indes - letztlich schon eine andere Generation - waren ihm ein Graus:

    " (...) an der Copacabana (...) ein menschlicher Ameisenhaufen; (...) ‚moonlight swims', vollkommen nackt, in Kalifornien; (...) überall das Gewimmel von rot lackiertem Blech, der Krawall und der Schallplattenlärm, der das Geräusch der Wellen erdrückt (...)
    Das ist die Inflation einer grenzenlosen, universellen Vergnügungslust, der Albtraum einer permanenten Bootsmesse. (...) die angeschwärzten Häute auf weißem Sand wirken wie Negative, wie Negativaufnahmen einer abgelegten Zivilisation."

    Diese Worte sind Teil einer Schlusstirade, so zeitgemäß, als wäre sie erst kürzlich verfasst worden. Darin drückt sich die strikte Ablehnung eines Daseins aus, das vollkommen industrialisiert ist, bis zum Freizeitbereich. Denn auch zwischen Meer und Mensch haben sich Unternehmen gestellt, die für Transport, Unterbringung und Unterhaltung sorgen. Betonierte Ufer samt Freizeitpark sind das Resultat - Morand sieht hier nur Entfremdung, wo die meisten noch Natur sehen. Über Morands politische Ansichten lässt sich nur spekulieren. Aber man kann ihn im weitesten Sinne konservativen Schriftstellern wie Ernst Jünger zurechnen, die in einem zunehmend technokratischer werdenden Leben keineswegs ein erstrebenswertes Ziel sahen. Eine Begegnung mit dem Meer war für diese Autoren eine Begegnung mit einer Naturgewalt, die eine Gefahr impliziert. Ein Gefahr, welche man sich nicht von einem Freizeitunternehmer durch eine Versicherung abnehmen lässt. Man denke hier nur an die generelle Abneigung von Ernst Jünger, mit dem Morand gut bekannt war, Versicherungen gegenüber. Begibt man sich ins Meer, ins Gebirge oder in die Wüste, zu den elementaren Mächten der Natur also, so wirft man sein Leben mit in die Waagschale. Es gehört demnach Gefahr dazu, wenn man sich aufs Meer einlässt, und, Morand hat es oft betont, Einsamkeit. Wer das Meer einsam genießt, wer wie Morand weit, zu weit hinaus schwimmt, der wird, umgeben von Stille gepaart mit einem gewissen Risiko, wieder einen Begriff vom Meer bekommen. Doch werden die meisten hektischen Ausflügler weder lange die Gefahr noch die Stille aushalten wollen. Eine Stille, in der plötzlich das Verrinnen der Zeit spürbar wird. Doch in einer solchen Ruhe wäre auch wieder Platz für einen poetischen Blick auf die Welt. Hören wir in diesem Sinne noch einmal Morand, der in einer überaus dichten Passage, in seinem typisch physischen Stil eine Fahrt auf Englands Küste zu beschreibt, und diese Küste dann ins Verhältnis zu den Ufern Flanderns setzt:

    " Die weißen Felsen geraten in Sichtweite: Das ist schon das Licht des Nordens; (...) eine Märchenwelt, eine Shakespeare-Welt. Die natürlichen Mauern Englands bilden den Kontrast zu den grünen Ebenen Flanderns, zum batavischen Watt, wo der Frühdunst sich auf frei liegendes Heidekraut schlägt, auf wilde Myrte, wo die Wacholdersträucher am Ufer von Seewasser umspült werden (...)"