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Schwindelerregende Konzentrationen

Seit bald 90 Jahren ist der erste Weltkrieg vorbei, doch auf den Schlachtfeldern im Osten Frankreichs hat er Spuren hinterlassen, die auch heute noch gefährlich sind: Rückstände von Kampfstoffen schlummern unter der Erde. Nicht umsonst haben die Franzosen darüber nicht nur Gras, sondern gleich Bäume wachsen lassen, um eine Nutzung für die Landwirtschaft zu verhindern. Forscher haben an einzelnen Stellen bei Verdun erschreckend hohe Konzentrationen giftiger Stoffe gefunden und drängen nun auf umfassende Untersuchungen.

Von Siegfried Forster | 20.09.2007
    Beim Stichwort Verdun denken viele an die 700.000 Tote des jahrelangen Gemetzels. An die noch im Boden steckenden chemischen Kampfstoffe, Blindgänger und unverschossene Munition denken die wenigsten. Zu Unrecht. Tobias Bausinger vom Geografischen Institut der Gutenberg-Universität in Mainz ist einer der beiden Wissenschaftler, die nun haarsträubenden Verseuchungen auf die Spur gekommen sind:

    "Wir haben nordöstlich von Verdun einen Brandplatz für arsenhaltige Kampfstoff-Munition untersucht. Die Fläche hat eine Dimension von ungefähr einem Hektar. Das mag recht klein erscheinen, jedoch ist das Zentrum dieser Fläche von sehr hohen Arsen-Konzentrationen charakterisiert. Wir haben also im Boden Arsen-Konzentrationen gefunden, die sich ungefähr tausend- bis zehntausendfach über dem normalen eines unbelasteten Bodens bewegen."

    Schwindelerregende Arsen-Konzentrationen, die im französischen Umweltministerium derzeit offenbar noch gelassen gesehen werden. Jean-Luc Perrin ist Leiter der Abteilung für Boden-Belastungen und radioaktive Verseuchungen:

    "Die Frage nach dem Ausmaß dieser Belastungen muss sich notwendigerweise danach bemessen, welche Verwendung man von diesem Standort macht. Dieser "Place à gaz" (Gasplatz) genannte Standort befindet sich in einem Waldstück, welches der staatlichen französischen Forstbehörde ONF untersteht. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man entschieden, diese gesamte Region zu bewalden, eben, um die Nutzung dieser Landstriche zu verhindern, insbesondere die landwirtschaftliche Nutzung. Und auch den Zugang zu diesem Standort."

    Über die Geschichte nicht Gras, sondern Bäume wachsen lassen, eine Strategie, die sich mittlerweile als nur bedingt wirksam erweist, bzw. mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Wissenschaftler Tobias Bausinger entdeckte beispielsweise in dem verseuchten Waldstück bei Woëvre eine Holzbaracke und einen Grillplatz genau an jener Stelle, wo mit 150.000 Milligramm pro Kilo die höchsten Arsenwerte festgestellt worden sind. Inzwischen wurde die kontaminierte Zone zum Sperrbezirk erklärt. Für Jean-Luc Perrin vom französischen Umweltministerium ist damit das Risiko für Mensch und Umwelt praktisch hinter Schloss und Riegel:

    "Es geht darum zu wissen, ob diese Verschmutzungen sich verlagern können oder nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass das Grundwasser und die Trinkwasser-Reserven regelmäßigen Kontrollen unterworfen sind. Wenn es also ein Problem im Hinblick auf eine erhöhte Schadstoff-Konzentration gegeben hätte, dann wären wir darüber informiert worden und hätten die notwendigen Untersuchungen eingeleitet. Bis heute haben die üblichen Trinkwasser-Kontrollen zu keinem besonderen Alarm geführt."

    Eine idyllische Sicht dieser ehemaligen Kampfzone angesichts der bekanntlich krebserregenden Arsen-Konzentrationen bemerkt Tobias Bausinger:

    "Im Rahmen unserer Studie konnte auch gezeigt werden, dass am Standort Verdun Arsen durch versickerndes Niederschlags-Wasser in die tieferen Bodenschichten und auch in das weitere Umfeld des Brandplatzes wandert. Angesichts der sehr hohen Arsen- und Schwermetall-Konzentrationen im Boden und Wasser kann von einer gefährlichen Umwelt-Verschmutzung meines Erachtens ausgegangen werden."

    Bausinger nimmt zudem an, dass im Umfeld dieser ehemaligen - bis Belgien reichenden - Kriegsfront weitere ähnlich verseuchte Zonen existieren, die bislang nicht als solche erkannt worden sind. Die große Gefahr: Dass diese Flächen aus Unwissenheit ganz einfach wieder etwa landwirtschaftlich genutzt werden. Nur ein europäisches Forschungs-Projekt könnte hier Abhilfe schaffen:

    "Wenn alle beteiligten Länder – soll heißen im wesentlichen Belgien, Deutschland oder Frankreich - hier an einem Strang ziehen würden, käme man sicherlich in recht kurzer Zeit zu einer befriedigten Klärung dieses Sachverhaltes."