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Seefahrer im 18. Jahrhundert
Geschönter Kolonialismus

Reiseberichte legendärer Seefahrer wie James Cook, Jacob Roggeveen oder Vitus Bering erzählen Geschichten von heroischen Expeditionen in ferne Länder. Forscher der Universität Bonn haben herausgefunden, dass nicht alle Berichte der Wahrheit entsprechen. Viele Tagebücher wurden bewusst manipuliert.

Von Antje Allroggen | 14.01.2016
    Der Dreimaster Pirat, ein altes Segelschiff, an der Ostseekueste von Polen (2013)
    Der Dreimaster Pirat, ein altes Segelschiff, an der Ostseekueste von Polen (2013) (picture alliance / Beate Schleep)
    Aus der dritten Reise von James Cook: "Ein Morgen wars, schöner als ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an dem wir die Insel Tahiti zwei Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter, hatte sich gelegt, ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Oberfläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel. Noch schien alles im tiefsten Schlaf; kaum tagte der Morgen, und stille Schatten schwebten hoch noch auf der Landschaft."
    Die meisten Reiseberichte, die zu Zeiten Cooks regelrechte Bestseller waren, nähren bis heute das Bild von heroischen Expeditionen in exotische Paradiese. Die Bonner Amerikanistin Juliane Braun deckt in ihrem Forschungsprojekt "Transozeanische Welten" auf, dass fast alle historischen Berichte über Seereisen in den Pazifik im 18. Jahrhundert bewusst manipuliert wurden:
    "Es gibt offiziell von den jeweiligen Regierungen sanktionierte Berichte, wo Tagebücher, Logbücher etc. der Entdecker selbst ganz stark editiert wurden. Das ist vielleicht das erste, wo man dann auch ablesen kann, wie stark die Regierung jeweils eingegriffen hat in die Berichterstattung. Also da werden einfach entscheidende Teile weggelassen."
    Ein Beispiel: Die englische Regierung hatte den Kirchenmann John Douglas damit betraut, den offiziellen Reisebericht zu Cooks dritter Expedition zu verfassen. Während in einem Augenzeugenbericht etwa die Rede davon ist, dass Cook einem hawaiianischen Dieb zu Fuß hinterherrannte, dieser aber Katz und Maus mit ihm spielte, kommt diese Textstelle bei Douglas überhaupt nicht vor. Sie hätte am Mythos Cooks kratzen können.
    Vor allem die Übersetzungen der Reiseberichte verfolgten nicht wirklich das Ziel, den Urtext originalgetreu wiederzugeben.
    Französische Neuentdeckungen wurden englischen Pionieren zugeschrieben
    "Es gibt eine Reiseberichtsammlung von französischen Seefahrern, von Charles de Brosse, der hat einfach in einem Band oder in mehreren Bänden, in einer Ausgabe gesammelt, was die Franzosen so gemacht haben im Pazifik an Entdeckungen. Also wo wollten die hin, was haben die gemacht, was haben die entdeckt. Und die Herausgabe wurde ins Englische übersetzt. Und der Übersetzer John C. hat einfach (...) knallhart jedes Mal, wenn Frankreich erwähnt wurde, England eingesetzt oder für Französisch eben Englisch, um einfach sozusagen England als die vorherrschende Macht im Pazifik oder bei den Neuentdeckungen darzustellen. Und die französischen Errungenschaften wurden dann so unter den Tisch gekehrt."
    Wie weit die Übersetzer die originalen Texte bewusst schönten, zeigt sich laut Juliane Braun selbst in den Details wie Pflanzen-, Landschafts- oder Naturbeschreibungen. Hier kam es auch in der deutschen Übersetzung von James Cooks letzter Reise zu allerlei Leerstellen. Im Vorwort der von Georg Forster verfassten deutschen Ausgabe aus dem Jahr 1789 heißt es etwa:
    "Bei den Beobachtungen, welche Naturgeschichte betreffen, habe ich berichtigt und bestimmt, was sich bestimmen ließ. Es bleibt indeß nicht vieles übrig, wovon ich keine genaue Rechenschaft geben kann."
    Wie ungenau die Übersetzungen der Reiseberichte aus dieser Zeit sind, haben schon zahlreiche Forschungsarbeiten nachgewiesen.
    Juliane Braun unternimmt mit ihrem Projekt nun den Versuch, sich den Reiseberichten mit einer fachübergreifenden Methodik zu nähern, die über das bisherige Forschungsfeld der Amerikanistik weit hinausgeht. Dabei interessiert sie sich nicht nur für die verfälschten Übersetzungstexte, sondern auch für die Originalquellen: Der Wissenschaftlerin zufolge spiegelt sich die Weltsicht der Verfasser fast immer in ihren Reiseberichten wider.
    Die Beschreibung von Tier- und Naturphänomenen, von denen es in den Expeditionsberichten viele gibt, scheint abhängig vom religiösen und kulturellen Hintergrund des Verfassers zu sein, so Braun. So schildern beispielsweise russische Forscher den Seeotter anders als ihre deutschen Kollegen. Beide Forschernationalitäten waren bei der Bering-Expedition dabei. Sie führte von der russischen Halbinsel Kamtschatka über die Arktis. Auf dieser Reise begegneten Wissenschaftler zum ersten Mal dem Seeotter.
    "Das ist sozusagen mein Kernpunkt der Untersuchung, weil die Frage ist ja: Wie beschreibt man etwas, das man noch nie gesehen hat. Und dann gibt es ein Buch, das heißt ´Die merkwürdigen Seebewohner´ von Stella: Jedes einzelne Körperteil wird beschrieben, aber immer in Relation zu dem, was man schon kennt. (...) Also es wird immer verglichen mit Tieren, die man schon kennt, und daraus fügt sich ein neues Bild zusammen. Ganz wichtig auf allen Expeditionen."
    In Georg Wilhelm Stellers "Ausführliche(n) Beschreibung(en) von sonderbaren Meerthieren aus dem Jahr 1753 heißt es:
    "Seine Größe ist wie ein mittelmäßiger Hund, der Kopf etwas rund, fast wie ein Katzenkopf, die Nase aber etwas spitzer, die Augen schwarz und rund, die Ohren auch etwas rund. Es hat einen Bart. Sein Geschrei ist wie von Hunden; es nähret sich von Seekrebsen und Fischen."
    Aufarbeitung unerforschter Kolonialgeschichte
    Das Bonner Forschungsprojekt kombiniert die bekannten methodischen Ansätze aus den Buchwissenschaften außerdem noch mit den sogenannten environmental humanities – also einem Ansatz, der die Lebens- und Geisteswissenschaften zusammenbringt. Eine neue Forschungsrichtung, die nun zum ersten Mal auf die früheren Entdeckungen im Pazifik angewandt wird.
    "Hier am Lehrstuhl, also im American Studies-Programm gibt es einen Forschungsbereich zu den Ecologies of Knowledge, d.h. ist Ökologie und Wissen und Wissenszirkulation, ist also stark geisteswissenschaftlich geprägt, nimmt aber Elemente, Begriffe aus den Lebenswissenschaften. Zum Beispiel Ökologie ist da ein zentrales Feld. Das andere, was in Bonn seit kurzer Zeit sehr stark vertreten ist, ist das Bionetzwerk, das sich einfach auch mit Fragestellungen von Nachhaltigkeit, von Klimaveränderungen und solchen Dingen beschäftigt, und damit kann ich mit meinem Projekt eine historische Perspektive liefern."
    "Zum Beispiel, um noch einmal auf den Seeotter zurückzukommen, das hat natürlich, wenn man so ein Tier fast ausrottet, schon im 18. / 19. Jahrhundert Folgen für Bevölkerungen, für die der Seeotter eine wichtige Nahrungsquelle war. Dann fehlt die Nahrungsquelle, dann muss die Bevölkerung woanders hin."
    Juliane Brauns Projekt will auch einen indigenen Blick auf Cooks Eroberungen werfen. Die Sicht der Hawaiianer auf den plötzlichen Einfall der britischen Mannschaft auf ihrer Insel etwa ist bis heute kaum wissenschaftlich behandelt. Braun will deshalb hawaiianische Archive aufsuchen. Spätestens dann dürfte weniger die kolonialistische Perspektive der Entdeckungen im Vordergrund stehen, als auch die Folgen der Expeditionen für die indigene Bevölkerung. Bis heute – so ist sich die Amerikanistin sicher – tragen die Hawaiianer bleibende Verletzungen der gewaltsamen Landeinnahme davon.
    "Diese Entdeckung ist ja, wenn wir jetzt von Hawaii sprechen, doch der erste Schritt zur Kolonialisierung, und es wirkt ganz stark nach. Es gibt Bestrebungen, sehr stark, die hawaiianische Kultur wieder zu fördern, weil sie einfach Jahrhunderte lang unterdrückt wurde. Und ich denke, dass das noch sehr lange nachwirken wird, in den nächsten 50, 100 Jahren bestimmt."