Durak: Was das Letztere betrifft, da haben ja viele Ärztevertreter ganz andere Befürchtungen. Aber lassen Sie mich kurz noch mal auf die Krankenkassen zu sprechen kommen: Die Beitragssenkungen, die eigentlich damit versprochen waren, mit der Gesundheitsreform, sind ja zum Teil sehr zögerlich erst angekündigt worden und zum Teil auch sehr spärlich. Ist das gerecht und auch richtig von den Krankenkassen gewesen?
Seehofer: Ja, wir werden diese Beitragssenkungen bekommen, möglicherweise um einige Monate verzögert, aber sie werden kommen. Der Hauptgrund liegt schlicht und einfach darin, dass ein Teil der Kassen deutlich höher verschuldet war - übrigens rechtswidrig verschuldet war - als sie dies bisher der Politik gesagt haben. Da ist viel getrickst und getäuscht worden, und das ist mit der Grund, warum jetzt einige Kassen auf Grund ihrer Verschuldenslage, die sie verschwiegen haben, nicht die Beiträge senken können, wie wir das eigentlich vorhatten. Aber die Beitragssenkung wird mit zeitlicher Verzögerung kommen.
Durak: Herr Seehofer, der Bürger hat vorher etwas anderes vermittelt bekommen, und nun liegt es in der Hand der Krankenkassen, sozusagen nachzuziehen. Deshalb noch einmal die Frage: Ist das gerecht?
Seehofer: Ich halte das Verhalten der Krankenkassen eigentlich nicht für richtig. Eigentlich müssten sie die Einsparungen in Beitragssenkungen an die Versicherten weitergeben. Aber wir können sie nicht zwingen; die Krankenkassen sind selbstverwaltet. Dort sitzen Gewerkschaften und die Arbeitgeber im Aufsichtsrat, und ich kann jetzt an die Kassen nur appellieren, alle Spielräume der Beitragssenkung so früh wie möglich zugunsten der Versicherten zu nutzen.
Durak: Kommen wir, Herr Seehofer, auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Die Kritik aus der Ärzteschaft an der Gesundheitsreform ist ja vielfältig. Unter anderem wird beklagt, man würde zu sehr reglementiert. Das Zweite, was ich jetzt ansprechen möchte, ist, dass man befürchtet, die flächendeckende Versorgung der Menschen sei nicht mehr gewährleistet. Warnen die Ärzte hier zu Recht oder zu Unrecht?
Seehofer: Zum ersten Argument mit der Überbürokratisierung der Gesundheitswesen warnen sie zu Recht. Das ist so. Es wird leider Gottes im deutschen Gesundheitswesen immer mehr für die Bürokratie und immer weniger für die medizinische Versorgung der Bevölkerung ausgegeben. Da müssen wir gemeinsam dran arbeiten, Ärzte und Politik und Krankenkassen, damit diese Überreglementierung abgebaut wird. Da haben die Ärzte Recht. Im zweiten Punkt, kann ich die Klage der Ärzte nicht verstehen. Es wird eindeutig auch in der Zukunft bei einer flächendeckenden und hochwertigen Versorgung der deutschen Bevölkerung bleiben. Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dieses Argument der Ärzteschaft kenne ich jetzt seit zwanzig Jahren, und diese Befürchtung, die sie jetzt seit zwanzig Jahren immer wieder artikulieren, ist zu keiner Zeit eingetreten, und sie wird auch in der Zukunft nicht eintreten. Wir wollen das auch als Politik nicht. Unser Hauptziel ist ja - und dafür nehmen wir auch die Selbstbeteiligung der Kranken in Kauf - dass eine hochwertige Versorgung für alle in unserer Bevölkerung, ob jung oder alt, auch in der Zukunft gewährleistet ist.
Durak: Wenn es denn so ist, dass zu viel Bürokratie herrscht - auch mit der neuen Gesundheitsreform - stellt sich natürlich die Frage, Herr Seehofer, konnten Sie, da Sie ja mitgearbeitet haben an diesem Kompromiss, das nicht verhindern?
Seehofer: Wir haben ja auch einiges, was endbürokratisiert wurde; das Gute wird halt immer verschwiegen. Zum Beispiel, dass wir Schluss machen mit der Budgetierung der Ärztehonorierung oder Budgetierung mit dem Krankenhaus. Das war ja auch ein Übermaß an Reglementierung. Aber gewisse Dinge, die es halt seit zehn, zwanzig Jahren gibt, können Sie nicht von heute auf morgen einfach vom Tisch wischen. Deshalb haben wir uns jetzt bei dieser Gesundheitsreform mal auf eine Notoperation konzentriert, aber wir konnten jetzt nicht alle Aufgaben, die im Gesundheitswesen anstehen auf einmal und mit einem Schlage lösen.
Durak: Eine Notoperation, sozusagen am offenen Herzen dieser Gesellschaft, Herr Seehofer. Wie lange darf eine Notoperation den Patienten strapazieren?
Seehofer: Wir brauchen einfach drei, vier Jahre - das haben wir von Anfang an gesagt - bis unsere Krankenkassen saniert sind, bis die Schulden weg sind und die Beitragssenkungen runter bis zu 13 Prozent im Durchschnitt erfolgt sind. Es ist einfach die alte Lebensweisheit: Wir brauchen zum Aufarbeiten von Problemen ziemlich genauso lange, wie man zum Entstehen der Probleme gebraucht hat. Diese Probleme sind über mehrere Jahre entstanden und die können, wenn sie die Versorgung der Bevölkerung nicht gefährden wollen, auch nicht mit einem Blitzschlag gelöst werden. Wir haben uns deshalb diesen Zeitraum von vier Jahren gesetzt. In diesen vier Jahren - da bin ich mir ganz sicher - werden die gesetzlichen Krankenkassen finanziell saniert sein.
Durak: Könnte es nicht auch noch länger dauern, Herr Seehofer? Denn es könnte ja sein, dass sich unser gesellschaftliches Grundverständnis von gesundheitlicher Betreuung und Versorgung ändert, auch ändern muss. Von Seiten der Patienten eine höhere Selbstverantwortung - nicht nur Selbstbeteiligung - von Seiten der Ärzte her, die auch leistungsorientierter handeln müssen, auch von Krankenhäusern und Kassen und allem drum herum. Ändert sich unser gesellschaftliches Grundverständnis?
Seehofer: Ich hoffe, in dem Punkt nicht. Ich möchte unserem Bundespräsidenten in einer wichtigen Passage seiner Rede auf dem Ärztetag Recht geben, wo er deutlich noch mal darauf hinweist: So wichtig die Finanzen in der Krankenkasse sind, so sehr dürfen wir das ganze deutsche Gesundheitswesen nicht ökonomisieren, also nur unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit sehen. Gesundheit ist einfach keine Ware, und man kann dort nicht alle Regeln der sozialen Marktwirtschaft, das Gesetz von Angebot und Nachfrage einsetzen, denn das wäre zutiefst inhuman. Deshalb hoffe ich, dass wir ein solidarisches Gesundheitswesen aufrecht erhalten, das heißt, dass im Mittelpunkt unseres ganzen Tun immer die Anliegen eines kranken Menschen stehen. Ich glaube, diesbezüglich darf es nicht zu einer Veränderung der Mentalitäten kommen. Dass die Menschen im Übrigen ein Stück weit Prävention und ein gesundheitsbewussteres Leben als Selbstverantwortung machen sollten, das ist unbestritten, aber da sind die Wirkungen innerhalb von wenigen Jahren in positiver Hinsicht nicht sehr viel.
Durak: Wo liegen denn - abschließend gefragt, Herr Seehofer - die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Gesundheitsreform und bei ihrem erhofften Erfolg? Bei den Ärzten, bei der Regierung, bei den Patienten, bei den Krankenkassen, bei der Pharmaindustrie womöglich?
Seehofer: Natürlich immer bei den Lobbyisten, die versuchen eine Reform zu ihren Gunsten aufzubohren. Das hat es immer gegeben; es läuft ja auch schon wieder. Ich habe immer wieder gesagt, die größte Gefahr droht immer von der Politik selbst. Nämlich dann, wenn sie weich wird und den Interessengruppen nachgibt. Wenn die Gesundheitsreform durchlöchert wird, dann bricht eben das finanzielle Tableau zusammen, dann sind wir wieder so weit, wie wir vor einem Jahr waren. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden. Ich würde also sagen, die Politik soll stark bleiben, obwohl ich gelegentlich inhaltlich anderer Meinung bin, als die Gesundheitsministerin. Was ich sehr respektiere, ist ihre Standfestigkeit, dass sie da nicht ins Wackeln kommt, trotz der Situation, dass sie dort steht, obwohl sie bisher alle auf sie einschlagen haben. Aber das ging mir bisher als Gesundheitsminister nicht anders. Ich war der Buhmann, und jetzt ist die Frau Schmitz die Buhfrau. Aber irgendjemand muss ja die Reformen auch praktisch umsetzen, und da hat Frau Schmitz meine Unterstützung.
Durak: Hinter dieser Frau steht ein starker Mann. Herzlichen Dank, Horst Seehofer, Gesundheitsexperte der Union, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag.