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Segelflug
Im "unteren Luftraum" wird es voll

Segelflugwettbewerb der Extraklasse: Auf dem Bayreuther Flugplatz finden die Deutschen Meisterschaften statt. Sportlerinnen und Sportler sorgen sich aber um ihren Wettkampfort in einer Höhe, die zunehmend auch Drohnen beanspruchen.

Von Michael Watzke |
    Viele Segelflugzeuge stehen in einer Reihe auf der Startbahn.
    Deutsche Segelflug-Meisterschaften in Bayreuth: Startaufstellung der Offenen Klasse (Watzke/dlf)
    Die Glocke ruft zum Piloten-Briefing bei der Deutschen Segelflug-Meisterschaft in Bayreuth. Heiko Hertrich, der sportliche Leiter, ehrt die Etappengewinner des vorangegangenen Tages. Ganz oben auf dem Treppchen steht zum ersten Mal eine Pilotin: „Damit haben wir eine Tagessiegerin auf der Deutschen Meisterschaft: Katrin Senne, Bravo Kilo, 125 Komma 06!“

    Weltmeisterin will den Männern Konkurrenz machen

    Katrin Senne, 52, ist eine von nur drei Pilotinnen im 90-köpfigen Teilnehmerfeld der Segelflug-DM. Die dreifache Familienmutter ist deutsche Segelflug-Meisterin und war schon zweimal Weltmeisterin im Frauen-Wettbewerb. Jetzt will sie auch die Männer-Konkurrenz bezwingen:
    „Wär‘ mal an der Zeit, ja! Aber hier sind sauviele gute Piloten, Weltmeister und Ex-Weltmeister. Also die 18-Meter-Klasse ist eine sehr stark besetzte Klasse.“
    Die 18-Meter-Klasse – also Segelflugzeuge bis 18 Meter Spannweite – ist das teilnehmerstärkste Wertungsfeld. Katrin Senne musste sich nach längerer Wettbewerbspause mühsam an die Spitze zurückkämpfen:
     „Ich hab‘ selber drei Kinder großgezogen, in der Zeit war es echt schwierig, als die klein waren. Da hab‘ ich auch ein paar Jahre Pause gemacht, muss ich gestehen. Und dann wieder den Anschluss zu finden und zu wissen, man hat drei kleine Kinder am Boden: das ist schon für den Kopf nochmal eine spezielle Sache. Weil es nicht ganz ungefährlich ist. Das muss man einfach dazusagen.“

    74-Jähriger wie ein junger Falke

    Neben der 18-Meter-Klasse, in der Katrin Senne startet, gibt es noch Doppelsitzer und die Offene Klasse mit Seglern bis zu 30 Metern Spannweite. Das größte Flugzeug – die „Nimeta“ – pilotiert der älteste und erfahrenste Teilnehmer im Feld: Bruno Gantenbrink, Wettbewerbsflieger seit einem halben Jahrhundert. Am fünften Wertungstag fliegt der 74-Jährige schnell wie ein junger Falke und wird Tageszweiter:
    „In der Tat bin ich gestern sehr gut geflogen, nachdem ich mich über die letzten Tage sehr geärgert hatte. Da hab‘ ich mich schon zum alten Eisen gezählt. Die meisten glauben, dass Segelfliegen mit Wissen zu tun hat oder der Technik, das Flugzeug zu fliegen. Aber im Wettbewerb hat das relativ wenig damit zu tun. Im Wesentlichen ist es das Entscheidungs-Verhalten der Piloten. Denn alles, was wir vor uns sehen und mit dem wir umgehen müssen – Wetter, Taktik der Mitbewerber – ist ungewiss.“

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    Umso mehr zählen Erfahrung und die richtige Risiko-Strategie. Wer zu schnell fliegt und dabei zu viel Höhe verliert, säuft ab, wie es in der Fliegersprache heißt – findet also keine Thermik mehr, also warme, aufsteigende Luft, die das Flugzeug lautlos nach oben trägt. Katrin Senne checkt kurz vor dem Start noch einmal alle Systeme in ihrem engen Cockpit:
    „Jetzt geht’s gleich los, ich muss den Bordrechner anstellen. Dann kommt das Vario-Geräusch, das einem anzeigt, ob’s nach oben oder unten geht. Und jetzt schauen, dass die richtige Aufgabe drin ist. Jawoll!“

    Schwierige Bedingungen, um die besten zu finden

    Ein Schleppflugzeug zieht den Segler auf 600 Meter Höhe. Katrin Senne fliegt in den nächsten vier Stunden ausschließlich mit Wind- und Sonnen-Energie. Heiko Hertrich, der Sport-Leiter, hat einen anspruchsvollen Kurs mit drei Wendepunkten in Oberfranken und dem benachbarten Tschechien gesteckt. Den müssen die Piloten umrunden, also das Gelände in ausreichender Höhe überfliegen.
    „Ja, heute haben wir sie gequält. Wir hatten vier schöne Tage hintereinander. Aber man kann nicht jeden Tag erwarten, dass man bolzen kann und mit Fluggeschwindigkeiten von 200 durch die Gegend fliegt. Wir müssen schon ein bisschen separieren. Und wer Deutscher Meister werden will, der muss auch mit so einem Wetter zurechtkommen. Das war schwieriges Wetter im Westen. Tief, also keine große Flughöhe.“
    Im Flugfunk klagen die Piloten über die schwierigen Bedingungen und die schwache Thermik. Hertrich gibt vom Flugplatz-Tower aus Tipps und Durchhalteparolen: „Um Euch zu beruhigen: wir beobachten einige Streckenflieger, die an der Burg Feuerstein gestartet sind. Im Moment keinen Tiefpunkt, drei Bärte, 1500 Meter. Die machen gut Strecke und fliegen nach Norden.“

    Außenlandung, keine Notlandung

    Am Abend schaffen es fast alle Segler wieder zurück zum Flugplatz Bayreuth – manche allerdings nur mithilfe eines ausgeklappten Triebwerks, das im Rumpf der Segelflugzeuge versteckt ist. Wer kein solches Klapptriebwerk und zu wenig Höhe hat, der setzt sein motorloses Flugzeug auf einem geeigneten Acker oder einer Wiese auf. Das ist ein erprobtes und erlaubtes Lande-Verfahren, erklärt Hertrich: „Das ist keine Notlandung, das ist kein Absturz. Wir nennen es Außenlandung.“
    Aber gerade diese Außenlandungen und das tiefe Fliegen im bodennahen Luftraum könnten zum Problem für Segelflieger werden. Denn diesen bisher wenig genutzten „unteren Luftraum“ könnten in Zukunft Drohnen und Flugtaxis besetzen. Wettbewerbs-Pilot Thomas Liebert ist Mitglied im Ausschuss „Unterer Luftraum“ des Deutschen Segelflug-Verbands: „Wir sind in Regionalbereiche unterteilt. Mein Aufgabengebiet ist die Mitte, wo auch der Frankfurter Raum reinfällt.“
    Liebert kämpft dafür, dass Hobby-Piloten wie Gleitschirmflieger, Ballonfahrer oder Segelflieger genug Platz am Himmel haben. Er engagiert sich gegen neue Beschränkungsgebiete – Zonen, in denen der eigentlich freie Himmel hinter imaginären Zäunen verschwindet:
     „Das ist etwas, das uns Sorgen macht. Die EU hat dazu einige Verordnungen erlassen, die jetzt nach und nach in den Staaten umgesetzt werden müssen. Wir haben in Deutschland das Glück, dass es einen sogenannten Luftraum-Kriterien-Katalog gibt. Das ist ein Werkzeug, das vor über zwanzig Jahren in Deutschland geschaffen wurde. In dem ist festgelegt, wie Lufträume entstehen sollen.“

    Drohnen für private Sendungen als potenzielles Problem

    In diesem Kriterien-Katalog sind auch die Anforderungen der Sportfliegerei verzeichnet. Segelflieger brauchen genügend Luftraum, um weite Streckenflüge nur mit Thermik – also erneuerbarer Energie – zu absolvieren. Die kommerzielle Luftfahrt, also die großen Fluggesellschaften, haben andere Interessen. Sie wollen keinen Mischverkehr zwischen Passagierjets und Kleinflugzeugen. Deshalb sind Verkehrsflughäfen von weiträumigen Sperrzonen umgeben. In Zukunft könnten auch noch Luft-Spediteure dazukommen, die mit selbstfliegenden Transport-Drohnen Fracht verschicken.
    „Wir wissen, dass es auch sehr viele übertriebene Ideen gibt: etwa, sich im Privathaushalt von einer Drohne beliefern zu lassen. Das ist unserer Meinung nach völlig absurd und weit entfernt von der sinnvollen Nutzbarkeit solcher Dinge“, sagt Liebert.

    Kollisions-Warner verringert Unfälle

    Wichtig seien Kollisions-Warngeräte, um Zusammenstöße zu vermeiden. In der Hobby-Fliegerei hat sich in den vergangenen Jahren ein Abstands-Warnsystem etabliert, das Piloten über Licht- und Tonsignale auf herannahende Flugzeuge und Hindernisse hinweist. Neue Flugobjekte wie etwa Drohnen sollten ähnliche Systeme nutzen, fordert Segelflugpilot Bruno Gantenbrink:
    „Da werden die Hersteller und auch Nutzer sicher in die Pflicht genommen werden. Wenn die automatisch fliegen, müssen sie intelligente Systeme nutzen, dass sie ausweichen. Denn man kann die Dinger nicht mal sehen, die sind so klein, die übersieht man bei den hohen Geschwindigkeiten, mit denen wir fliegen. Das wird deren Verantwortung sein, in den Höhen, in denen sie betrieben werden, alle anderen Luftfahrt-Teilnehmer, die dort auch sein dürfen, nicht zu gefährden.“
    Seit es das Kollisionswarn-System gibt, ist die Zahl der Zusammenstöße von Sportflugzeugen deutlich zurückgegangen. Das ist gerade bei Wettbewerben wie der Deutschen Meisterschaft in Bayreuth wichtig, wo Dutzende Flugzeuge auf engstem Raum nach Thermik suchen. Segelfliegen sei kein ungefährlicher Sport, sagt Gantenbrink. Aber es sei der einzige ihm bekannte Sport, den man auch in hohem Alter noch als Leistungssport betreiben könne. Sein oberstes Ziel:
     „Spaß haben. Freude haben am Fliegen. Und dass ich mich auch das nächste Mal, wenn ich dann auf die 80 zugehe, immer noch traue, hier mitzufliegen.“