Freitag, 19. April 2024

Archiv


Segev: Probleme sind im Moment nicht lösbar

"Jerusalem ist ein ungelöstes Problem schon 3000 Jahre lang und vielleicht bleibt es auch ein ungelöstes Problem für die nächsten 3000 Jahre", sagt Tom Segev, israelischer Buchautor und Historiker. Wichtig sei es, für Verbesserungen im Alltag der Palästinenser zu sorgen.

Tom Segev im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.12.2009
    Jasper Barenberg: Ist eine härtere Gangart gegenüber Israel nötig? Zum Beispiel wenn es um die ungebremste Siedlungspolitik der Regierung im besetzten Westjordanland geht, wäre sie auch klug. Eine Reihe ehemaliger deutscher Botschafter fordern von der Bundesregierung und von Europa mehr Nachdruck, mehr Entschlossenheit und eine härtere Gangart. Hier ein Auszug aus ihrem Positionspapier.

    "Deutschland hat sich zum Schutz der Sicherheit Israels als geschichtliches Vermächtnis verpflichtet. Eine wirkliche Sicherheit kann jedoch nur auf politischem Wege hergestellt werden, nicht durch Besetzung und Besiedlung oder das Vertrauen auf militärische Überlegenheit, sondern durch einen Rückzug aus den besetzten Gebieten und eine darauf folgende palästinensische Staatlichkeit. Israel wird nicht darauf hoffen können, sowohl den Frieden zu gewinnen, als auch die palästinensischen Territorien zu behalten."

    Barenberg: So weit ein Auszug aus der Erklärung deutscher Diplomaten. – Am Telefon begrüße ich jetzt den israelischen Historiker und Publizisten Tom Segev. Einen schönen guten Morgen, Herr Segev.

    Tom Segev: Guten Morgen, Ihnen auch.

    Barenberg: Herr Segev, die Bundesregierung betont ja traditionell die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel, das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung, Seite an Seite, ein Palästinenserstaat und Israel in sicheren Grenzen. Europa übt sich in Zurückhaltung. Ist das in der jetzigen, in der verfahrenen Lage die richtige Haltung?

    Segev: Ich glaube schon, es ist die richtige Haltung, aber sie ist nicht wirklich relevant für die Situation und für die wirklichen Probleme. Es gibt Probleme zwischen den Israelis und den Palästinensern, die sich im Moment gar nicht lösen lassen. Eines davon ist das Problem Jerusalem, vielleicht das Hauptproblem. Jerusalem ist ein ungelöstes Problem schon 3000 Jahre lang und vielleicht bleibt es auch ein ungelöstes Problem für die nächsten 3000 Jahre.

    Es stellt sich immer die Frage, wie managt man dieses ungelöste Problem, und in Europa meint man immer, auch immer, wenn es nahe an Weihnachten kommt, meint man immer, jetzt muss man das Problem Jerusalem gelöst haben. Das ist wirklich ein sehr, sehr schwieriges historisches und religiöses und von schweren Gefühlen beladenes Problem, das nicht einfach gelöst werden kann dadurch, dass irgendwelche Diplomaten in Europa ein Papier formulieren.

    Barenberg: Sie sollten sich also weiterhin zurückhalten und auch gar nicht darauf setzen, dass die Stellungnahmen, die aus Brüssel kommen, die von der Europäischen Union kommen, irgendeinen Effekt haben, in irgendeiner Weise Einfluss nehmen können auf die Politik vor Ort?

    Segev: Sie können wenig Einfluss nehmen auf die Lösung des Problems, aber es gibt viele Dinge, die das Leben erträglicher machen können, besonders für die Palästinenser. Die Unterdrückung der Palästinenser, die systematische Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser dauert schon 40 Jahre lang an und es gab bessere Zeiten und schlechtere Zeiten. Im Grunde ist es ja auch so, wenn die große Welt wirklich massiven Druck ausüben würde auf Israel, dann würde sich die Situation geändert haben, aber es war ja so, dass in den letzten 40 Jahren nur sehr wenig Druck ausgeübt wurde. Es handelt immer von Deklarationen und solchen Beschlüssen und anderen Beschlüssen und Diplomaten, professionelle Diplomaten haben so die Eigenschaft zu glauben, wenn sie etwas gut diplomatisch formuliert haben, dann ist die Situation, das Problem gelöst. Für uns, die hier leben, ist es eben anders. Wir sehen das eben anders.

    Barenberg: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang denn die Politik der USA beispielsweise? Barack Obama, der US-Präsident, hatte ja deutlichere Schritte, deutlichere Worte, ein stärkeres Engagement versprochen und ist aber beispielsweise in der Siedlungspolitik gegen die Wand gelaufen, wenn ich das so formulieren darf, gegenüber der israelischen Regierung.

    Segev: Ja, ja. Ich glaube, Sie haben völlig Recht. Er hat offenkundig auch am Anfang gedacht, dass er als US-Präsident jetzt endlich mal Ordnung schafft da in diesem fernen Gebiet der Welt, im Nahen Osten, und hat schnell feststellen müssen, dass das Problem viel komplizierter ist, als er das offenkundig am Anfang gesehen hat. Es kommen oft Besucher aus dem Ausland nach Israel und fragen, ja warum könnt ihr euch eigentlich nicht zusammensetzen und dieses Problem lösen, es gibt doch größere Probleme, die in anderen Welten gelöst worden sind. Es ist eben so, dass der Kampf um das heilige Land sehr, sehr kompliziert ist und eben viel komplizierter, als man es vom Ausland her sehen kann.

    Barenberg: Geben Sie uns einen Einblick in die Komplexität dieser Probleme.

    Segev: Es gibt eigentlich drei Probleme. Das wäre das Problem der Siedlungen, das Problem der Rückkehr der Palästinenser in ihre Häuser in Israel und das Problem Jerusalem. Im Grunde ist es aber so, dass die beiden Völker, die Palästinenser und die Israelis, ihre nationale Identität mit dem Land identifizieren, und zwar mit dem ganzen Land, und jeder Kompromiss würde bedeuten, dass einer von den beiden oder beide etwas von ihrer nationalen Identität aufgibt, und wir sind offensichtlich noch nicht erwachsen genug, sicher genug, bereitwillig genug, um das zu tun.

    Barenberg: Welche Rolle spielt die aktuelle Regierung von Benjamin Netanjahu und Außenminister Lieberman in dieser Hinsicht?

    Segev: Lieberman spielt keine große Rolle. Netanjahu macht den Anschein, als sei alles unter Kontrolle. Er hat ja jetzt beschlossen, dass der weitere Wohnungsbau in den Siedlungen für einige Monate eingestellt wird. Das hat er unter Einstimmung mit Obama getan. Es gibt große Demonstrationen, heftige Demonstrationen dagegen von Seiten der Siedler, aber ich glaube, dass die meisten Israelis dafür sind. Die meisten Israelis sind sehr müde von dem Konflikt und Netanjahu gibt ihnen den Eindruck, dass im Moment eigentlich gar keine wirklichen wichtigen Beschlüsse vor uns stehen, und ich glaube, dass die meisten Israelis ihm sehr dankbar sind dafür.

    Barenberg: Wie kann es überhaupt in dieser verfahrenen Situation, die Sie so beschreiben, Fortschritte geben, oder einen Anknüpfungspunkt, an dem es wieder zu Verhandlungen kommen kann?

    Segev: Ich glaube, es kann nur dazu kommen, dass die wirkliche Situation, die alltägliche Situation entweder besser oder schlechter wird. Das hängt sehr viel mit Israel zusammen, auch sehr viel mit Europa. Es gibt vieles, was die Europäer helfen können, besonders den Palästinensern, besonders finanziell, und ich glaube, dass man im Moment erwarten kann, dass das Leben der Palästinenser erträglicher wird.

    Barenberg: Und dazu kann die Europäische Union auch ihren Beitrag leisten?

    Segev: Ja, bestimmt.

    Barenberg: Statt mit diplomatischen Erklärungen?

    Segev: Nicht durch diplomatische Erklärungen, und sie tun ja auch sehr viel für die Palästinenser hier. Es hat sich schon manches hier getan. Aber ich glaube, wenn mal Frieden kommt, dann wird es ein amerikanischer Frieden sein, der von Europa finanziert wird.

    Barenberg: Tom Segev, der israelische Buchautor und Historiker, heute Morgen im Gespräch im Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür.

    Segev: Danke, Ihnen auch.