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"Sehr angenehm, in diesem Land zu arbeiten"

Der russische Botschafter Vladimir Kotenev nimmt mit einem Fest in Berlin Abschied von Deutschland. Kotenev ist seit fast 30 Jahren im diplomatischen Dienst, zunächst noch für die UdSSR, später für die Russische Föderation.

Vladimir Kotenev im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In der Botschaft Russlands, mitten in Berlin, gibt es heute ein großes Fest. Einmal ist morgen russischer Nationalfeiertag, aber das Ganze wird gleichzeitig auch ein Abschiedsfest für den scheidenden Botschafter Vladimir Kotenev sein. In Berlin hat er jährlich unter anderem einen viel beachteten Hausball ausgerichtet, um so unter anderem das Bild Russlands in Deutschland aufzuhellen. Gelungen ist das aber nur bedingt. In Russland werden weiter Menschenrechte verletzt und Oppositionelle eingeschüchtert. - Ich habe gestern mit dem Botschafter gesprochen und ihn zunächst gefragt, was er von Deutschland in Erinnerung behalten wird.

    Vladimir Kotenev: Eigentlich sehr viel. Deutschland war diesmal für mich - denn ich habe meine erste Bekanntschaft mit Deutschland vor über 30 Jahren gemacht - ein ganz anderes Land, ein vereintes, und das tut Deutschland und der Welt, glaube ich, gut, ein sehr dynamisches, weltoffenes Land, und es war sehr, sehr angenehm, in diesem Land zu arbeiten.

    Meurer: Sie waren in den 80er-Jahren schon in Ost-Berlin und auch in West-Berlin als Diplomat. In welcher Hinsicht haben sich die Deutschen in diesen 30 Jahren Ihrer Beobachtung nach verändert?

    Kotenev: Wie gesagt, der Kalte Krieg ist vorbei und das hat nicht nur Deutschland vereint, sondern ganz Europa vereint. Aber leider sehen wir nicht nur in diesem Land, sondern auch europaweit, auch im Osten einige Köpfe, die immer noch in Kategorien des Kalten Krieges denken, und das wird, glaube ich, vorbei sein in einigen Jahren.

    Meurer: Wen meinen Sie damit? Wen meinen Sie mit den Köpfen, die in den Kategorien des Kalten Krieges angeblich denken?

    Kotenev: Ich meine einige Gruppen von Bevölkerung. Ja, es gibt solche. Ich habe die hier getroffen, ich habe die in England getroffen, ich habe die auch in Russland getroffen.

    Meurer: Wen?

    Kotenev: Ja! Ich will nicht konkrete Namen nennen. Wollen Sie unbedingt wissen, dass ich bestimmte Politiker erwähne, oder? Ich meine generell! Es gibt auch in den Medien diese Berichte, die eher nach dem Kalten Krieg riechen.

    Meurer: Die Medien - dazu gehören natürlich auch wir, der Deutschlandfunk - sagen, wir berichten natürlich ...

    Kotenev: Nein, ich meine generell. Verstehen Sie mich bitte richtig! Sie wollen unbedingt nachhaken, dass ich Ihnen jetzt konkret sage, aber wir führen ein Gespräch über die Atmosphäre und hier erzähle ich Ihnen eben über die Atmosphäre auf unserem Kontinent, wie ich das verspüre.

    Meurer: Wie sehr belastet das die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland?

    Kotenev: Ich glaube, in den letzten Jahren hat das nicht mehr so unsere Beziehungen belastet. Die sind viel besser geworden, und noch einmal: Beide Länder sind viel offener geworden. Und dass wir immer noch diese Momente haben in unseren Beziehungen zwischen unseren Ländern - ich bin überzeugt: in wenigen Jahren sind die total vorbei, denn der Kalte Krieg ist auch 20 Jahre vorbei.

    Meurer: Muss Russland lernen, mit Kritik umzugehen?

    Kotenev: Auch das, ja. Ich glaube, jeder. Auch in Deutschland muss man Kritik genauer annehmen.

    Meurer: Auch deutsche Politiker leben natürlich mit heftiger Kritik an dem, was sie tun. Der Bundespräsident hat sich jetzt gerade darüber beschwert und ist zurückgetreten. Also wenn die deutschen Medien Russland kritisieren, dann ist das der Job, den Medien wahrnehmen, auch gegenüber deutschen Verhältnissen.

    Kotenev: Ja, da haben Sie völlig Recht. Ich habe nicht gemeint, dass hier die Kritik irgendwie nicht richtig empfunden wird. Es muss kritisiert werden. Aber ich glaube, die Kritik muss einen Zweck haben, erster Punkt. Und zweiter Punkt: man darf bei dieser Kritik auch keine Doppelstandards oder Doppelmaße anlegen, und darüber müssen sich auch die Medien insgesamt, nicht nur in Deutschland, im Klaren sein.

    Meurer: Bezweifeln Sie, Herr Botschafter, dass die Kritik des Westens an bestimmten Erscheinungen in Russland den Zweck hat, für mehr Demokratie, für mehr Rechte für das Parlament und die Opposition zu werben?

    Kotenev: Die Hartnäckigkeit mancher Kritiken lässt einfach nachdenken, ob da nicht auch bestimmte Zwecke verfolgt werden, sei es politische, wirtschaftliche oder andere.

    Meurer: Was könnten das für Zwecke sein? Gönnen wir vielleicht den Russen ihren wirtschaftlichen und politischen Wiederaufstieg nicht?

    Kotenev: Doch! Ich meine wiederum nicht nur Deutschland, sondern eigentlich insgesamt. Unsere Beziehung zwischen der EU und Russland könnte auch anders aussehen, wenn wir uns mehr der Zukunft und den konkreten Zielen und Plänen wenden könnten.

    Meurer: Wie haben Sie, Herr Botschafter, die Zusammenarbeit erlebt, die Gespräche mit der Bundesregierung und auch mit dem Bundestag, zum Beispiel dem Auswärtigen Ausschuss?

    Kotenev: Das war sehr konstruktiv. Gestern habe ich gerade ein Abschlussgespräch mit der parlamentarischen Gruppe Deutschland-Russland geführt. Das war sehr, sehr konstruktiv, offen und ich habe mich ganz herzlich bedankt bei den Kollegen Bundestagsabgeordneten. Übrigens vor wenigen Tagen war der Auswärtige Ausschuss in Moskau und zum ersten Mal fand das Treffen zwischen den Kollegen Abgeordneten der Staatsduma und des Bundestages statt, und das finde ich prima.

    Meurer: Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin spricht Deutsch, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht Russisch. Warum hilft das nicht entscheidend, das deutsch-russische Verhältnis positiver zu färben?

    Kotenev: Wenn jeder Russe Deutsch sprechen würde und umgekehrt jeder Deutsche Russisch sprechen würde, wäre wahrscheinlich das noch mehr dienlich diesem Ziel, aber die beiden verstehen einander sehr gut, beides auf Deutsch und auf Russisch. Und mehr noch: Vor Kurzem, am 4. und 5. Juni, fand das nächste Treffen zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und unserem Präsidenten Dmitri Medwedew statt, und die können beide sehr gut auf Russisch und Englisch kommunizieren. Insgesamt dauerten die Gespräche fast elf Stunden lang und das zeugt von dieser Offenheit und Vertraulichkeit in unseren Beziehungen, und das ist sehr, sehr zu begrüßen.

    Meurer: Nach dem tragischen Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über Smolensk hat Moskau als Geste historische Akten über Katyn an Polen überreicht, Akten über die Hinrichtungen von Tausenden von polnischen Offizieren während des Zweiten Weltkriegs. Ist das ein Beispiel für die Öffnung Russlands, das weiter Schule machen kann?

    Kotenev: Ja, absolut! Nur, wir müssen auch daran denken, dass auf der anderen Seite auch diese Archive geöffnet werden müssen und dass immer weniger Propaganda und Hetzerei gegen irgendwelche Länder, auch gegen Russland, in Europa betrieben werden. Das wäre wirklich sehr gut, das könnte die Atmosphäre auf unserem Kontinent noch mehr gesunden.

    Meurer: Es gibt heute am Freitag eine große Abschiedsfeier in der Botschaft. Sie ist terminiert mit dem Nationalfeiertag auch. Wird das wieder einer der rauschenden Bälle der russischen Botschaft, von denen ganz Berlin so viel gesprochen hat?

    Kotenev: Nein, auf gar keinen Fall. Die Bälle fanden nur einmal im Jahr statt und sonst haben wir sehr viele Konzerte, Ausstellungen, Symposien, Konferenzen durchgeführt. Wir haben immer versucht, nicht nur Russland zu präsentieren, hier in Berlin und in Deutschland, sondern auch möglichst mehr Menschen, Kulturschaffende, Wirtschaftsleute, zusammenzuführen, auch Jugend. Das ist eine ganz große Aufgabe, dass unsere Jugendlichen mehr zueinander kommen.

    Meurer: Der russische Botschafter Vladimir Kotenev nimmt Abschied von Deutschland mit einem Fest in Berlin. Ihnen alles Gute für die Rückkehr nach Moskau. - Danke schön und auf Wiederhören!

    Kotenev: Herzlichen Dank, Herr Meurer.