Merz: Guten Morgen Herr Gerner.
Gerner: Herr Merz, die FDP hat eine Absetzbewegung von der Union begonnen. Was wollen Sie dagegen tun?
Merz: Ich will zunächst einmal ganz nüchtern analysieren, dass wir die Bundestagswahlen 1998 verloren haben, und seitdem ist die Koalition mit der FDP beendet. Es gibt keine Fortsetzung von Koalitionen in der Opposition, aber wir arbeiten unverändert mit der FDP in Berlin gut zusammen, jeder mit seinem eigenen Schwerpunkt und mit eigenem Profil. Für uns gilt seitdem - und das hat sich durch die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eigentlich noch bestätigt -, dass wir das Ziel haben, dass wir bei der Bundestagswahl 2002 wieder stärkste Fraktion im deutschen Bundestag werden.
Gerner: Mit welchem Bündnispartner wollen Sie das denn machen? Vertrauen Sie, dass die FDP Ihnen weiter zur Verfügung steht?
Merz: Ich finde, wir sollten in der Situation, in der wir im Augenblick sind, nicht über Bündnispartner nachdenken, sondern wir sollten darüber nachdenken, wie wir wieder mehr Zustimmung bei den Wählern in diesem Land bekommen. Wenn Sie vor diesem Hintergrund das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen analysieren, mit dem ich nicht zufrieden bin, dann lässt sich trotzdem eines feststellen: Rot/grün hat in Nordrhein-Westfalen - und das war für die Bundestagswahl 1998 sozusagen die Blaupause, denn der Wahlkampf 1995 in Nordrhein-Westfalen wurde geführt mit der Absicht, Signale für den Wechsel in Bonn zu setzen - seit dem vergangenen Sonntag nur noch 49,9 Prozent der Stimmen. Das haben die Sozialdemokraten früher in Nordrhein-Westfalen alleine aufgebracht. Das schaffen sie jetzt nur noch mit den Grünen zusammen. Die Frage ist also, ob wir nicht eine ernsthafte Chance haben, 2002 rot/grün abzulösen. Das muss unser wichtigstes Ziel sein, und das können wir nur, wenn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei der Bundestagswahl 2002 wieder stärkste Fraktion im deutschen Bundestag wird. Dann wird sich zeigen, ob wir Partner finden, um dieses Projekt durchzusetzen, nämlich rot/grün abzulösen.
Gerner: Wolfgang Gerhardt ist dabei, auch in seinen Äußerungen von seiner bisherigen Lagertheorie etwas abzurücken. Muss Sie das nicht hellhörig machen, wenn dies, wie alle sagen, eine kleine Bundestagswahl ist?
Merz: Noch einmal: ich bin mit dem Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag nicht zufrieden, aber CDU und FDP zusammen liegen nur noch knapp drei Prozent hinter rot/grün.
Gerner: Da muss ich jetzt fragen: glauben Sie also noch an diese Zwei-Lager-Theorie?
Merz: Das hat mit Lagern nichts zu tun. Das hat schlicht und ergreifend etwas mit der Frage zu tun, ob es eine parlamentarische Mehrheit gegen rot/grün geben kann. Die Frage stellt sich für uns auch vor dem Hintergrund des Niedergangs der Grünen. Wird es denn die Grünen überhaupt noch geben bei der nächsten Bundestagswahl. Meine Überzeugung ist, dass die Grünen in einer so tiefen Existenzkrise stecken, dass sie bei der Bundestagswahl 2002 wahrscheinlich große Schwierigkeiten haben, wieder über die fünf Prozent zu kommen.
Gerner: Kommen Sie mittelfristig als Bündnispartner für die CDU in Frage?
Merz: Eine Partei, die im Niedergang ist, ist per se uninteressant als potenzieller Bündnispartner.
Gerner: Sie haben eben von Fehlern im nordrhein-westfälischen Wahlkampf gesprochen. Es hat ja Angebote von Möllemann auch an die CDU, an Herrn Rüttgers gegeben. War es weise, sie abzulehnen?
Merz: Herr Gerner, ich habe nicht von Fehlern gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden bin. Wir müssen jetzt sorgfältig prüfen, welche Themen für die nächsten zweieinhalb Jahre die richtigen und die wichtigen sind und wo wir unser Profil schärfen müssen. Ich stelle mir für die letzten zweieinhalb Jahre dieser Legislaturperiode weniger Fragen um Bündnisse und weniger Fragen um Personen, sondern die wichtigen Fragen, die sich für uns stellen, sind: welche Themen sind es und welche Alternativen müssen mit diesen Themen von der Union entwickelt werden, um der rot/grünen Bundesregierung etwas entgegenzusetzen.
Gerner: Gehen wir darauf ein. In den eigenen Reihen heißt es, die Campagnenfähigkeit der CDU lasse noch zu wünschen übrig. Der Merkel-Bonus hat leichte Wirkung gehabt, aber Gerhard Schröder bestimmt die Themen, sagen viele Kritiker: siehe Greencard. Muss bei diesem Thema ein Umdenken in Ihrer Partei erfolgen, überhaupt erst mal eine einheitliche Linie?
Merz: Wir sitzen ja heute Morgen auch deshalb zusammen, um die langfristigen Strategien zu entwickeln. Dazu zählt ganz gewiss auch das Thema Zuwanderung. Meine persönliche Überzeugung ist, dass wir eine Regelung brauchen, allerdings eine Regelung, die weit über diese sogenannte Greencard-Initiative des Bundeskanzlers hinausgeht. Wir müssen ein Gesamtkonzept haben, einen Gesamtzusammenhang herstellen zur Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
Gerner: Darf ich gerade dort noch einhaken? Die "Süddeutsche Zeitung" titelt heute auf Seite 1 groß "Union ändert Standpunkt zu Greencard-Plänen" und beruft sich auf Ihren neuen Internet-Experten. Wird das die neue Linie der Partei sein?
Merz: Wir wollen darüber heute Morgen sprechen, wobei ich nicht sehe, dass wir unseren Standpunkt dort ändern, sondern wir werden ihn noch einmal klarstellen und vielleicht auch in einigen Bestandteilen verdeutlichen. Für mich ist es eine Frage des Arbeitsmarktes. Für mich ist es eine Frage des Gesamtzusammenhanges mit Zuwanderung, die ja in Deutschland zur Zeit im wesentlichen aus Asylbewerbern, Bürgerkriegsflüchtlingen und Aussiedlern besteht. Wollen wir daran etwas ändern? - Meine persönliche Überzeugung ist, wir müssten daran etwas ändern. Wir müssen vor allen Dingen in der Lage sein, mit den europäischen Partnern zusammen eine gemeinsame Asyl- und Ausländerpolitik zu formulieren. Das sind wir auf der Basis des deutschen Ausländerrechtes gegenwärtig nicht.
Gerner: Mit verändertem Asylrecht?
Merz: Das Asylrecht gehört auch dazu. Es gehört allerdings aus meiner Sicht in den Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention, die materiell das Asylrecht nicht verändert.
Gerner: Also kein Rütteln am Grundrecht?
Merz: Na ja, wohl aber - -
Gerner: Was heißt na ja?
Merz: Das Rütteln am Grundrecht hat zunächst einmal nicht nur etwas mit den materiellen Asylgründen zu tun, sondern es hat auch mit den Rechtsweggarantien zu tun. Hier meine ich, dass wir wenigstens bei der Länge der Rechtswege etwas korrigieren müssten, um schneller zu Entscheidungen zu kommen. Bei den meisten Asylbewerbern gibt es keinen materiellen Asylgrund. Und dies im Zusammenhang mit anderen Fragen zu beantworten ist in der Tat notwendig, und wir werden am Ende des Tages wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen, dass wir ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, ein Einwanderungsgesetz brauchen, das allerdings die Einwanderung aus der Sicht und Interessenlage des Staates heraus definiert und nicht aus der Interessenlage der Einwanderer heraus. Insofern ist es keine Korrektur, sondern es ist eine Präzisierung unseres Standpunkts.
Gerner: Herr Merz, bei Steuern und Rente fahren Sie bislang auf Konfrontationskurs beziehungsweise schwanken. Auch dort zitiere ich Medien des heutigen Tages. Gibt es hier nicht ein Risiko, schlecht in der öffentlichen Meinung dazustehen, wenn Sie dies tun?
Merz: Jetzt bitte ich darum, dass wir differenzieren zwischen den Steuern und der Rentenpolitik. Bei der Steuerpolitik braucht die Bundesregierung die Union. Ohne die Union geht es nicht. Wir schwanken auch nicht zwischen Ablehnung und eigenen Vorstellungen, sondern wir haben der Bundesregierung mehrfach, in der letzten Woche zuletzt, klar angeboten, in Gespräche einzutreten. Das hat die Bundesregierung bis jetzt abgelehnt. Jetzt wird es ein Vermittlungsverfahren geben. In diesem Vermittlungsverfahren haben wir klare Vorstellungen, was besser gemacht werden muss, und eine Opposition die sagt, was besser gemacht werden muss, blockiert nicht. Bei der Rente ist die Bundesregierung auf die Zustimmung der Union nicht angewiesen. Das kann sie ohne uns entscheiden. Wir sind gleichwohl auch bei diesem schwierigen Thema bereit, mit der Bundesregierung ein langfristiges Rentenkonzept zu entwickeln. Das setzt allerdings voraus, dass sie erstens etwas tun, was bis zum Jahr 2030 hält. Es macht keinen Sinn, eine Rentenreform jetzt zu machen und in fünf Jahren wieder anzufangen. Wir verlangen von der Bundesregierung zweitens, dass sie verbindlich Auskunft darüber gibt, dass mit der Rentenpolitik für die nächsten 30 Jahre keine höhere Belastung der nächsten Generationen verbunden ist. Entscheidend ist, dass die Beitragsbelastung der künftigen Generationen, und zwar einschließlich der steuerlichen Belastung, die für die Renten aufgebracht wird, in den nächsten Generationen nicht steigt. Wenn wir uns auf dieser Basis verständigen können, gibt es die Möglichkeit zu einem Rentenkonsens. Aber ich sage noch einmal: wir blockieren nicht, sondern wir haben klare eigene Vorstellungen. Wenn die Bundesregierung bereit ist, darauf einzugehen, kann es ein Ergebnis geben. Wenn nicht, muss die Bundesregierung auch für die Zukunft die Rentenpolitik alleine verantworten.
Gerner: Herr Merz, eine persönliche Frage noch. In den eigenen Reihen ist zu hören - das zitiere ich aus der heutigen Ausgabe der "Welt" -, die Erwartungen aus der CDU als Oppositionsführer in Ihrer Person hätten Sie noch nicht erfüllt. Können Sie sich dort bessern?
Merz: Wissen Sie, ich bin jetzt seit noch nicht einmal drei Monaten im Amt. Dass ein neuer Vorsitzender einen neuen Stil hat und auch mit neuen Schwerpunkten in die Arbeit geht, ist klar. Wir sind im Augenblick in einer ziemlich schwierigen Lage. Wir kommen Schritt für Schritt dort heraus. Ich habe natürlich viele Dinge im Kopf, die wir noch machen wollen, und wir brauchen eine langfristige Strategie. Wenn der eine oder andere dort etwas kurzatmig ist, dann verstehe ich das, aber das beunruhigt mich überhaupt nicht. Ich bin auf die nächsten zweieinhalb Jahre eingerichtet, und wir wollen bei der Bundestagswahl 2002 stärkste Fraktion werden. Dazu will ich einen Beitrag leisten, und das werden wir auch schaffen.
Gerner: Friedrich Merz, der Fraktionschef von CDU/CSU im Bundestag. - Ganz herzlichen Dank nach Berlin und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Gerner: Herr Merz, die FDP hat eine Absetzbewegung von der Union begonnen. Was wollen Sie dagegen tun?
Merz: Ich will zunächst einmal ganz nüchtern analysieren, dass wir die Bundestagswahlen 1998 verloren haben, und seitdem ist die Koalition mit der FDP beendet. Es gibt keine Fortsetzung von Koalitionen in der Opposition, aber wir arbeiten unverändert mit der FDP in Berlin gut zusammen, jeder mit seinem eigenen Schwerpunkt und mit eigenem Profil. Für uns gilt seitdem - und das hat sich durch die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eigentlich noch bestätigt -, dass wir das Ziel haben, dass wir bei der Bundestagswahl 2002 wieder stärkste Fraktion im deutschen Bundestag werden.
Gerner: Mit welchem Bündnispartner wollen Sie das denn machen? Vertrauen Sie, dass die FDP Ihnen weiter zur Verfügung steht?
Merz: Ich finde, wir sollten in der Situation, in der wir im Augenblick sind, nicht über Bündnispartner nachdenken, sondern wir sollten darüber nachdenken, wie wir wieder mehr Zustimmung bei den Wählern in diesem Land bekommen. Wenn Sie vor diesem Hintergrund das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen analysieren, mit dem ich nicht zufrieden bin, dann lässt sich trotzdem eines feststellen: Rot/grün hat in Nordrhein-Westfalen - und das war für die Bundestagswahl 1998 sozusagen die Blaupause, denn der Wahlkampf 1995 in Nordrhein-Westfalen wurde geführt mit der Absicht, Signale für den Wechsel in Bonn zu setzen - seit dem vergangenen Sonntag nur noch 49,9 Prozent der Stimmen. Das haben die Sozialdemokraten früher in Nordrhein-Westfalen alleine aufgebracht. Das schaffen sie jetzt nur noch mit den Grünen zusammen. Die Frage ist also, ob wir nicht eine ernsthafte Chance haben, 2002 rot/grün abzulösen. Das muss unser wichtigstes Ziel sein, und das können wir nur, wenn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei der Bundestagswahl 2002 wieder stärkste Fraktion im deutschen Bundestag wird. Dann wird sich zeigen, ob wir Partner finden, um dieses Projekt durchzusetzen, nämlich rot/grün abzulösen.
Gerner: Wolfgang Gerhardt ist dabei, auch in seinen Äußerungen von seiner bisherigen Lagertheorie etwas abzurücken. Muss Sie das nicht hellhörig machen, wenn dies, wie alle sagen, eine kleine Bundestagswahl ist?
Merz: Noch einmal: ich bin mit dem Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag nicht zufrieden, aber CDU und FDP zusammen liegen nur noch knapp drei Prozent hinter rot/grün.
Gerner: Da muss ich jetzt fragen: glauben Sie also noch an diese Zwei-Lager-Theorie?
Merz: Das hat mit Lagern nichts zu tun. Das hat schlicht und ergreifend etwas mit der Frage zu tun, ob es eine parlamentarische Mehrheit gegen rot/grün geben kann. Die Frage stellt sich für uns auch vor dem Hintergrund des Niedergangs der Grünen. Wird es denn die Grünen überhaupt noch geben bei der nächsten Bundestagswahl. Meine Überzeugung ist, dass die Grünen in einer so tiefen Existenzkrise stecken, dass sie bei der Bundestagswahl 2002 wahrscheinlich große Schwierigkeiten haben, wieder über die fünf Prozent zu kommen.
Gerner: Kommen Sie mittelfristig als Bündnispartner für die CDU in Frage?
Merz: Eine Partei, die im Niedergang ist, ist per se uninteressant als potenzieller Bündnispartner.
Gerner: Sie haben eben von Fehlern im nordrhein-westfälischen Wahlkampf gesprochen. Es hat ja Angebote von Möllemann auch an die CDU, an Herrn Rüttgers gegeben. War es weise, sie abzulehnen?
Merz: Herr Gerner, ich habe nicht von Fehlern gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden bin. Wir müssen jetzt sorgfältig prüfen, welche Themen für die nächsten zweieinhalb Jahre die richtigen und die wichtigen sind und wo wir unser Profil schärfen müssen. Ich stelle mir für die letzten zweieinhalb Jahre dieser Legislaturperiode weniger Fragen um Bündnisse und weniger Fragen um Personen, sondern die wichtigen Fragen, die sich für uns stellen, sind: welche Themen sind es und welche Alternativen müssen mit diesen Themen von der Union entwickelt werden, um der rot/grünen Bundesregierung etwas entgegenzusetzen.
Gerner: Gehen wir darauf ein. In den eigenen Reihen heißt es, die Campagnenfähigkeit der CDU lasse noch zu wünschen übrig. Der Merkel-Bonus hat leichte Wirkung gehabt, aber Gerhard Schröder bestimmt die Themen, sagen viele Kritiker: siehe Greencard. Muss bei diesem Thema ein Umdenken in Ihrer Partei erfolgen, überhaupt erst mal eine einheitliche Linie?
Merz: Wir sitzen ja heute Morgen auch deshalb zusammen, um die langfristigen Strategien zu entwickeln. Dazu zählt ganz gewiss auch das Thema Zuwanderung. Meine persönliche Überzeugung ist, dass wir eine Regelung brauchen, allerdings eine Regelung, die weit über diese sogenannte Greencard-Initiative des Bundeskanzlers hinausgeht. Wir müssen ein Gesamtkonzept haben, einen Gesamtzusammenhang herstellen zur Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
Gerner: Darf ich gerade dort noch einhaken? Die "Süddeutsche Zeitung" titelt heute auf Seite 1 groß "Union ändert Standpunkt zu Greencard-Plänen" und beruft sich auf Ihren neuen Internet-Experten. Wird das die neue Linie der Partei sein?
Merz: Wir wollen darüber heute Morgen sprechen, wobei ich nicht sehe, dass wir unseren Standpunkt dort ändern, sondern wir werden ihn noch einmal klarstellen und vielleicht auch in einigen Bestandteilen verdeutlichen. Für mich ist es eine Frage des Arbeitsmarktes. Für mich ist es eine Frage des Gesamtzusammenhanges mit Zuwanderung, die ja in Deutschland zur Zeit im wesentlichen aus Asylbewerbern, Bürgerkriegsflüchtlingen und Aussiedlern besteht. Wollen wir daran etwas ändern? - Meine persönliche Überzeugung ist, wir müssten daran etwas ändern. Wir müssen vor allen Dingen in der Lage sein, mit den europäischen Partnern zusammen eine gemeinsame Asyl- und Ausländerpolitik zu formulieren. Das sind wir auf der Basis des deutschen Ausländerrechtes gegenwärtig nicht.
Gerner: Mit verändertem Asylrecht?
Merz: Das Asylrecht gehört auch dazu. Es gehört allerdings aus meiner Sicht in den Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention, die materiell das Asylrecht nicht verändert.
Gerner: Also kein Rütteln am Grundrecht?
Merz: Na ja, wohl aber - -
Gerner: Was heißt na ja?
Merz: Das Rütteln am Grundrecht hat zunächst einmal nicht nur etwas mit den materiellen Asylgründen zu tun, sondern es hat auch mit den Rechtsweggarantien zu tun. Hier meine ich, dass wir wenigstens bei der Länge der Rechtswege etwas korrigieren müssten, um schneller zu Entscheidungen zu kommen. Bei den meisten Asylbewerbern gibt es keinen materiellen Asylgrund. Und dies im Zusammenhang mit anderen Fragen zu beantworten ist in der Tat notwendig, und wir werden am Ende des Tages wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen, dass wir ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, ein Einwanderungsgesetz brauchen, das allerdings die Einwanderung aus der Sicht und Interessenlage des Staates heraus definiert und nicht aus der Interessenlage der Einwanderer heraus. Insofern ist es keine Korrektur, sondern es ist eine Präzisierung unseres Standpunkts.
Gerner: Herr Merz, bei Steuern und Rente fahren Sie bislang auf Konfrontationskurs beziehungsweise schwanken. Auch dort zitiere ich Medien des heutigen Tages. Gibt es hier nicht ein Risiko, schlecht in der öffentlichen Meinung dazustehen, wenn Sie dies tun?
Merz: Jetzt bitte ich darum, dass wir differenzieren zwischen den Steuern und der Rentenpolitik. Bei der Steuerpolitik braucht die Bundesregierung die Union. Ohne die Union geht es nicht. Wir schwanken auch nicht zwischen Ablehnung und eigenen Vorstellungen, sondern wir haben der Bundesregierung mehrfach, in der letzten Woche zuletzt, klar angeboten, in Gespräche einzutreten. Das hat die Bundesregierung bis jetzt abgelehnt. Jetzt wird es ein Vermittlungsverfahren geben. In diesem Vermittlungsverfahren haben wir klare Vorstellungen, was besser gemacht werden muss, und eine Opposition die sagt, was besser gemacht werden muss, blockiert nicht. Bei der Rente ist die Bundesregierung auf die Zustimmung der Union nicht angewiesen. Das kann sie ohne uns entscheiden. Wir sind gleichwohl auch bei diesem schwierigen Thema bereit, mit der Bundesregierung ein langfristiges Rentenkonzept zu entwickeln. Das setzt allerdings voraus, dass sie erstens etwas tun, was bis zum Jahr 2030 hält. Es macht keinen Sinn, eine Rentenreform jetzt zu machen und in fünf Jahren wieder anzufangen. Wir verlangen von der Bundesregierung zweitens, dass sie verbindlich Auskunft darüber gibt, dass mit der Rentenpolitik für die nächsten 30 Jahre keine höhere Belastung der nächsten Generationen verbunden ist. Entscheidend ist, dass die Beitragsbelastung der künftigen Generationen, und zwar einschließlich der steuerlichen Belastung, die für die Renten aufgebracht wird, in den nächsten Generationen nicht steigt. Wenn wir uns auf dieser Basis verständigen können, gibt es die Möglichkeit zu einem Rentenkonsens. Aber ich sage noch einmal: wir blockieren nicht, sondern wir haben klare eigene Vorstellungen. Wenn die Bundesregierung bereit ist, darauf einzugehen, kann es ein Ergebnis geben. Wenn nicht, muss die Bundesregierung auch für die Zukunft die Rentenpolitik alleine verantworten.
Gerner: Herr Merz, eine persönliche Frage noch. In den eigenen Reihen ist zu hören - das zitiere ich aus der heutigen Ausgabe der "Welt" -, die Erwartungen aus der CDU als Oppositionsführer in Ihrer Person hätten Sie noch nicht erfüllt. Können Sie sich dort bessern?
Merz: Wissen Sie, ich bin jetzt seit noch nicht einmal drei Monaten im Amt. Dass ein neuer Vorsitzender einen neuen Stil hat und auch mit neuen Schwerpunkten in die Arbeit geht, ist klar. Wir sind im Augenblick in einer ziemlich schwierigen Lage. Wir kommen Schritt für Schritt dort heraus. Ich habe natürlich viele Dinge im Kopf, die wir noch machen wollen, und wir brauchen eine langfristige Strategie. Wenn der eine oder andere dort etwas kurzatmig ist, dann verstehe ich das, aber das beunruhigt mich überhaupt nicht. Ich bin auf die nächsten zweieinhalb Jahre eingerichtet, und wir wollen bei der Bundestagswahl 2002 stärkste Fraktion werden. Dazu will ich einen Beitrag leisten, und das werden wir auch schaffen.
Gerner: Friedrich Merz, der Fraktionschef von CDU/CSU im Bundestag. - Ganz herzlichen Dank nach Berlin und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio