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Seit drei Jahren Bürgerkrieg
Schrecken ohne Ende im Südsudan

2011 erlangte der Südsudan seine Unabhängigkeit. Damit war auch die Hoffnung auf Frieden in der Region verbunden. Doch seit drei Jahren herrscht Bürgerkrieg in der jüngsten Nation der Welt, ausgelöst durch die beiden Anführer der mächtigsten Stämme: Salva Kiir von den Dinka und Riek Machar von den Nuer.

Von Björn Blaschke | 17.12.2016
    Riek Machar (l.) mit Präsident Salva Kiir bei der Zeremonie zur Einsetzung einer neuen Einheitsregierung im April 2016. Im Juli flammten neue Kämpfe auf und Machar wurde als Vizepräsident entlassen.
    Riek Machar (l.) mit Präsident Salva Kiir bei der Zeremonie zur Einsetzung einer neuen Einheitsregierung im April 2016. Im Juli flammten neue Kämpfe auf und Machar wurde als Vizepräsident entlassen. (dpa)
    Der Sonnenaufgang taucht alles in weiches Licht. Und für ein paar Momente wirkt das Lager-Leben irgendwie besänftigt; weicher. Aber schon nach wenigen Minuten ist die Stimmung verflogen; die Sonne geht hier, im Norden des Südsudan, schnell auf – und schlagartig wird die alltägliche Härte in grellem Licht sichtbar: Die Hütten des Lagers Malakal stehen eng beieinander. Aus Pappe, Holz, Wellblech zusammengezimmert sind die wenigsten dicht. Immerhin: Jetzt, in der Trockenzeit, ist es nur staubig. In der Regenzeit versinkt alles im Schlamm. Ein Mann hört Nachrichten - mit einem Transistorradio. Batteriebetrieben. Strom gibt es im Lager von Malakal nur an zentralen Punkten durch Generatoren.
    An den Stellen, an denen aufbereitetes Wasser aus Wasserhähnen rinnt, drängen sich Frauen mit Eimern, Kanistern, Kannen. Dazwischen: Kinder, Hunde, Hühnerküken. Am Rande eines Hauptweges: ein Abwassergraben. Mit ihm verbunden auch die Latrinen. Der scharfe Gestank, der von dem Graben aufsteigt, mischt sich mit dem Duft frischen Brotes. Gebacken wird morgens.
    Schutzsuche bei den Blauhelmen
    Zwei Frauen haben die erste Ladung Fladen, die sie im Laufe des Tages auf dem Markt des Lagers verkaufen wollen, fertig. Sie machen einen Moment Pause. Sabeel Nabela erzählt, wie das Lager 2013 entstand.
    "Damals wohnten wir noch im Ort Malakal, sieben Kilometer von hier. Wir bekamen - am 15. Dezember 2013, vor drei Jahren - Anrufe aus der Hauptstadt Juba. Es hieß: Präsident Salva Kiir und seine Männer von den Dinka wollten Vize-Präsident Riik Machar und dessen Milizionäre von den Nuer entwaffnen. Die wehrten sich. Damit begann in Juba der Bürgerkrieg, der kurz darauf auch Malakal erreichte: Die Bevölkerung unseres Ortes war gemischt: Dinka, Nuer und Schilluk. Weil hier damals schon UNO-Soldaten stationiert waren, bin ich am 24. Dezember die sieben Kilometer aus Malakal hierher gelaufen - zu den Blauhelmen, um bei denen Schutz zu suchen. Damals war hier noch alles Wüste."
    Viele jüngere Männer von Malakal nahmen den Kampf auf gegen die jeweils anderen – gegen die Dinka, die Nuer oder die Schilluk. Die meisten Frauen, Kinder und auch die älteren Männer machten es jedoch wie Sabeel: Sie suchten Schutz nahe der Basis der UNO-Blauhelme. Die internationale Staatengemeinschaft leistete Nothilfe und versorgte die Flüchtlinge aus dem Ort Malakal mit dem Nötigsten. Und im Laufe der Zeit entstand das Lager Malakal. Umgeben von einem gut vier Meter hohen Schutzwall aus gigantischen Sandsäcken, wohnen heute rund 33.000 Menschen hier; verschiedene Bevölkerungsgruppen, untereinander noch einmal durch Zäune getrennt. Mitarbeiter internationaler Organisationen bieten ihnen Grundnahrungsmittel und medizinische Versorgung; UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, sorgt für Schulunterricht. Und die Blauhelmsoldaten, im Südsudan UNMISS-Einheiten genannt, sollen die Bewohner des Lagers schützen. Das müssen sie auch - obwohl Präsident Salva Kiir und sein ehemaliger Vize Riik Machar vor einem Jahr unter internationalem Druck einen Friedensvertrag schlossen. Aber der wird faktisch nicht respektiert. Wie sich hier, im Lager Malakal vergangenes Frühjahr zeigte. Ein älterer Mann, der zur Gruppe der Schilluk gehört und seinen Namen nicht nennen möchte, erinnert sich:
    "Die Leute haben versucht, sich zu verstecken - Frauen und Kinder. Aber wir Männer sind mit Speeren aufeinander losgegangen. Wir, die Nuer und die Schilluk, haben den Dinka einige Gewehre abgenommen. Ausgelöst wurde der Kampf durch einen Streit von zwei Leuten. Das hat sich dann zu einem Stammeskampf gesteigert."
    Trennung von den Bevölkerungsgruppen
    Die Fehde endete damit, dass die Bevölkerungsgruppen, die einst miteinander in Malakal wohnten, heute fast vollends getrennt sind: Die eine Gruppe, die der Dinka, zu denen auch der Präsident gehört, verließ das Lager. Frauen, Kinder und die wenigen Männer zogen in den Ort Malakal zurück; die anderen zwei Gruppen, Nuer und Shilluk, blieben im Lager; mit Zäunen zwischen ihnen. Doch: Die Trennung ist nicht perfekt. Frauen müssen regelmäßig aus dem Lager und seinen Schutzwällen heraus, beispielsweise um im Busch nach Brennholz zu suchen. Und dabei kommt es häufig zu Übergriffen - klagen viele Frauen, auch Diszipa Gimmes:
    "Wenn Frauen hier raus gehen, um Feuerholz zu suchen, dann kann es ihnen passieren, dass sie vergewaltigt werden; es ist gefährlich auf den Wegen draußen."
    Die wenigen Männer, die überhaupt im Lager Malkal wohnen, verlassen es so gut wie nie, sagt der Mann, der seinen Namen ungenannt lassen will:
    "Männern ist es komplett verboten dahin zu gehen. Uns droht der Tod. Wir können da nicht hingehen."
    Vom Lager Malakal i den Ort Malakal: Die Kämpfe im Februar führten dazu, dass die Leute des Präsidenten hierher zurückkehrten. Seither ist wieder ein einigermaßen normales Leben eingekehrt: Zerstörte Hütten wurden neu errichtet, Geschäfte eröffnet; kleine Teestuben. Aber: Das meiste bekommen die Bewohner des Ortes Malkal - wie die Menschen im Lager - von der internationalen Staatengemeinschaft: Frischwasser, Grundnahrungsmittel, Medizinische Versorgung, Schulunterricht.
    Anders als vor dem Beginn des Bürgerkrieges, vor drei Jahren, ist die Bevölkerung des Ortes Malakal nicht mehr gemischt. Die Familien, die heute in Malakal wohnen, sind ausschließlich Dinkas, wie Präsident Salva Kiir. Dass dessen Leute Frauen, die aus dem Lager herauskommen vergewaltigen, oder Männer der anderen Bevölkerungsgruppen umbringen - das bestreitet der Vizebürgermeister von Malakal vehement. Elia Biach ist seit Februar im Amt. Die Frage, ob Frauen und Männer aus dem Lager unbehelligt in den Ort Malakal kommen können, beantwortet er so:
    "Absolut, absolut. Wenn Sie auf den Markt hier gehen, sehen Sie, dass hier unbehelligt jeder her kommen kann. Umgekehrt kann niemand von uns in das Lager. Das ist zu gefährlich. Aber sie können kommen."
    Spannungen steigen im gesamten Südsudan
    Doch so sehr der Vizebürgermeister des Ortes Malakal auch betonen mag, dass die Regierungsseite auf Entspannung setzt, so sehr steigen in Wirklichkeit die Spannungen im gesamten Südsudan. Mehr als drei Millionen Menschen sind auf der Flucht; außerhalb und innerhalb des Landes. Überall wird geklagt, es komme zu weiteren Vertreibungen, Vergewaltigungen, Mord. Und allenthalben heißt es, dass der Bürgerkrieg, der vor drei Jahren begann und seither überall schwelt, bald wieder voll entflammen wird. Das meinen auch die Menschen im Lager von Malakal. Am Rande des kleinen Marktes, auf dem die Frauen Brot und Brennholz verkaufen, lungern ein paar junge Männer herum. Khamis ist einer von ihnen.
    "Es wird Krieg geben, bald, es wird wieder Krieg geben."