Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Sektenbeauftragter: Boykottaufrufe gegen "Sakrileg"-Verfilmung kontraproduktiv

Nach Ansicht von Lutz Lehmhöfer, Sektenbeauftragter des Bistums Limburg, beruht der Erfolg von "Das Sakrileg" darauf, dass Autor Dan Brown widersprüchliche Gefühle in der Gesellschaft bedient: das Interesse am Religiösen und die Kritik an religiösen Institutionen. Einen Boykottaufruf der katholischen Kirche hält er für unangemessen. Die im Buch dargestellte katholische Organisation Opus Dei gehe professioneller mit dem Film um; sie stelle sich der Kritik.

17.05.2006
    Remme: Wer hat das Buch in Deutschland noch nicht gelesen, das "Sakrileg" von Dan Brown? Millionen von Exemplaren sind verkauft worden, weltweit ein außergewöhnliches Echo. Heute Abend findet die Verfilmung des Romans statt, eine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes, "Da Vinci Code" mit Tom Hanks in der Hauptrolle. Wie ist dieses Echo zu erklären? Das habe ich Lutz Lehmhöfer gefragt. Er ist Theologe, er ist Politologe, seit vielen Jahren Sektenbeauftragter des Bistums Limburg und ein Fan religiöser Krimis. Ihn habe ich zunächst gefragt, ob ihm gleich beim ersten Lesen klar war, dass das Buch ein solches Echo finden würde?

    Lehmhöfer: Nein, das hatte ich offen gestanden nicht erwartet, denn das Strickmuster, es gibt ein geheimes Dokument, das, wenn es an die Öffentlichkeit kommt, die gesamte Kirchengeschichte umstürzt, dieses Strickmuster gibt es häufiger. Ich kenne mehrere Romane davon und keiner hat diese Resonanz gehabt wie jetzt Dan Brown.

    Remme: Herr Lehmhöfer, wenn wir zunächst mal auf das Buch als Kriminalroman schauen. Wie hat es Ihnen gefallen?

    Lehmhöfer: Ich muss sagen, mir hat es nur mäßig gefallen. Ich finde es psychologisch und in der Zeichnung der Personen eher schwach. Die Stärken sind in der Verrätselung. Wer Rätselkrimis liebt, der kommt auf seine Kosten, oder wer rasante Verfolgungsjagden liebt. Die sind ja vielleicht in dem Film sogar noch hübscher als im Buch. Aber ansonsten habe ich es nicht als so spannend empfunden.

    Remme: Und wie erklären Sie sich den gigantischen Erfolg trotz dieser Mängel?

    Lehmhöfer: Darüber habe ich selber länger gerätselt. Ich denke, Dan Brown bedient zwei widersprüchliche Gefühle, die es eventuell in der gegenwärtigen Gesellschaft gibt: einerseits das durchaus vorhandene Interesse am Religiösen. Es ist nicht mehr unfein und altbacken, darüber überhaupt zu sprechen. Zugleich ist es aber eine Aggression gegenüber festen, klassischen, religiösen Institutionen. Da ist natürlich kein so ein kompakter Block vermeintlich wie die katholische Kirche. Man kann also beides mit der Lektüre dieses Buches verbinden: das Interesse an religiösen Fragen, esoterischen Theorien und Ideen, aber auch die Abwehr der klassischen Verwalter des Religiösen.

    Remme: Und wo meinen Sie liegen die Wurzeln dieser Aggression?

    Lehmhöfer: Ich denke, dass die Bindung an die Kirchen ja doch insgesamt sehr nachgelassen hat - das sagen alle soziologischen Umfragen – und dass von daher so große Institutionen, die aber genau dieses hier vertreten, dann einen doch reizen, zumal wenn wie im letzten Jahr die katholische Kirche eine derart überbordende Medienpräsenz bekommen hat. Dann ist das vielleicht jetzt auch ein Gegenschlag.

    Remme: Jesus hatte also der Story zufolge mit Maria Magdalena ein Kind, dessen Nachkommen heute noch leben, und die katholische Kirche versucht, seit 2000 Jahren dieses Geheimnis mit allen Mitteln zu vertuschen. Wie schwer ist es für einen Theologen, dieses Szenario als komplett fiktiv zu entlarven?

    Lehmhöfer: Es ist einerseits einfach, denn es gibt so gut wie keine Quellenbelege für diese abenteuerliche These. Richtig daran ist ausschließlich, dass Maria Magdalena unter den Frauen, die Jesus nachfolgten, eine besondere Rolle spielte. Sie stand am Kreuz, sie war am Grab am Tage der Auferstehung. Mehr ist aber nicht daran. Ich denke das ist einfach eine Story die reizt, wenn man den Gottmensch Jesus, der in der Vorstellung der meisten Menschen dann auch asexuell ist, einfach in eine solche Beziehung hinein bringt. Das hat den Reiz des Tabubruchs und das kostet Dan Brown aus. Nicht als erster, aber sehr wirksam.

    Remme: Nun könnte man natürlich einwenden, das Jesus-Bild, das uns die katholische Kirche vermitteln will, ist auch fiktiv und intern selbst bestimmt?

    Lehmhöfer: Aber nicht ganz so krude wie bei Dan Brown. Allein die Tatsache, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, was ja bei Dan Brown eben in Frage steht, ist auch durch außerchristliche Historiker überliefert. Das Jesus-Bild der Evangelien und der frühen Briefe hat zwar unterschiedliche Nuancen, aber macht doch sehr deutlich einen Prediger des Reiches Gottes, dem eigentlich auch nichts anderes wichtig ist, als auf dieses Reich Gottes hinzuweisen, und der sucht Nachfolger und nicht etwa Nachkommen.

    Remme: Sie haben den Stoff in der katholischen Erwachsenenbildung thematisiert, auch innerhalb der Pfarrerfortbildung. Welche Fragen stehen denn bei den Teilnehmern im Mittelpunkt?

    Lehmhöfer: Es wird immer wieder darüber nachgedacht, bringt das eigentlich Gläubige jetzt irgendwie ins Schleudern. Es scheint so, dass vor allem auch Schüler und Jüngere durchaus dazu neigen, die Sachverhalte, die Dan Brown berichtet, für bare Münze zu nehmen. Dan Brown legt ja auch diese Spur und behautet, das meiste sei historisch zutreffend, was falsch ist. Zum anderen wird halt der Glaube umgepolt.

    Er bekommt auf einmal eine krude Wichtigkeit, eine Blutslinie von Jesus her zu finden, wenn wir heute einen Nachkommen der Merowinger und letztlich von Jesus und Maria Magdalena fänden, als ob das dann irgendeine Bedeutung hätte, wenn dieser Mensch gefunden würde. Es ist eher ein Spiel, denke ich, ein Spiel mit historischen und religiösen Sachverhalten. Dieses Spiel, das ein bisschen den Kitzel des Tabubruchs hat, das macht einfach Leuten Spaß.

    Remme: Eine wichtige Rolle spielt die katholische Organisation Opus Dei. In diesem Buch wird sie dargestellt als mörderische Sekte. Jenseits dieser Darstellung und jenseits des Buches ist Opus Dei einigermaßen geheimnisumwittert. Ist das selbst verschuldet?

    Lehmhöfer: Das ist zum Teil selbst verschuldet, weil sehr häufig Mitglieder des Opus Dei jedenfalls in der Vergangenheit eben aus ihrer Mitgliedschaft ein Geheimnis gemacht haben. Das weckt natürlich immer Fantasien, wo überall sie unerkannt an Schalthebeln der Macht säßen. Und weil schon das Opus Dei auch in seinen inneren Regularien einige Dinge hat, die ja auch bei Dan Brown benannt werden: das Tragen eines Bußbandes oder die Selbstgeißelung mindestens in den inneren Kern des Opus Dei für die Nummerarier. Das gibt es ja tatsächlich und da schütteln auch viele Katholiken den Kopf.

    Remme: Der Vatikan hat zunächst versucht, das Buch zu ignorieren. Dann kam doch scharfe Kritik. Ein Kurienkardinal hat die Gläubigen gar aufgefordert, den Film vor die Gerichte zu bringen, die Macher anzuzeigen. Andere fordern einen Boykott. Meinen Sie Rom geht mit diesem Thema richtig um?

    Lehmhöfer: Ich halte das für kontraproduktiv, Boykottaufrufe oder Ähnliches in die Welt zu setzen. Man sollte sehr wohl deutlich machen, dass das Fiktion ist und dass hier zum Teil wirklich blühende Fantasie historisch und theologisch waltet. Aber ich denke, man sollte mehr Gelassenheit zeigen. Das Opus Dei geht da eigentlich professioneller mit dem Film um. Man lädt verstärkt Menschen in die Zentrale des Opus Dei, etwa in New York ein, die ja auch mit Adresse im Buch genannt wird, und fordert die Leute auf, sich selber ein Bild zu machen im Gespräch mit Opus-Dei-Angehörigen. Das finde ich eigentlich eine sinnvollere Art des Umgangs.

    Remme: Sie haben ja gerade selbst erwähnt, wie virtuos die katholische Kirche mit Medien umgehen kann. Das hat der Tot von Johannes Paul II. gezeigt, auch der Weltjugendtag in Köln. Warum hier so wenig Souveränität, so wenig Gelassenheit?

    Lehmhöfer: Ich fürchte man hat noch nicht begriffen, dass man nur entweder sich auf Medienöffentlichkeit voll und ganz einlassen kann oder es bleiben lassen kann. Wer die Medien in dieser Weise im eigenen Interesse oder im Interesse der eigenen Botschaft nutzt, der muss auch damit rechnen, dass Kritik, dass negative Publicity genauso Raum bekommt. Wenn man das vermeiden will, muss man sich generell zurückziehen, aber man kann nicht das eine haben und das andere vermeiden.

    Remme: Der Karikaturenstreit, Herr Lehmhöfer, ist ja noch in guter Erinnerung. Welche Folgen hätte denn ein ähnliches Buch in Zusammenhang mit Mohammed und dem Islam?

    Lehmhöfer: Das hätte wahrscheinlich sehr viel blutigere Folgen, weil die Person des Propheten noch unendlich mehr von Tabus besetzt ist innerhalb des Islam als die Gestalt Jesu Christi bei uns. Ich denke hier wird ein Unterschied deutlich. Der Islam hat kaum eine Aufklärung erlebt beziehungsweise sie integriert in die eigene Glaubenswelt. Das Christentum hat das unter Schmerzen getan und deswegen fallen glaube ich die Reaktionen zumindest zivilisierter aus. Es hätte sicherlich im islamischen Kontext eine ähnliche Wirkung wie der Karikaturenstreit.

    Remme: Lutz Lehmhöfer war das, Sektenbeauftragter des Bistums Limburg.