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Selbstverbrennung eines Pfarrers
Der Fall des Pfarrers Oskar Brüsewitz

Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz zündete sich 1976 in Zeitz selbst an - aus Protest gegen die Verhältnisse in der DDR. Das DDR-Regime verunglimpfte ihn als Psychopathen. Bis heute ist die Erinnerung an Oskar Brüsewitz ein heißes Eisen. Bald wäre sein 90. Geburtstag.

Von Christoph Richter | 09.04.2019
Vor 25 Jahren, am 18. August 1976, übergoss sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz (Foto vom 28.2.1976) vor der Michaeliskirche in Zeitz mit Benzin und zündete sich an.
Pfarrers Oskar Brüsewitz zündete sich vor der Michaeliskirche in Zeitz mit Benzin an (dpa/ picture alliance)
Zeitz liegt im Süden Sachsen-Anhalts, auf halber Strecke zwischen Leipzig und Jena. Im Zentrum der Innenstadt, steht die romanische, weiß glänzende Michaeliskirche. Auf dem Kirchenvorplatz befindet sich eine unscheinbare Sandstein-Säule. Sieht aus wie ein archäologischer Artefakt aus der frühen Neuzeit. Es soll aber genau die Stelle markieren, an der sich 1976 der Pfarrer Oskar Brüsewitz mit Benzin übergossen und öffentlich verbrannt hat. Aus Protest gegen die Unterdrückung und Kriminalisierung von Christen in der DDR.
Kein Denkmal, keine Hinweise
Ein Fall, der im öffentlichen Bewusstsein, in der Erinnerungskultur der Stadt Zeitz kaum auftaucht. Bis heute. Es gibt kein einziges Hinweisschild in der Stadt, kein Denkmal, das an den Fall Brüsewitz erinnert. Bis vor kurzem gab es lediglich eine kleine Erklär-Tafel. Doch auch die gibt es nicht mehr, sie wurde geklaut oder heimlich abgeschraubt. Keiner hat es bemerkt. Nicht mal Werner Köppen, der Pfarrer der Michaeliskirche.
"Hier war noch eine Erklär-Tafel dran, die sagt, was die Säule soll. Die ist jetzt verschwunden, sehe ich jetzt das erste Mal."
Werner Köppen ist überrascht, ja irritiert.
"Muss schon sagen, damit habe ich nicht gerechnet. Auf der Tafel standen die Lebensdaten von Oskar Brüsewitz drauf und dass er sich aus Protest gegen die Bevormundung, durch das SED-Regime umgebracht hat. Das finden manche Leute viel zu platt, viel zu oberflächlich."
Öffentliche Diskussion - Fehlanzeige
Andere Stimmen verneinen vehement die politische Dimension und sehen in der Selbstverbrennung nur die Tat eines Verrückten. Den lokalen Medien ist das Verschwinden der Tafel nicht mal eine Nachricht wert. Selbst der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme hat von dem Verschwinden nichts mitbekommen, obwohl er nur wenige Meter von der Gedenksäule entfernt wohnt.
Thieme: "Oh, da war eine Gedenktafel…"
Reporter: "... und keinen scheint es in der Stadt zu interessieren…"
Thieme: "Ich behaupte, das Thema ist gar nicht so relevant in der öffentlichen Diskussion, weil es die öffentliche Diskussion gar nicht gibt."
Für den aus Hamburg stammenden Oberbürgermeister ist der Fall Brüsewitz ein heißes Eisen. Er komme aus dem Westen und wolle nicht agitieren, schon gar nicht wolle er vorschreiben, wie die Zeitzer mit dem Fall Brüsewitz umzugehen haben, sagt der akkurat gekleidete hanseatische Mann mit der grünen Barbour-Jacke.
Zwiespältiges Bild
Wer sich dagegen auf den Zeitzer Straßen und Gassen bei den Menschen umhört, bekommt ein zwiespältiges Bild zum Umgang mit Oskar Brüsewitz.
Frau: "Einige setzen sich da schon auseinander. Andere sagen, es geht mich nichts an, ich will es nicht."
Reporter: "…aber eine offensive Gedenkkultur gibt es nicht, oder?"
Frau: "Nee. Glaub ich nicht, dass es das hier in Zeitz gibt."
Aber es heißt auch:
Mann: "Ich würde sagen, nach so vielen Jahren, dass man es jetzt mal ruhen lassen sollte..."
Reporter: "Warum?"
Mann: "Es liegt doch nun so viel Jahre zurück. Viele Leute berührt es nicht. Das ist meistens von außerhalb hier reingetragen worden, durch die West-Journalisten."
Reporter: "Durch wen?"
Mann: "Durch die West-Journalisten, die zuhauf über die Sache berichtet haben."
Wer in Zeitz allerdings jüngere Menschen nach Oskar Brüsewitz fragt, erntet nur Schulterzucken. Die Selbstverbrennung scheint in den Schulen so gut wie kein Thema zu sein.
Selbst innerhalb der Kirche scheint man sich uneins zu sein, wie mit dem Fall Brüsewitz umzugehen ist. Deutlich wird es am Umgang mit dem 90. Geburtstag von Oskar Brüsewitz, der am 30. Mai 90 Jahre alt geworden wäre. Doch eine Gedenk-Veranstaltung wird es in Zeitz nicht geben. Auch nicht an der Michaeliskirche, erläutert Pfarrer Werner Köppen.
"Naja, das ist auch eine Frage, welche Leute möchten das gerne und welche Menschen geben ihre Energie da rein, damit so etwas stattfinden kann. Also, wir als Kirchengemeinde sehen uns dazu nicht in der Lage. Dafür reicht unsere Kraft nicht."
Wenn jemand etwas in der Kirche machen wolle, dann sei er gerne eingeladen. Aber selbst halte man die Hände still, zu kräftezehrend sei die Auseinandersetzung um Brüsewitz, so Köppen weiter.
Kriminalisierte Tote
Birgit Neumann-Becker - die Stasi-Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt - sieht in der komplizierten Auseinandersetzung, Überreste der DDR-Propaganda:
"Ja, ich glaube, dass an dieser Stelle die Propaganda der SED-Medien sehr stark nachwirkt. Es wirkt ja ähnlich auch in anderen Fällen nach. Also, wenn man sich anschaut, bei denen die an der Grenze erschossen worden sind, da gab es dieselbe Propaganda. Sie sind kriminalisiert worden, es sind Legenden um ihren Tod berichtet worden. In diesem Sinne hat die Propaganda einen sehr langen Schatten."
Die Propaganda begann 1976, als im "Neuen Deutschland" in großen Lettern und im geifernden Ton Brüsewitz als Psychopath, als sexuell pervers, als BND-Agent bezeichnet wird, als ein Mann, der "nicht alle fünf Sinne beisammen hatte".
Eine Argumentation, die sich bis heute in vielen Köpfen festgesetzt habe, ergänzt Birgit Neumann-Becker. Und verweist auf die Dissertation des Berliner Journalisten Karsten Krampitz zum Fall Oskar Brüsewitz, die 2016 im Verbrecher-Verlag erschienen ist.
Krampitz wiederhole die Lesart aus DDR-Zeiten, dass Brüsewitz psychisch krank gewesen sei. Historiker Christian Halbrock von der Berliner Stasiunterlagenbehörde und Experte in Sachen DDR-Kirchengeschichte kritisiert, dass Krampitz sich nicht auf Primärquellen stütze, stattdessen Stasi- Akten "verwissenschaftlicht" habe.
Ein übliches Narrativ?
Auffällige Regime-kritische Pfarrer und Diakone als "Verrückte" an den Pranger zu stellen, sei eine übliche Praxis des SED-Regimes, sei ein "verfestigtes Narrativ" im Umgang mit unbequemen Christen gewesen. Das komme bei Karsten Krampitz überhaupt nicht vor. Weshalb Halbrock die 700 Seiten dicke Dissertation zum Fall Brüsewitz "verlängerte DDR-Propaganda" nennt. Ähnlich sieht es die Stasi-Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker.
"Das irritiert mich nicht nur, es verärgert mich auch. Stasi-Akten sind natürlich Materialien mit den man arbeiten muss und sollte, aber sie sind historisch kritisch einzuordnen. Und sie können nicht als wahrheitsbegründende Quellen an dieser Stelle verstanden werden, sondern sie müssen kritisch gesehen werden. Wenn sie einfach zu Tatsachenbehauptung dienen, dann ist das im Fall von Oskar Brüsewitz und in vielen, vielen anderen Fällen, einfach in der Sache nicht dienlich und führt uns im Verständnis dessen, was dort passiert ist und was Brüsewitz bewegt hat, überhaupt nicht weiter."
Der Diebstahl der Gedenktafel an der Steinsäule vor der Zeitzer Michaeliskirche, sei ein guter Anlass, um über die Selbstverbrennung und das bis heute wirkende Gift der DDR-Propaganda zu sprechen, fordert die Magdeburger Stasi-Beauftragte Birgit Neumann-Becker.
Der Fall Brüsewitz mache deutlich, dass die Aufarbeitung zur Benachteiligung, Diffamierung und Kriminalisierung von Christen in der DDR noch lange nicht am Ende sei.
Der Pfarrer Werner Köppen steht noch immer etwas ratlos vor der Brüsewitz-Gedenksäule in der Zeitzer Innenstadt. Er atmet tief. Wirkt erschöpft. Als ahne er schon, dass der Diebstahl der Brüsewitz-Erinnerungstafel in Zeitz wieder einen ganzen Rattenschwanz nach sich ziehen und viele Debatten neu entfachen werde. Das beträfe aber nicht nur Zeitz, sondern auch Sachsen-Anhalt, ja den ganzen Osten Deutschlands.
"Das wird ja wieder eine Auseinandersetzung ohne Ende. Die Diskussion ist nicht am Ende, das ist richtig."