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Selfies in der Kunst
Der erlösende Klick

Das Wort Selfie können viele schon nicht mehr hören, zu allgegenwärtig sind die massenhaften Selbstbildnisse via Smartphone-Klick vor allem in den Sozialen Medien. Aber die Selfies sind keine Erfindung des digitalen Zeitalters, wie in der Ausstellung "Self-Timer Stories" im Austrian Cultural Forum in New York deutlich wird, die sich dem Selbstporträt seit den 60er-Jahren widmet.

Von Christian Lehner | 31.07.2014
    Die Linse einer Kamera in Großaufnahme.
    Die Linse einer Kamera in Großaufnahme. (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Ein Geräusch, das nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist: der Fotoauslöser des Smartphones. Immer häufiger richten wir den Fokus auf uns selbst.
    In der Kunst hingegen wird das flüchtige Geräusch des Auslösers zum befreienden Moment. "Self-Timer Stories" heißt die aktuelle Schau im Austrian Cultural Forum in New York. Gezeigt werden Selbstporträts von insgesamt 20 Künstlern, der Großteil davon aus Österreich. Dabei geht es laut Kuratorin Felicitas Thun-Hohenstein weniger um die Porträts an sich, sondern um diesen einen Moment, wo der Selbstauslöser "klick" macht:
    "Roland Barthes hat ihn den 'erlösenden Klick' genannt. Auf diesen Knopf zu drücken erzeugt eine Spannung, eine Aufregung. Es ist ein unberechenbarer Moment, aber ein sehr produktiver, der einen auch ins Verhältnis mit den Aparatus setzt, der in diesem Moment zu einer Art Sparring-Partner wird."
    Die Spannung des Moments, sie öffnet einen Raum. Und in diesem Raum wird inszeniert und experimentiert.
    Peter Waibel schlüpft in einem Selbstporträt aus dem Jahr 1967 in die Rolle einer Frau. Auch Birgit Jürgenssen und Friedl Kubellka untersuchen mittels Pin-Ups und Nacktfotos gesellschaftliche Gender-Normen. Feminismus, Körperpolitik und Identität - das sind die bestimmenden Themen der Schau. Der Hype um die Selfies der Jetztzeit kommt aber auch nicht zu kurz:
    "Explizit damit auseinandergesetzt hat sich in Laurel Nakadate, ein upcoming Star in der New Yorker Kunstszene. In ihrer Arbeit '365 Days: A Catalog of Tears' hat sie 365 Arbeiten produziert, bei denen sie tagtäglich geweint hat, die sich in Interviews auch immer explizit auf ihre 'Generation Selfie' bezieht und sich damit auseinandersetzt."
    Am interessantesten sind doch wir selbst
    Wie es scheint, ist das Selfie derzeit immer und überall. So richtig los ging es mit der Gruppenaufnahme von Ellen Degeneres bei der letzten Oscar-Gala. Seitdem fluten Selbstporträts die sozialen Netzwerke.
    Selfies sind mittlerweile so populär, dass sie im Verhältnis von Fan und Star dem klassischen Autogramm den Rang abzulaufen drohen. Aber seien wir mal ehrlich. Am interessantesten sind doch wir selbst. Laut Studie eines Smartphone-Herstellers schießen 50 Prozent aller Männer und 52 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 24 Jahren regelmäßig Fotos von sich selbst. Es sind also vorwiegend die Jungen, die es tun! Psychologen attestieren bereits eine Gesellschaft des Massennarzissmus.
    Doch es gibt sie noch, die blinden Flecken, das Terrain, auf das sich das Selfie noch nicht vorgewagt hat. Eines der beeindruckendsten Werke der Ausstellung "Self-Timer Stories" in New York stammt von der brasilianischen Künstlerin Roberta Lima. Sie hat mit Hilfe einer Injektionsnadel ihr eigenes Blut fotografiert. Das Ergebnis: zwei Prints mit Ultra-Zoom, die das Blutbild wie ein Sternensystem wirken lassen.
    "Was Sie hier sehen, ist ein Abbild meiner RNA. Im Gegensatz zur DNA, die ein genetischer Fingerabdruck ist, verändert sich die RNA ständig. Sie gibt Auskunft über die momentane Verfassung des Körpers; und diese Verfassung ist von vielen inneren und äußeren Umständen abhängig. Es ist also im wahrsten Sinn des Wortes eine Momentaufnahme."
    Das Selbstporträt im Wandel der Zeit. Tatsächlich erzählen die "Self-Timer Stories" Geschichten, die sich jenseits der Momentaufnahme entfalten. Das idealisierte Bild des Selfies hingegen lebt nur für diesen einen flüchtigen Moment. Und doch möchte man immer und immer wieder draufdrücken.