Dienstag, 14. Mai 2024


Senegal: Rückkehr wider Willen

Montag morgen. Ein Industrieviertel in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Es ist 8 Uhr. Ein paar Arbeiter frühstücken vor einem Werkstor.

Von Rüdiger Maack | 07.05.2006
    Ein flacher Holztisch, dahinter sitzt eine vielleicht 20-jährige Frau, rechts neben ihr ein grauer Pappsack mit Baguettes, vor ihr mehrere Töpfe. Es ist frisch, die Arbeiter frösteln.

    Einer von ihnen ist Ahmed Konté. Er wohnt in einem Vorort von Dakar, weit außerhalb der Stadt. Ahmed ist Schweißer von Beruf, er ist 24 und auf Arbeitssuche. Eineinhalb Stunden Busfahrt hat er auf sich genommen, um hierher zu kommen. Der Vorarbeiter des kleinen Schweißerbetriebes hatte ihm Hoffnung gemacht auf einen Job.
    Der Vorarbeiter hält ihn hin. Nächste Woche werde es vielleicht klappen. Ahmed ist frustriert. Es ist schon das dritte Mal, dass er vertröstet wird.

    " Ich finde keine Arbeit, aber ich suche weiter. Seit gut drei Wochen schon. Jeden Morgen um 6 fahre ich nach Dakar und hoffe auf einen Job. Aber es gibt nichts. Nichts! Das ist wirklich hart. "

    Ahmed fährt mit dem Bus wieder zurück in den Stadtteil, in dem er bei seinem Onkel wohnt. Im Jahr 2003 hatte er sich ein Herz gefasst. Da ist er nach Libyen gegangen, hat dort ein Jahr gearbeitet und ist dann nach Marokko weiter gereist. Sein Ziel: die spanische Enklave Melilla im Norden des Landes. Von hier aus wollte er weiter nach Spanien.

    Aber daraus wurde nichts. Er wurde zweimal nach Algerien abgeschoben, hat wochenlang im Freien übernachtet, trotz Eis und Schnee.

    Dann stand er eines Tages wirklich vor den beiden Zäunen, die Afrika von Europa trennen. Jede Nacht hat er gemeinsam mit Hunderten versucht, mit selbst gebauten Leitern über die zwei Zäune zu kommen, hinter denen Europa liegt. Im September hätte er es fast geschafft. Fast.

    " Ich bin gesprungen. Und zwischen den beiden Zäunen haben sie mich erwischt und den Marokkanern übergeben. Dann wurden wir drei Tage lang in einem Bus Richtung Süden nach Tan-Tan in die Wüste gefahren. Das war hart, wir hatten Angst, sie würden uns in der Sahara aussetzen. In Tan-Tan haben wir unseren Botschafter angerufen und der hat uns gesagt, wir würden zurückkehren in den Senegal. "

    Ahmed war enttäuscht und verzweifelt. Und wütend über die Brutalität der marokkanischen Sicherheitskräfte.

    " Gleich in der Stadt Nador haben sie angefangen, uns zu verprügeln. Wir haben uns gewehrt, wir dachten, sie wollen uns umbringen! Sie haben uns unser Geld gestohlen, sie haben alles genommen, was wir hatten. Wir sind mit leeren Händen zurück gekommen. Das war hart. "

    Das schlimmste, sagt Ahmed, ist die Rückkehr: nach Hause zurückzukommen ohne einen Centime in der Tasche.

    " Ich habe mich geschämt, so nach Hause zu kommen, wirklich geschämt. Aber man darf die Hoffnung nicht verlieren im Leben. Ich habe einen Onkel angerufen und bin dann nach Pikin gefahren. Ich kannte die Adresse gar nicht, denn sie waren umgezogen. Aber mein Onkel hat mich abgeholt "

    Das Haus von Ahmeds Onkel liegt in einer staubigen Seitenstraße am Rand dieses tristen Vorortes von Dakar. Die vier Zimmer des gedrungenen Bungalows gruppieren sich um einen offenen Innenhof, den zwei Mädchen fegen und wischen. Ahmeds Onkel erinnert sich genau daran, wie sein Neffe vor ihm stand.

    " Der Anruf hat mich ziemlich überrascht. Gut, sagte er, Onkel, ich bin wieder da, hol mich ab. Das habe ich getan: Aber wie sah er aus! Als wir nach Hause kamen, war die ganze Familie da und hat geweint. Die Umstände seiner Rückkehr waren wirklich traurig. Er hatte nichts mehr bei sich außer Hemd und Hose. "

    Ahmeds Onkel ist ein kleiner, freundlicher, gepflegter Mann. Mit seiner Rente kommt er nicht weit – er muss davon nicht nur seine acht eigenen Kinder durchbringen, sondern auch die Verwandten vom Land, die er bei sich aufgenommen hat. Jetzt wohnen 14 Menschen in dem kleinen Haus. Sie schlafen in den vier Zimmern mit dem nackten Zementboden auf billigen, bunten Schaumstoffmatratzen, die sie am Tag aufeinander stapeln. In der Ecke steht eine Kommode mit Kämmen, Schampoo, Creme, ein paar Zetteln. Sonst nichts.

    "Er hat mir gesagt, er wolle nach Europa gehen und dort Arbeit suchen, weil er hier zwar seinen Beruf gelernt hat, aber niemals Arbeit fand. Ich war einverstanden, weil auch ich nichts für ihn tun konnte "

    Ahmed ging nicht allein. Ein Cousin kam mit auf die große Wanderung. Er ist in Spanien angekommen und lebt dort. Für die Reise der Beiden hatte die Familie viel Geld zusammengelegt.

    Ahmeds Cousine Kumba Bande kommt hinzu. Sie macht dieses Jahr Abitur. Dass sie aus einer armen Familie kommt, ist ihr nicht anzusehen – ihr einfaches Kleid sieht sehr elegant aus.

    " Das war sehr traurig, als Ahmed zurückkam. Er ging weg als illegaler – schon das ist hart. Aber jeder hofft natürlich, dass er es eines Tages schafft, dass er sein Leben meistert. Aber dann schafft er es noch nicht einmal bis nach Europa und wird abgeschoben. Das ist sehr traurig. "

    Kumba kann den Moment nicht vergessen, als sie Ahmed um ersten Mal wiedersah.

    " Ich war in der Schule. Als ich zurück kam, laufe ich Ahmed vor der Tür über den Weg. Ich habe doch nicht ahnen können, dass er eines Tages in diesem Zustand vor mir stehen würde! Das war ein Schock! Ich habe mich zu sehr geschämt, ich habe mich gar nicht getraut, ihn irgendetwas zu fragen. Ich habe gar nichts gesagt und dann bin ich reingegangen und habe meine Mutter gefragt, und sie hat mir die Situation erklärt. Bis heute habe ich ihm keine Fragen gestellt. Manchmal erzählt er meinen Brüdern, was ihm alles passiert ist, aber mir niemals. Ich mische mich nicht in sein Leben ein. "

    Es muss wohl Gottes Wille sein. Und so haben weder Cousine noch Onkel den Stab über Ahmed gebrochen, als er zurückgekehrt ist. Die Abgeschobenen haben Angst, als Versager zu gelten, wenn sie mit leeren Händen zurückkehren - weil sie die Erwartungen ihrer Familien nicht erfüllt haben und alle Ersparnisse durchbrachten.
    " Im Leben ist es immer so: man muss im Leben Erfolg haben oder aber eben nicht. Ich wusste, dass die illegale Emigration riskant ist und dass ein Mensch auch scheitern kann, wenn er etwas erreichen will. "

    Für Kumba allerdings ist eines klar: sie wird nicht probieren, mit allen Mitteln nach Europa zu kommen. Obwohl sie davon träumt, an einer europäischen Universität zu studieren.

    Ahmed hofft weiter auf Arbeit in Dakar. Geld will er verdienen und sparen, um sich noch einmal auf den Weg nach Europa zu machen. Dort will er dann so viel Geld zusammenbekommen, dass er es in seinem Land investieren kann: Ahmed hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben.