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Sensoren auf der Torlinie

Falsche Torentscheidungen, die soll es bei FIFA-Turnieren bald nicht mehr geben. Doch können Technologien wie Antennen, Sensoren oder Magnetfelder am Fußball und auf der Torlinie Abhilfe schaffen? FIFA-Präsident Josefph Blatter glaubt dran.

Tobias Oelmaier im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Heinemann: Tor oder kein Tor? Die Fifa hat entschieden: Die wohl meist diskutierte Frage im Fußball soll künftig durch technische Hilfsmittel beantwortet werden. Tobias Oelmaier, welche Technologie kommt da jetzt ins Spiel?

    Tobias Oelmaier: So genau weiß man das noch gar nicht, so genau hat sich die Fifa noch gar nicht festgelegt. Es gibt wohl zwei Technologien: Die eine heißt Hawk-Eye, also zu Deutsch Falkenauge. Mit dieser Technologie hat man im Tennis ganz gute Erfahrungen gemacht. Das sind Hochgeschwindigkeitskameras, die dann am Stadiondach und hinter den Toren angebracht werden und die den Ballweg beobachten und daraus errechnen, ob der Ball hinter der Linie war oder nicht. Problem an der ganzen Geschichte ist: Wenn zum Beispiel der Torwart oder ein Abwehrspieler auf dem Ball liegt, dann kann natürlich auch eine Kamera das Ganze nicht erfassen. Andere Geschichte: GoalRef, eine Antennentechnik, Magnetfeldtechnik. Sensoren werden da an der Torlinie angebracht und am Torgebälk, also an der Latte und an dem Pfosten, und die sollen dann eben messen, ob der Ball hinter der Linie war oder nicht. Das System kommt übrigens aus Deutschland, wurde unter Mithilfe des Fraunhofer-Instituts in Erlangen produziert und Adidas könnte die Bälle dazu liefern, wäre also ziemlich interessiert an dieser Geschichte.

    Heinemann: Und was kostet der Spaß?

    Oelmaier: Der ganze Spaß kostet nach Fifa-Angaben bis jetzt ungefähr 120.000 bis 200.000 Euro pro Stadion, wobei die Fifa schon gesagt hat, man würde die Mitgliedsverbände nicht unterstützen dabei, sie müssten selbst für die Kosten aufkommen. Das mag jetzt für einen Deutschen Fußballbund nicht die Welt sein, aber man muss natürlich auch bedenken, dass es Verbände in Afrika gibt, in Asien, in Südamerika, die nicht ganz so gesegnet sind mit Geld, und wenn die dann ihre Stadien ausrüsten müssen, ist das schon eine Menge Holz.

    Heinemann: Sie haben eben gesagt, im Tennis wird es schon angewendet, dieses Verfahren.

    Oelmaier: Im Tennis wird es angewendet, wie gesagt Hawk-Eye. Allerdings in Wimbledon zum Beispiel nur auf dem Center Court, also auf zwei Plätzen. Auf den anderen müssen die Spieler auch einfach durch, durch die Tatsachenentscheidungen der Schieds- und Linienrichter durch. Und im Eishockey gibt es noch was Vergleichbares, eine Torkamera. Die ist dann über dem Tor angebracht, aber eben nur eine. Warum? - …, weil das Tor wesentlich kleiner ist, weil die Torlinie schmaler ist und da ist das Ganze dann einfacher nachzuvollziehen.

    Heinemann: Ist das jetzt der Einstieg in die elektronische Spielüberwachung? Bei Abseits gibt es ja durchaus auch umstrittene Entscheidungen.

    Oelmaier: Ich fürchte, es ist der Einstieg in die elektronische Spielüberwachung. Die Fifa, namentlich Generalsekretär Jéròme Valcke, sagt Nein, dabei bleibt es auf jeden Fall. Aber man muss natürlich bedenken: Diese wenigen Fälle, die wir da vor Augen haben, eben Wembley - 66 oder Südafrika 2010 oder jetzt kürzlich, das ist wirklich wenig. Verglichen damit sind Fauls, Handspiele, Abseitsstellungen oder dass der Ball vielleicht bei der spielentscheidenden Flanke, die zum Tor führt, gerade schon die Tor-Aus-Linie überschritten hat, natürlich kommen die wesentlich häufiger vor und da muss man doch dann eigentlich mit gesundem Menschenverstand sagen, warum führe ich für so eine Entscheidung, die einmal im Jahr vorkommt, Torkameras ein, wenn ich doch dann auch andere Schiedsrichterleistungen hinterfragen könnte.

    Heinemann: Wie hält es die Bundesliga jetzt?

    Oelmaier: Man steht im Prinzip dem Ganzen eher positiv gegenüber. Das sagt zumindest Liga-Präsident Reinhard Rauball. Und vor allem die Schiedsrichter, die freuen sich. Klar, an ihnen wird sonst wieder Kritik geübt. Die sind in dem Fall dann mal ganz gut aus dem Schneider. Aber man muss auch sagen, die Bundesliga wird nicht in der Lage sein, das Ganze vor der Saison 2013/2014 einzuführen.

    Heinemann: Wieso stimmt der Fifa-Präsident Joseph Blatter jetzt zu, nachdem er jahrelang Nein gesagt hat?

    Oelmaier: Bleiben wir mal zuerst bei dem, was er sagt. Er sagt, er hätte sein Schlüsselerlebnis bei der WM 2010 in Südafrika gehabt, bei diesem Lampard-Treffer, der ja zuerst an die Unterkante der Latte ging und dann ungefähr ein Meter hinter die Torlinie, Manuel Neuer griff sich den Ball und der Schiedsrichter, der gab eben nicht Tor. So etwas, sagte er, dürfe nie wieder vorkommen, wobei ich behaupte, da war der Schiedsrichter und der Linienrichter, die haben sich einfach unglaublich blöd angestellt. Das ist einfach kein Fall, der reproduzierbar wäre. Vielleicht liegt es aber auch so ein bisschen – und jetzt kommen wir natürlich in die Spekulation – daran, dass Michel Platini, der Präsident der UEFA, des Europäischen Fußballverbandes, ein Verfechter der Torschiedsrichter ist. Er möchte bei diesen menschlichen Entscheidungen bleiben und er weigert sich auch vehement, das für die europäischen Wettbewerbe, sprich Champions League oder Europameisterschaften, einzuführen – eine Technologie. Sollte es jetzt aber wieder solche Fehlentscheidungen geben, wie jüngst bei der EM, dann wäre natürlich Platini unter Druck, und Blatter ist ein Machtmensch und er fürchtet vielleicht auch, dass so ein Platini dann stärker würde, und wenn er sich jetzt gegen Platini stellt und eben diese Entscheidung getroffen hat, die etwas populistisch für mich auch ist, dann entmachtet man damit natürlich auch Platini. Und noch eine wirtschaftliche Geschichte: Die Technologie für das Hawk-Eye hat sich Sony gesichert. Sony ist Sponsor der Fifa. Die Technologie für dieses GoalRef möchte sich Adidas sichern. Auch Adidas ist Fifa-Sponsor. Man kennt sich, man hilft sich.

    Heinemann: Letzte Frage ganz kurz, ich weiß nicht, ob man sie überhaupt beantworten kann. Wieso ist eigentlich immer England im Spiel, wenn es um umstrittene Torentscheidungen geht – zweimal auch Deutschland?

    Oelmaier: Vielleicht ist das ja die Rache für die krummen Maße, die uns die Engländer da beschert haben mit ihren Yards und Foot. So ein Tor ist 2,44 Meter hoch, das sind acht Fuß. Hätte man sich mal an die metrischen Maße gehalten, an zwei Meter oder 2,50 Meter, dann hätte es das bis jetzt noch nie gegeben, dann wäre der Ball entweder reingegangen oder darüber.

    Heinemann: Tobias Oelmaier aus unserer Sportredaktion. Dankeschön.