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Serbien
Nachrichtenagentur Tanjug soll gerettet werden

"Nachrichtenagentur Tanjug am Ende" - hieß es vor einer Woche. Die Privatisierung schien gescheitert, das Kulturministerium in Belgrad verkündete das Aus für die 188 Beschäftigten. Jetzt hat der serbische Regierungschef Vucic die Sache selbst in die Hand genommen.

Von Ralf Borchard | 17.11.2015
    "Ich arbeite seit drei Jahrzehnten für Tanjug, und ich bin sehr stolz darauf", sagt Redakteur Mirko Dragisic. Er hat schon für Tanjug geschrieben, als es noch "Die jugoslawische Nachrichtenagentur" war, hat die Jahre miterlebt, als Slobodan Milosevic Tanjug zum großserbischen Propagandainstrument machte, und die Zeit, in der sich Tanjug mühsam den Ruf als gut informierte staatliche serbische Nachrichtenagentur erwarb.
    Jetzt sitzt Dragisic mit zitternden Lippen im Café gegenüber des Redaktionsgebäudes. Er vertritt die Tanjug-Mitarbeiter als Gewerkschafter, und es geht um Alles oder Nichts. Das Kulturministerium hat das Aus für Tanjug verkündet. Doch Premierminister Aleksandar Vucic soll in der folgenden Kabinettssitzung äußerst erbost gewesen sein. Der Premier hat Tanjug zur Chefsache gemacht. Und die Rettung versprochen, sagt Tanjug-Direktorin Branka Djukic:
    "Ich habe nicht nur die Hoffnung, sondern habe im Gespräch mit dem Premier Garantien bekommen. Dass ein Modell gefunden wird, damit Tanjug ungehindert seine Tätigkeit fortsetzen,
    als privates Unternehmen weitermachen kann."
    Die Privatisierung ist das Problem. Dass sich der Staat zumindest teilweise aus den Medien zurückzieht, ist eine Vorbedingung der EU für Beitrittsverhandlungen. Doch für Tanjug fand sich kein Käufer, die Frist ist verstrichen. Premier Vucic hat sie nun verlängert. Er selbst sagt:
    "Ich werde helfen und wir werden einen Modus finden. Tanjug ist ein Brand, ein großer Name. Wir können aber das Gesetz, das die Privatisierung vorschreibt, nicht verletzen. Wir werden sehen, dass wir das Tanjug-Problem auf eigene Art lösen."
    Möglicherweise wird ein Vucic nahe stehender Unternehmer einspringen. Mit der Pressefreiheit ist es in Serbien so eine Sache. In einer Befragung der Konrad-Adenauer-Stiftung sagten neun von zehn serbischen Journalisten, Zensur und Selbstzensur seien üblich. In der Rangliste zur Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" liegt Serbien nur auf Platz 67 – immerhin vor EU-Mitglied Bulgarien auf Platz 106.
    Die Regierung in Belgrad übt nicht nur direkt Druck auf Journalisten aus, sie belohnt gefügige Medien mit staatlichen Zuschüssen und bezahlten Anzeigen. Mit dem investigativen Netzwerk "Balkan Insight" führt Vucic eine Art Dauerkrieg, obwohl es zum Teil mit EU-Geldern finanziert wird. Vucic, einst Informationsminister unter Milosevic, will selbst in die EU. Was sagt Tanjug-Chefin Branka Djukic - gibt es für sie Grenzen kritischer Berichterstattung, etwa über Vucic?
    "Grenzen gibt es. Diese Grenzen können in ein Wort zusammengefasst werden: Verantwortung", lautet ihre vielsagende Antwort. Gleichzeitig betont sie den Stellenwert, den Tanjug als gut informierte Quelle in der ganzen Region hat.
    "Wenn Sie etwa das Thema Flüchtlingskrise nehmen – Tanjug war vom ersten Augenblick an in Gevgelija an der griechisch-mazedonischen Grenze. Unsere Video-Beiträge und Agenturberichte von dort haben sehr viele Medien übernommen, auch in Kroatien, Bosnien, in Mazedonien selbst, weil das objektive Informationen ohne jede Spekulation waren."
    Bei aller Regierungsnähe – Tanjug gilt auch bei kritischen Journalisten in Serbien selbst als eine wichtige Quelle. Tanjug-Redakteur Mirko Dragisic sagt:
    "Nicht nur für die 180 Leute, die hier arbeiten, noch wichtiger: Für den Stellenwert in der Medienlandschaft in Serbien, in der ganzen Region, ich würde sagen weltweit - es muss eine Lösung für Tanjug gefunden werden."