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"Serial"
US-Podcast führt zur Neuverhandlung eines alten Mordfalls

Er wurde wegen Mordes verurteilt, doch dank eines Podcasts könnte Adnan Syed wieder freikommen. Der US-Podcast-Hit "Serial" deckte zu viele Ungereimtheiten des Falls auf, nun wird der Prozess neu aufgerollt.

Christian Alt im Gespräch mit Sören Brinkmann |
    Adnan Syed, der wegen Mordes verurteilt wurde und dem jetzt wegen des Krimi-Podcasts "Serial" ein neuer Prozess gemacht wird.
    Adnan Syed, der wegen Mordes verurteilt wurde und dem jetzt wegen des Krimi-Podcasts "Serial" ein neuer Prozess gemacht wird. (The Baltimore Sun via AP)
    Sören Brinkmann: Vor zwei Jahren verhandelte der US-Podcast "Serial" einen echten Mordfall noch einmal. "Serial", das war "True Detective" für die Ohren. Moderatorin Sarah Koenig erkundet in jeder Folge eine neue Facette des Mords, kriecht immer tiefer in den Kaninchenbau. Und wir, die Hörer, krabbeln ihr hinterher, die eine große Frage im Hinterkopf: Wer hat die junge Schülerin Hae Min Lee ermordet? War es ihr Freund Adnan Syed oder doch vielleicht dessen Kumpel Jay? Adnan Syed wurde wegen des Mordes verurteilt, aber der Podcast rief viele und große Fragen auf. Seit gestern ist bekannt, der Mordfall wird neu aufgerollt. Adnan Syed bekommt ein neues Verfahren.
    Christian Alt kennt sowohl den Podcast "Serial" als auch die Podcastszene sehr gut. Herr Alt, ist das allein der Verdienst des Podcasts, dass Adnan Syed jetzt eine zweite Chance bekommt?
    Christian Alt: Zu großen Teilen, ja. Was man zuerst wissen sollte: Als "Serial" 2014 diese Geschichte erzählt hat, da war das nicht nur ein Podcast von vielen, sondern eine wirkliche Sensation. Die hatten Millionen Zuhörer auf der ganzen Welt. Es gab "Serial"-Blogs, "Serial"-Foren und eigene Podcasts, in denen über diesen Mordfall spekuliert wurde. Das letzte Mal, dass Popkultur so zum Mitraten eingeladen hat, war in den 90ern bei "Twin Peaks" als alle rausfinden wollten, wer Laura Palmer umgebracht hatte. Allein die Tatsache, dass der Fall von Adnan Syed so populär wurde, trägt schon viel dazu bei, dass er jetzt neu verhandelt wird. Der öffentliche Druck ist schon sehr groß, diesen Fall neu zu verhandeln.
    Brinkmann: Aber Beweise für seine Unschuld braucht es doch auch, oder?
    Alt: Naja, wirkliche Beweise für die Unschuld Adnan hat es nie gegeben. Die Autorin des Podcast, Sarah Koenig, hat sich große Mühe gegeben, sich eben nicht auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. Bis ganz zum Schluss hat man nie erfahren, ob sie denkt, dass er es war oder nicht. Vor Kurzem wurde sie in einem Interview noch mal gefragt und da meinte sie: Sie glaube zwar nicht an seine Unschuld, aber das erste Verfahren hätte so viele Ungereimtheiten gehabt, dass er eine zweite, dieses Mal faire Chance braucht.
    Vorwürfe der Eltern des Mordopfers gegen Podcast-Fans
    Brinkmann: Sie haben eben erzählt, dass der Podcast ein wirkliches Phänomen war. Dass da Leute im Internet mitgerätselt haben, wer denn der Mörder der jungen Hae Min Lee sein könnte. Ist das nicht ein bisschen perfide angesichts dessen, dass es sich hier um echte Menschen handelt?
    Alt: Natürlich. Die Eltern von Hae Min lee haben vor ein paar Wochen alle Podcast-Fans scharf attackiert, die sagen, dass Adnan unschuldig sein. Und damit treffen sie einen wunden Punkt, auch in der Erzählweise: Viele, viele "Serial"-Fans sind tatsächlich überzeugt, dass Adnan unschuldig ist. Die haben sich im Internet zusammengeschlossen, haben Zeugen von damals aufgespürt, die angerufen und wollten ihren Teil zur Geschichte beitragen. Das ist natürlich höchstproblematisch. Aber auch die Podcastmacher sind daran nicht unschuldig: Denn "Serial" hat hier eine Erzähltechnik populär gemacht, die höchsteffektiv und spannend ist, aber auch Probleme mit sich bringt. Dadurch dass hier jede Woche eine Folge rauskommt und der Zuschauer natürlich wissen will, wie es weitergeht, müssen die Erzähler Informationen absichtlich weglassen. Sie bauen Cliffhanger ein, erzeugen Spannung, aber auf dem Rücken echter Menschen. Diese Erzähltechniken sehen wir heute immer häufiger, es gibt wegen "Serial" einen regelrechten Hype um True Crime, also echte Verbrechen.
    Brinkmann: Würden Sie sagen, man könnte einen "Serial"-Effekt ausmachen?
    Alt: Auf jeden Fall. Vor einem halben Jahr startete die Serie "Making a Murderer" beim Streamingdienst Netflix. Auch hier wurde ein echtes Verbrechen verhandelt in zehn langen, dokumentarischen Folgen. Es gab die Fernsehserie "The Jinx", die einem Serienmörder sogar ein Geständnis auf Band abringen konnte. Und als eins der wenigen Neuerscheinungen auf dem Magazinmarkt kann der "Stern" mit "Stern Crime" totale Absatzrekorde feiern. Aber auch abseits von True Crime spürt man einen Durst nach dem Realen. YouTuber sollen authentisch sein, im Fernsehen läuft Reality TV, Facebook ermuntert uns jetzt auch noch unser Leben gleich live zustreamen. Ich würde sagen, True-Crime-Serien sind eine Fortführung von alten Krimiformaten – nur eben mit echten Protagonisten.
    "Wir wollen heutzutage keine abgeschlossenen Geschichten mehr haben"
    Brinkmann: Aber im Unterschied zu Krimis, bei denen dann der Gärtner oder der Butler der Mörder ist, ist es hier doch ein echter Mensch. Verändert das nicht die Art wie wir Geschichten erzählen?
    Alt: Nein, ich glaube, was man an dem "Serial"-Fall besonders schön beobachten kann: Wir wollen heutzutage keine abgeschlossenen Geschichten mehr haben. "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute", ist absolut out. Wenn wir ins Kino schauen, sehen wir Superheldenfilme, die kein Ende mehr finden. Fernsehserien laufen für Jahre. Comics sowieso. Wenn wir Protagonisten in Geschichten vorfinden, dann wollen wir die nicht mehr loslassen. Und unsere Popkultur sucht sich dann eben Geschichten, die unseren Wünschen entsprechen: Das funktioniert im Moment eben am besten mit echten Verbrechen von echten Menschen.
    Brinkmann: Besteht also eine Chance auf eine weitere Staffel "Serial" mit Adnan Syed, wenn der Prozess jetzt läuft?
    Alt: Davon ist auszugehen. Vor ein paar Monaten wurde Adnan angehört, das war die Vorverhandlung. Und auch schon da hat "Serial" einen kurzen Podcast aufgenommen. Sarah Koenig wird uns sicher erzählen, wie es hier weitergehen wird.
    Brinkmann: Der Mordfall des Podcasts "Serial" wird neu aufgerollt. Christian Alt hat erzählt was das für die Popkultur bedeutet.