Donnerstag, 02. Mai 2024

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Serie: Das Judentum und Jesus von Nazareth
Jesus als Mensch und nicht als Messias

Fast allen Leben-Jesu-Forschern sei klar: "Jesus ist unschuldig". Er habe sich nie wirklich konkret als Messias erklärt, sagte der jüdische Publizist Günther Bernd Ginzel im DLF. Paulus werde verantwortlich gemacht für die Entstehung eines sich dann anti-jüdisch gebenden Christentums. "Von daher ist es sehr viel leichter mit Juden über Jesus zu diskutieren als über Paulus zu diskutieren."

Günther Bernd Ginzel im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 02.04.2015
    Ein Holzkreuz mit Jesusfigur steht auf dem Friedhof Hochmutting in Oberschleißheim (Bayern).
    Auch das Judentum beschäftigt sich mit Jesus als historischer Figur. (picture alliance / dpa / Foto: Inga Kjer/dpa)
    Rüdiger Achenbach: Im christlichen Abendland waren die Juden ja mal weniger, mal mehr geduldet. Aber war in dieser Zeit - sagen wir mal ein Zeitraum von über tausend Jahren - Jesus überhaupt noch ein Thema innerhalb des Judentums?
    Günther Ginzel: Er war insofern in den ersten Jahrhunderten. Das Judentum war ja durchaus in der römischen Welt noch immer anerkannt und auch gar nicht so diskriminiert, wie wir das später, als die Kirche wirklich stark geworden ist, kennen. Natürlich in der anti-jesuanischen Polemik. Das heißt, die jüdischen Gelehrten beantworteten die anti-jüdische Polemik, die zahllosen Vorwürfe der Kirchenvertreter mit einer Gegen-Polemik. Die haben über Jesus genauso viel und genauso wenig gewusst - über den historischen Jesus, wie wir ihn heute nennen - wie die Kirchenvertreter. Aber sei es drum, wenn die gesagt haben, so ist das, dann haben sie eine - wie wir heute auch durchaus zugeben müssen - hämische Interpretation dagegengesetzt.
    Genau wie die Kirche - die Kirche hat gesagt, wir berufen uns auf die Evangelien, die Evangelien sind zeitgenössische historische Dokumente - haben sie dann Jahrhunderte später geschrieben, haben gesagt, das haben wir schon damals gesagt, das ist das uneheliche Kind von einem römischen Söldner mit einer nicht ganz keusch lebenden jüdischen Frau. Das war das eine so bös wie das andere. Diese Polemiken gab es. Was aber viel wichtiger ist, Herr Achenbach, etwas, wo wir jetzt erst forschen, was dann im Grunde genommen 2000 Jahre später, also in der Neuzeit, dann eine sich zunehmend wandelnde Christenheit verwundert entdeckte und plötzlich sagte, in den rabbinischen Schriften erleben wir ein Judentum, dass uns in einem Ausmaß den Juden Jesus verständlich macht, wie er in der Kirche verloren gegangen war.
    "Und nun beginnen Juden neugierig zu sein"
    Achenbach: Das ist dann aber eine Entwicklung, die erst im 19. Jahrhundert eingesetzt hat, denn vorher wird man ja sagen müssen, die historische Person Jesus von Nazareth war auch für das Christentum jahrhundertelang unbedeutend. Erst mit der Aufklärung und der Forschungsgeschichte der biblischen Bücher kam es dann in der Theologie nach und nach zu der Frage nach dem historischen Jesus, die vor allem im 19. Jahrhundert durch die sogenannte Leben-Jesus-Forschung ganz deutlich in den Vordergrund trat. Und genau diese Art, nach dem historischen Jesus zu fragen, wurde ja dann im 19. Jahrhundert von jüdischen Forschern aufgenommen, die sich intensiv damit auseinandergesetzt haben.
    Ginzel: So ist es. Noch eine kurze Vorbemerkung. Indem man sich jetzt auf Jesus, den Christus und Kreuz und Passion konzentrierte, musste man zwangläufig die Juden als Gottesmörder diskriminieren. Das heißt, durch diesen Wandel wurde die Kirche zum Feind der Juden - mal mehr, mal weniger. Sie zwang den Staat, Judentum sozial und juristisch und staatsbürgerlich - wie man später sagen würde - zu diskriminieren. Die Juden durften keine Staatsbürger sein und, und, und. Nun beginnt genau, was das schürt in dieser Zeit, in der die Leben-Jesu-Forschung beginnt, in der die historische Forschung beginnt, in der die Naturwissenschaften ihren großen Aufschwung haben - es beginnt gleichzeitig auch die Zeit der Emanzipation der Juden. Das heißt, raus aus der Diskriminierung. Und was entdecken Juden? Die Anwürfe der Kirche, dass sie, weil sie Jesus gemordet haben, weil sie auch im tausendsten Glied sozusagen immer noch keine Christen sind, verworfene sind. Und nun beginnen Juden neugierig zu sein, sich mit den eigenen Quellen auseinanderzusetzen, aber auch mit den christlichen Quellen. Und so entdecken sie den Jesus erstaunt und verwundert, Bruder Jesus, wie das dann in der Neuzeit einer der freundlichsten Leben-Jesu-Forscher, nämlich Schalom Ben-Chorin ausdrückte.
    Achenbach: Also es hängt wesentlich auch damit zusammen, dass man in der liberalen Atmosphäre des 19. Jahrhunderts auch eine freiere Einstellung zur jüdischen Tradition gewonnen hat.
    Ginzel: Zu eigenen jüdischen Tradition, aber das es jetzt auch einmal möglich war, sich in einer oftmals eben durchaus polemischen, aber nichtsdestotrotz in einer wissenschaftlich, theologisch orientierten Diskussion mit Christen auseinandersetzen zu können. Man wurde nicht automatisch verfolgt, sondern man konnte sich wehren. Es wurde darauf reagiert. Zunehmend waren es Christen, die zunehmend auch das jüdische Schrifttum entdeckten. Und nunmehr beginnt in der Tat ein jüdisches erstauntes Nachdenken. Im 19. Jahrhundert erscheinen relativ Bücher, beginnend mit Abraham Geiger und vielen anderen. Zur Jahrhundertwende und zu Beginn des 20. Jahrhundert entstehen dann Standardwerke. Ich nenne nur das eben von Klausner, die dann - und noch 30 Jahre später von Leo Baeck, die sozusagen die Evangelien - ich zitiere Leo Baeck - "als Glaubensdokument des Judentums wiederentdecken, nicht den Christus der Kirche, wohl aber den Bruder im Glauben, genannt Joshua-ben-Joseph."
    "Für Juden ist Paulus der typische jüdische Renegat"
    Achenbach: Wenn man sich diese Schriften von Samuel Hirsch oder Abraham Geiger oder aus von Joseph Klausner anschaut, dann kann man eigentlich immer ein Resultat finden, und zwar: Jesus hat nichts gelehrt, was nicht auch ein anderer Jude seiner Zeit hätte sagen können.
    Ginzel: Ja - das ist dann die große jüdische Überraschung. Im Grunde fast allen Leben-Jesu-Forschern ist das klar. Jesus ist unschuldig. Jesus hat sich nie wirklich konkret als Messias erklärt. Vielleicht hat er messianische Empfindungen gehabt. Paulus wird verantwortlich gemacht für die Entstehung eines sich dann auch anti-jüdisch gebenden Christentums. Nicht Jesus. Von daher ist es sehr viel leichter mit Juden über Jesus zu diskutieren als über Paulus zu diskutieren. Für Juden ist Paulus der typische jüdische Renegat, der die gesamte Geschichte durchzieht, der sozusagen einen Wechsel vornimmt und zu einem wird, der dem Judentum insgesamt schadet.
    Achenbach: Sind wir nicht auf dem Weg die notwendige Portion Aufklärung, die man gebraucht hat, um sich auch mit der historischen Figur Jesu zu beschäftigen, im Umgang mit der Religionsgeschichte wieder zu verspielen?
    Ginzel: Ja, das sind wir. Die Religionen - und zwar alle drei abrahamitischen Religionen - werden in ihren Rändern fundamentalistischer, intoleranter, dialogunfähiger.
    Achenbach: Unwissenschaftlicher.
    Ginzel: Das hängt damit zusammen. Sie müssen verdummen, sie können nicht auf der Höhe des Lehrens sein, weil sie dann mit ihren naiven Glaubensbekenntnissen, die nur den Bauch und das Gemüt ansprechen, nicht weiter kommen. Das macht es jetzt für Juden wieder so schwierig. Wenn diese Kreise letztendlich davon überzeugt sind, dass der jüdische Weg in der Taufe, in der Judenmission enden muss, wenn die einerseits zunehmend das Sagen haben - wir haben es auch in Amerika mit einer Zunahme des Antisemitismus zu tun - dann laufen wir Gefahr, in eine neue Eiszeit zu geraten. Und dann sind alle dialogbereiten Christen und Juden aufgerufen, sich diesem Weg des Fundamentalismus entgegen zu stemmen und die Stimme der Gemeinsamkeit hochzuhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.