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Serie: Geraubte Schätze (6)
Streit um griechische Skulpturen im British Museum

Seit Langem fordert die griechische Regierung die Elgin-Marbles-Skulpturen zurück, die einst den Pantheon-Tempel auf der Athener Akropolis zierten. Das British Museum in London sperrt sich aber dagegen.

Von Jochen Spengler | 04.01.2014
    Zwei Lastträger transportieren am 27. November 1948 das kostbare Elgin-Marmorrelief, das während des Zweiten Weltkrieges aus Sicherheitsgründen in einem unterirdischen Tunnel aufbewahrt wurde. Das rund 2500 Jahre Kunstwerk stammt aus Griechenland und ist im Britischen Museum in London zu sehen.
    Elgin-Marmorrelief, zu sehen im British Museum in London (picture alliance / dpa)
    Es sind unzählige Besucher aus aller Welt, die sie hier im Britischen Museum in dem 1939 eigens für sie gebauten Saal bewundern – Skulpturen vom 2.500 Jahre alten Parthenon, dem Haupttempel der Akropolis. Teile des Frieses, der Prozessionen zu Ehren der Göttin Athene zeigt. Metopenreliefs mit mythischen Kampfszenen. Götterfiguren, die einst in den Tempelgiebeln standen.
    "Sie sind atemberaubend schön. Jede Hand ist verschieden, der Sinn für die Form, das Muster und die disziplinierte Durchführung, nichts Zufälliges oder Subjektives. Wenn Sie auf die Details dieser Knöchel schauen, dann verstehen Sie die Brillanz in dieser Arbeit."
    Terry, weit über 60 Jahr alte, kommt dreimal die Woche hierher, um die Figuren immer aufs Neue abzuzeichnen. Liebreiz und Bedeutung der Parthenon-Skulpturen sind unter Kunsthistorikern wie Archäologen unumstritten. Heute aber, so gibt Neil MacGregor, Direktor des British Museum, in einer BBC-Dokumentation unumwunden zu, stellten sich viele Menschen nur eine Frage:
    "Wohin gehören die Kunstwerke? Nach London oder nach Athen."
    1801 hatte der britische Botschafter in Istanbul etwa die Hälfte der die Jahrhunderte überlebenden Parthenon-Skulpturen von Athen nach London geschafft. Athen gehörte damals zum Osmanischen Reich und Lord Elgin erhielt vom Sultan die Erlaubnis, Abgüsse und Zeichnungen der Akropolis zu fertigen und einige auf dem Boden liegende Skulpturen einzusammeln. Der Diplomat aber ließ Skulpturen, die später als Elgin Marbles berühmt wurden, auch vom Tempel selbst entfernen. Dennoch behauptet der Historiker und Labour-Abgeordnete Tristram Hunt:
    "Die Marbles kamen legal in den Besitz des Britischen Museums. Das macht den Fall so anders als die Fälle von Nazi-Plünderungen in den 30er- und 40er-Jahren oder die Antiquitätendiebstähle der letzten Dekaden."
    Der britische Filmemacher und Autor Stephen Fry widerspricht vehement:
    "Das wäre ja so, als wenn der amerikanische Botschafter im von den Deutschen besetzten Holland mit dem deutschen Statthalter einen Vertrag über den Verkauf von Rembrandts Nachtwache geschlossen hätte. Alles unterzeichnet, ja, wir sind die Deutschen, wir haben Holland besetzt, ja kannst du haben. Und der US-Kongress sagt dann, jawohl, es ist alles völlig legal, uns gehört jetzt die Nachtwache."
    Der Kunsthistoriker Tom Flynn meint, niemand könne heute beurteilen, ob es sich bei der Erlaubnis des Sultans um ein legales Dokument handelte. Die entscheidende Frage sei:
    "Sind sie legitim erworben worden vom Britischen Museum? Nein, absolut nicht. Sie wurden skrupellos beschafft. Ursprünglich für Lord Elgins Landhaus in Schottland. Der Schaden, den er den Objekten angetan hat, als er sie aus dem Tempel sägte, ist unentschuldbar. Viele fielen von dem Gebäude und wurden dabei beschädigt, es war eine völlig chaotische Sache."
    Bedenken gegen Lord Elgins Erwerb gab es von Beginn an in beiden Ländern. Die Rückgabeforderungen bekamen neuen Schub, als die Sängerin und Schauspielerin Melina Mercouri 1981 Kultusministerin Griechenlands wurde:
    "Was bedeutet Shakespeare für England, was St. Pauls Cathedral. Was bedeuten das Taj Mahal für Indien, was die Bilder der Sixtinischen Kapelle für Italien? Die Parthenon-Figuren sind unser Stolz, sie sind unsere Identität. Sie sind die heutige Verbindung zu griechischer Exzellenz. Sie sind Werke synonym für unsere Konzepte für Demokratie und Freiheit."
    Trotz dieses eindringlichen Appells bewegten sich britische Offizielle nicht. Allerdings gründete sich 1983 in London das Britische Komitee zur Rückerstattung der Parthenon Marbles, eine von inzwischen weltweit mehr als einem Dutzend ähnlicher Organisationen.
    "Wir sind nicht hier um das Britische Museum zu dämonisieren."
    Sagt Vorstandsmitglied Marlen Godwin. Es sei ein fantastisches Museum und leiste großartige Arbeit.
    "Niemand mag es, etwas zu verlieren, was so wertvoll ist. Aber wenn du als Mensch etwas siehst, das zusammengehört, wirst du doch immer versuchen, es zusammenzubringen."
    Seit 2009 in Athen das Akropolis-Museum eröffnet wurde und dort Platzhalter jene Stücke des Parthenon-Frieses ersetzen, die in London sind, gewinnen die Anhänger einer Wiedervereinigung der Kunstwerke weiteren Zulauf. Sie meinen, das Britische Museum solle sich mit Replikas begnügen. Dessen Leitung war nicht bereit zu einer aktuellen Stellungnahme gegenüber dem Deutschlandradio. Im Internet erklärt die langjährige Treuhänderin Bonnie Greer zum Standort der Parthenon Marbles:
    "Ich glaube wirklich, dass sie hierher gehören. Hier kann man sie neben früheren Kulturen sehen, die die Griechen beeinflusst haben. "
    Der Audioguide des Museums versucht aus der Not eine Tugend zu machen und betont die positiven Aspekte getrennter Standorte der Skulpturen.
    "Der größte Teil davon ist heute zwischen London und Athen aufgeteilt. An diesen verschiedenen Städten erzählen sie unterschiedliche Geschichten, die sich gegenseitig ergänzen. "
    Während die in Athen verbliebenen Skulpturen Zeugnis der nationalen Größe Griechenlands ablegten, würden sie in London als Teil der Weltkulturgeschichte zwischen Persern, Ägyptern und Römischem Weltreich präsentiert. Im Britischen Museum habe man die unterschiedlichen Epochen an einem Ort und es gibt durchaus Besucher, die das schätzen:
    "Ich mag das Museum, weil es so komplett ist. Es gibt verschiedene Zeitperioden und wie können durch die Geschichte reisen. Hier entdecken wir viele Dinge, die wir anderswo nicht finden."
    Doch Aida und Aneila, zwei 16-jährige Schülerinnen aus Paris, seien die Ausnahme, sagt der Kulturhistoriker Tom Flynn.
    "Die meisten Menschen, die das Britische Museum oder andere Universalmuseen besuchen, haben keinen Einblick in Weltgeschichte oder Chronologie. Und so, wie die Dinge ausgestellt werden, bekommen sie den auch nicht. Diese Museen bieten durcheinandergewürfelte, fragmentierte Objekte aus aller Welt. Künstlerischer Krempel, erworben ohne stimmige Schilderung und zusammenhanglos präsentiert."
    Das gelte auch und gerade für die Parthenon Marbles im Britischen Museum.
    "Am irreführendsten ist es, dass die Figuren hier so gezeigt werden, als würden sie in den Tempel blicken; in Wirklichkeit aber haben sie nach außen, in Welt hinaus geschaut. Man erhält einen vollkommen falschen Eindruck, weswegen auch die Geschichte, die sie uns erzählen könnten, völlig verzerrt wird. Wohingegen man sich keinen besseren Ort für die Skulpturen wünschen könnte, als die wunderbare Parthenon Galerie im Athener Akropolis Museum. Dort hat man einen Großteil ihrer ursprünglichen Bedeutung wieder erschaffen. "