Friedbert Meurer: Horst Ehmke war unter Willy Brandt Kanzleramtsminister und schreibt heute Romane und Polit-Krimis. Herr Ehmke, wie finden Sie denn die Serie "Kanzleramt"?
Horst Ehmke: Also ich kann nichts über die ganze Serie sagen. Ich kenne Teil 1, der gestern gesendet wurde, und auch schon Teil 4, mit einem großen Aufgebot von bekannten Schauspielern und edler Kulisse. Aber politisch kommt es nicht wesentlich über eine Seifenoper hinaus. Von den Problemen der Politik, die die Menschen berühren oder treffen, hört man eigentlich nichts - sie kommen bestenfalls als Verbalkulisse vor. Von den Aufgaben, Strukturen, Abläufen im Kanzleramt erfahren Sie auch nichts, oder, soweit sie in dem ersten Teil dargestellt werden, sind zum großen Teil falsch. Also leider ist es so, wie der Spiegel geschrieben hat, es menschelt, es kriselt, es süchtelt und es scherzelt, und ich füge hinzu, in guten wie in schlechten Zeiten. Ich finde das schade, da ich ja der Meinung bin, dass man mit guter politischer Unterhaltung eine Menge von Politik klarmachen und das Wissen und Interesse der Leute erweitern kann.
Meurer: An welcher Stelle beim ersten Teil haben Sie gesagt, das trifft nicht die Realität?
Ehmke: Zunächst mal der Auftakt mit der Dame, die als Harvardprofessorin Leiterin der außenpolitischen Abteilung wird. Das ist nun nachempfunden den amerikanischen Darstellern in der Serie "Westend" wie überhaupt der ganze erste Teil mehr einen Präsidenten und seinen Sicherheitsberater darstellt als einen Bundeskanzler im parlamentarisches System und sein Kanzleramt.
Meurer: Gut, dass die Frau natürlich selbst gegen Guerilleros, Peruaner, Entführer ermittelt, ist wahrscheinlich nicht so realistisch.
Ehmke: Nein, das ist völliger Quatsch, und das darf meines Erachtens in guter Unterhaltung nicht passieren, denn die Situation ist doch so, dass das beim Auswärtigen Amt liegt – die haben eine Botschaft in Peru und mindestens einen Geheimdienstmann drin oder in einem der Nachbarländer. Wir haben doch vor kurzem eine Entführung in der Sahara erlebt. Das macht natürlich das Auswärtige Amt mit seinen Mitteln und mit der Hilfe des Bundesnachrichtendienstes, aber jetzt so zu tun, als ob das Auswärtige Amt gewissermaßen das Überkanzleramt ist, und die Frau spielt den Kriminalisten, den Detektiv. Am Ende verspricht sie, wenn die Guerilleros erst gesiegt haben, kriegen sie von uns auch Geld. Das hat mit der Wirklichkeit des Kanzleramtes nichts zu tun.
Meurer: Aber trifft es vielleicht insofern die Wirklichkeit des Kanzleramt, als die meisten Deutschen denken, wir werden von einem Kabinett regiert, und hier erfahren wir, das ist der engste Mitarbeiterkreis im Kanzleramt?
Ehmke: Nein, nein. Hier schlägt das amerikanische Beispiel durch, auch dieser Vergleich mit Harvard, der an Henry Kissinger erinnern soll. Ich verstehe ja die Filmleute. Bei der ungeheuren Macht des amerikanischen Präsidenten lassen sich viel bessere Storys bauen als im komplizierten System der parlamentarischen Demokratie, wobei ja Koalitionen in dem Stück gar nicht vorkommen, geschweige denn Länder und Bundesrat – das kommt vielleicht noch hoffentlich.
Nein, es wird ein anderer Zustand dargestellt, als da ist. Es ist ja auch sehr interessant, vom Parlament erscheint nur die Fraktionsvorsitzende. Vom politischen Personal ist das die einzige, die unsympathisch dargestellt ist. Ich meine, sie tritt auf wie eine Zicke, was auch nicht sehr nett gegenüber den Frauen ist, muss ich den Herren Drehbuchschreibern sagen. Dann wird das noch vertieft, indem der Kanzleramtschef ihr sagt, sie hätte eigentlich nur Mist gemacht mit ihren Personalvorschlägen. Also so ist das Spiel ja nicht in der parlamentarischen Demokratie, dass das Parlament ganz an die Ecke gedrückt wird, der Kanzler ist fast Präsident und seine Leute benehmen sich so, als würden sie im Weißen Haus sitzen. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen.
Meurer: Nun sagen die Macher, es ist ein Spielfilm, es ist Fiktion, wir wollen nicht Eins zu Eins abbilden. Wie finden Sie denn die künstlerische Umsetzung, wenn man das so sagen darf?
Ehmke: Die Schauspieler sind erste Klasse – ich kenne sie ja auch -, und wenn da Fehler sind, dann eher von der Regie und vom Drehbuch her, nicht von den Schauspielern, das ist nicht das Problem. Aber ich sage Ihnen, für meine Begriffe müssen die Tatsachen auch in einem solchen Spielfilm stimmen. Wenn ich Institutionen, Abläufe, Ereignisse schildere, dann darf ich sie nicht so schildern, wie sie gar nicht passieren können, sondern wie sie passieren könnten. Das ist nicht der Fall. Das Zweite ist, ich glaube, sie würden stärker sein, wenn sie ein längeres Problem darstellen würden, wie sie es heute in Mengen gibt, vom Irakkrieg über die Arbeitslosigkeit, Bildungsfragen usw. und an einem solchen Stoff entwickeln würden, was bei den Leuten passiert. So ist es eine Art Episodenkino, also der erste Teil ist diese starke Frau und praktisch die Darstellung unseres Systems als Quasipräsidialsystem.
Meurer: Beim nächsten Mal geht es, glaube ich, um Tabaksteuern, so der Hinweis im Trailer. Da rückt es vielleicht schon etwas näher an die Realität.
Ehmke: Wir werden es ja sehen. Ich kann ja nur beurteilen, was wir gesehen haben. Der zweite Teil mit Vadim Glowna als Schmerzopfer, Frau krank und stirbt, dann Alkohol und Psychopharmaka. Ich meine, der Mann geht allein durch Berlin und schlägt sich, als ob er keinen Bodyguard, keinen Begleiter hätte, als ob keiner im Kabinett mit den vielen Dutzenden von Leuten, die ihn täglich sehen, sieht, der Mann ist krank, es muss etwas unternommen werden. Also was dann passiert, da scheint es eher eine Selbsthilfegruppe als ein Kanzleramtsteam zu sein. Also das ist menschlich gut gemeint, aber ich fürchte es menschelt so sehr, dass es die politischen Probleme und Abläufe verniedlicht und eigentlich den Menschen damit nichts das bringt, was es eigentlich bringen soll, nämlich Politik mal verständlich dargestellt.
Horst Ehmke: Also ich kann nichts über die ganze Serie sagen. Ich kenne Teil 1, der gestern gesendet wurde, und auch schon Teil 4, mit einem großen Aufgebot von bekannten Schauspielern und edler Kulisse. Aber politisch kommt es nicht wesentlich über eine Seifenoper hinaus. Von den Problemen der Politik, die die Menschen berühren oder treffen, hört man eigentlich nichts - sie kommen bestenfalls als Verbalkulisse vor. Von den Aufgaben, Strukturen, Abläufen im Kanzleramt erfahren Sie auch nichts, oder, soweit sie in dem ersten Teil dargestellt werden, sind zum großen Teil falsch. Also leider ist es so, wie der Spiegel geschrieben hat, es menschelt, es kriselt, es süchtelt und es scherzelt, und ich füge hinzu, in guten wie in schlechten Zeiten. Ich finde das schade, da ich ja der Meinung bin, dass man mit guter politischer Unterhaltung eine Menge von Politik klarmachen und das Wissen und Interesse der Leute erweitern kann.
Meurer: An welcher Stelle beim ersten Teil haben Sie gesagt, das trifft nicht die Realität?
Ehmke: Zunächst mal der Auftakt mit der Dame, die als Harvardprofessorin Leiterin der außenpolitischen Abteilung wird. Das ist nun nachempfunden den amerikanischen Darstellern in der Serie "Westend" wie überhaupt der ganze erste Teil mehr einen Präsidenten und seinen Sicherheitsberater darstellt als einen Bundeskanzler im parlamentarisches System und sein Kanzleramt.
Meurer: Gut, dass die Frau natürlich selbst gegen Guerilleros, Peruaner, Entführer ermittelt, ist wahrscheinlich nicht so realistisch.
Ehmke: Nein, das ist völliger Quatsch, und das darf meines Erachtens in guter Unterhaltung nicht passieren, denn die Situation ist doch so, dass das beim Auswärtigen Amt liegt – die haben eine Botschaft in Peru und mindestens einen Geheimdienstmann drin oder in einem der Nachbarländer. Wir haben doch vor kurzem eine Entführung in der Sahara erlebt. Das macht natürlich das Auswärtige Amt mit seinen Mitteln und mit der Hilfe des Bundesnachrichtendienstes, aber jetzt so zu tun, als ob das Auswärtige Amt gewissermaßen das Überkanzleramt ist, und die Frau spielt den Kriminalisten, den Detektiv. Am Ende verspricht sie, wenn die Guerilleros erst gesiegt haben, kriegen sie von uns auch Geld. Das hat mit der Wirklichkeit des Kanzleramtes nichts zu tun.
Meurer: Aber trifft es vielleicht insofern die Wirklichkeit des Kanzleramt, als die meisten Deutschen denken, wir werden von einem Kabinett regiert, und hier erfahren wir, das ist der engste Mitarbeiterkreis im Kanzleramt?
Ehmke: Nein, nein. Hier schlägt das amerikanische Beispiel durch, auch dieser Vergleich mit Harvard, der an Henry Kissinger erinnern soll. Ich verstehe ja die Filmleute. Bei der ungeheuren Macht des amerikanischen Präsidenten lassen sich viel bessere Storys bauen als im komplizierten System der parlamentarischen Demokratie, wobei ja Koalitionen in dem Stück gar nicht vorkommen, geschweige denn Länder und Bundesrat – das kommt vielleicht noch hoffentlich.
Nein, es wird ein anderer Zustand dargestellt, als da ist. Es ist ja auch sehr interessant, vom Parlament erscheint nur die Fraktionsvorsitzende. Vom politischen Personal ist das die einzige, die unsympathisch dargestellt ist. Ich meine, sie tritt auf wie eine Zicke, was auch nicht sehr nett gegenüber den Frauen ist, muss ich den Herren Drehbuchschreibern sagen. Dann wird das noch vertieft, indem der Kanzleramtschef ihr sagt, sie hätte eigentlich nur Mist gemacht mit ihren Personalvorschlägen. Also so ist das Spiel ja nicht in der parlamentarischen Demokratie, dass das Parlament ganz an die Ecke gedrückt wird, der Kanzler ist fast Präsident und seine Leute benehmen sich so, als würden sie im Weißen Haus sitzen. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen.
Meurer: Nun sagen die Macher, es ist ein Spielfilm, es ist Fiktion, wir wollen nicht Eins zu Eins abbilden. Wie finden Sie denn die künstlerische Umsetzung, wenn man das so sagen darf?
Ehmke: Die Schauspieler sind erste Klasse – ich kenne sie ja auch -, und wenn da Fehler sind, dann eher von der Regie und vom Drehbuch her, nicht von den Schauspielern, das ist nicht das Problem. Aber ich sage Ihnen, für meine Begriffe müssen die Tatsachen auch in einem solchen Spielfilm stimmen. Wenn ich Institutionen, Abläufe, Ereignisse schildere, dann darf ich sie nicht so schildern, wie sie gar nicht passieren können, sondern wie sie passieren könnten. Das ist nicht der Fall. Das Zweite ist, ich glaube, sie würden stärker sein, wenn sie ein längeres Problem darstellen würden, wie sie es heute in Mengen gibt, vom Irakkrieg über die Arbeitslosigkeit, Bildungsfragen usw. und an einem solchen Stoff entwickeln würden, was bei den Leuten passiert. So ist es eine Art Episodenkino, also der erste Teil ist diese starke Frau und praktisch die Darstellung unseres Systems als Quasipräsidialsystem.
Meurer: Beim nächsten Mal geht es, glaube ich, um Tabaksteuern, so der Hinweis im Trailer. Da rückt es vielleicht schon etwas näher an die Realität.
Ehmke: Wir werden es ja sehen. Ich kann ja nur beurteilen, was wir gesehen haben. Der zweite Teil mit Vadim Glowna als Schmerzopfer, Frau krank und stirbt, dann Alkohol und Psychopharmaka. Ich meine, der Mann geht allein durch Berlin und schlägt sich, als ob er keinen Bodyguard, keinen Begleiter hätte, als ob keiner im Kabinett mit den vielen Dutzenden von Leuten, die ihn täglich sehen, sieht, der Mann ist krank, es muss etwas unternommen werden. Also was dann passiert, da scheint es eher eine Selbsthilfegruppe als ein Kanzleramtsteam zu sein. Also das ist menschlich gut gemeint, aber ich fürchte es menschelt so sehr, dass es die politischen Probleme und Abläufe verniedlicht und eigentlich den Menschen damit nichts das bringt, was es eigentlich bringen soll, nämlich Politik mal verständlich dargestellt.