Dienstag, 07. Mai 2024

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Serie "Mein Deutschland"
Überrascht von der Bandbreite der Themen

Altersarmut, Islam-Unterricht, Gesundheitspolitik und immer wieder das Thema Flüchtlinge - Jörg-Christian Schillmöller wandert seit dem 3. Oktober vergangenen Jahres etappenweise durch Deutschland und fragt die Menschen, die ihm begegnen: Welches Thema bewegt Sie? Die Antworten hat er in der Sendereihe "Mein Deutschland" gesammelt.

Jörg-Christian Schillmöller im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.09.2015
    Angekommen: nach 24km endlich in Erkelenz
    Gemeinsam von West nach Ost: Journalist Jörg-Christian Schillmöller und der Fotograf Dirk Gebhardt (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie leben die Deutschen? Das ist die Frage, die unseren Nachrichtenredakteur Jörg-Christian Schillmöller und den Fotografen Dirk Gebhardt schon lange beschäftigt. Schon fast ein ganzes Jahr lang sind die beiden jetzt unterwegs. Seit dem 3. Oktober 2014 wandern sie in Etappen einmal ganz durch Deutschland, vom westlichsten bis zum östlichsten Punkt. Am 3. Oktober 2015 wollen sie in Neißeaue bei Görlitz ankommen. "Was bewegt Sie gerade?" Diese Frage haben die beiden vielen Deutschen gestellt, und aus den Antworten, da ist eine Sendereihe entstanden mit dem Titel "Mein Deutschland". Diese Sendereihe wird ab heute Nachmittag in der Sendung "Deutschland heute" beginnen. Guten Morgen, Jörg-Christian Schillmöller.
    Jörg-Christian Schillmöller: Guten Morgen!
    Heckmann: Welche Themen bewegen denn die Menschen, die Sie getroffen haben?
    Schillmöller: Wir waren überrascht, wie groß die Bandbreite ist der Themen, die wir über dieses Jahr unterwegs eingesammelt haben. Es ging zum Beispiel um Armut und Reichtum. Ich erinnere mich daran, dass wir im Kloster Knechtsteden mit Pater Trächtler gesprochen haben, der sagte, dass ihn das bewegt, dass er bei seiner eigenen Schwester gerade bemerkt, was das Thema Altersarmut bedeutet, wenn jemand mit 600 Euro im Monat auskommen muss.
    Pater Bruno Trächtler lebt im Kloster Knechtsteden und war viele Jahre katholischer Missionar.
    Pater Bruno Trächtler lebt im Kloster Knechtsteden und war viele Jahre katholischer Missionar. (Dirk Gebhardt)
    Wir haben im Sauerland gesprochen mit einem Ahmadiyya-Muslimen, Cengiz Varli, der uns erzählt hat, warum er sich mehr Islam-Unterricht in Deutschland wünscht. Es ging aber auch um Gesundheitspolitik, um Nachhaltigkeit, um die Dorfgemeinschaft, um Landflucht. Manchmal ging es aber auch nur um die Träume der Menschen und um Schwangerschaft. Wir haben einen Museumsleiter gesprochen, der uns berichtet hat, dass er seit einer Woche bei Facebook ist.
    Aber natürlich ging es auch - und das mehrfach - um das große Thema gerade, um das Thema Flüchtlinge, um die Frage, wie man mit diesem Thema auch als Deutscher umgeht, umgehen soll. Vielleicht hören wir mal eine Frau, die wir getroffen haben. Letzte Woche waren wir in Sachsen wandern und haben in Riesa in einer orthopädischen Praxis die Orthopädin Sabine Gueffroy getroffen, die ein ganz interessantes Leben hat. Die hat zum Beispiel in Norduganda und Tansania mal kurz gearbeitet mit Flüchtlingen und sie hat uns folgende Gedanken erzählt:
    O-Ton Sabine Gueffroy: "Was mich die ganzen Tage und Wochen bewegt, dass ich den Konflikt der Asylanten, Migranten im Moment für unlösbar halte, dass es eine Art Völkerwanderung ist, die auf uns zuströmt, und ich die Menschen gerne begrüßen würde, aber gleichzeitig eben den Konflikt sehe, wie können sie hier integriert werden, wie kommen sie in Arbeit, wie kommen die unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die unterschiedlichen Weltanschauungen miteinander zurecht, ohne dass es dort Gewalt gibt."
    Schillmöller: Das war Sabine Gueffroy aus Riesa, und interessanterweise hat uns dieses Thema schon gleich am zweiten, dritten Tag der Wanderung im Oktober 2014 beschäftigt. Vollkommen überraschend sagt uns der Taxifahrer Patrique aus Heinsberg ins Mikrofon, mit einem ganz netten französischen Akzent, dass er sich vorstellen kann, Flüchtlinge aufzunehmen, weil nämlich die Kinder aus dem Haus sind und die jetzt ein paar Zimmer frei haben in ihrer Wohnung in Heinsberg.
    Heckmann: Und das passiert ja auch landauf, landab in Deutschland, was man so hört. Wen haben Sie denn sonst getroffen zum Beispiel? Was waren das für Menschen?
    Schillmöller: Ja das war ganz unterschiedlich: Männer, Frauen, jung, alt, Studenten, manchmal spontan angesprochen, manchmal war es ein Busfahrer. Besonders eindringlich war zum Beispiel das Erlebnis mit Silvia Hable. Das ist eine junge Frau Anfang 30, die in Witzenhausen lebt. Das ist eine Kleinstadt in Hessen, kurz vor der Grenze zu Thüringen. Und sie arbeitet dort für das Projekt "Transition Town". Das ist eine Bewegung, die aus England kommt und sich einsetzt für ein ressourcenschonenderes Leben, das darauf setzt, von den fossilen Energieträgern wegzukommen, und das geht vor allem dadurch, dass die sich lokal vernetzen, zum Beispiel mit Landwirten in der Gegend, von dort ihre Produkte beziehen. Wir haben dann irgendwann nachts so gegen Mitternacht in einer Jurte aus Lehm und Filz gesessen, oberhalb von Witzenhausen, und dort hat die Silvia uns dann erzählt, was für sie das Leben lebenswert macht und an welchen Themen sie dran ist. Und dieses Bild von dieser Frau, das haben wir auch dann als Aufmacherbild genommen für die Internetseite auf deutschlandfunk.de, weil dieser Blick, den sie hat, dieser etwas nachdenkliche Blick, der war für uns sehr aussagekräftig für diese ganzen Gespräche und Menschen, die wir getroffen haben.
    Silvia Hable in einer selbstgebauten Jurte aus Lehm und Filz
    Silvia Hable in einer selbstgebauten Jurte aus Lehm und Filz (Dirk Gebhardt)
    Heckmann: Ganz kurz vielleicht noch zum Abschluss. In welchen Situationen stellt man so eine Frage? Was bewegt Sie?
    Schillmöller: Ich sage mal so: Die Frage kann man stellen Karneval, Rosenmontag, die Frage kann man stellen auf der Rheinfähre in Zons, die Frage kann man stellen in einem Weinberg am Geiseltalsee in Ostdeutschland, wo uns eine Steuerberaterin plötzlich erzählt, warum sie glaubt, dass Deutschland gerade an der Neiddebatte kaputtgeht. Wir haben auch auf Dorffesten Menschen gefragt und einmal sogar im Forsthaus im Orketal. Das ist etwas östlich von Winterberg.
    Heckmann: Da sind wir gespannt, was da an Antworten zusammenkam. Das war ein interessanter Vorgeschmack, vielen Dank. Die Sendereihe "Mein Deutschland" läuft ab heute bis zum 2. Oktober immer montags bis freitags in der Sendung "Deutschland heute" ab 14:10 Uhr hier im Deutschlandfunk. Alle Folgen, alle Fotos aber auch auf unserer Internetseite www.deutschlandfunk.de/deutschlandheute. Danke, Jörg-Christian Schillmöller.
    Schillmöller: Gerne.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner