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Seriöser Boulevard

Alles könnte so schön sein: Die alte Beziehung ist abgehakt, der Urlaub mit dem neuen Lover steht vor der Tür. Doch ist da noch das Kind aus der alten Beziehung. Was also tun mit den "Altlasten" einer zerbrochenen Liebe?

Von Christian Gampert |
    So richtig schöne Ehehöllen wie bei Strindberg gibt es auf dem Theater nicht mehr. Heute ist alles Beziehungskrisen-Therapie. Oder auch Trennungsmanagement. Die Sozialwissenschaft hat die besseren Kreise so sehr in ihrem Würgegriff, dass man sich penetrant gut benimmt und gebildet angiftet; selbst in der größten Pein wird die Eifersucht gut kaschiert, und bei permanenter Schlaflosigkeit nimmt man eben Medikamente.

    Vera und Michael haben sich getrennt – genauer gesagt: Sie hat sich getrennt. In einem grellgrünen Kleid sitzt sie hoffnungsfroh-verbittert auf der Züricher Pfauen-Bühne und fiebert dem Wochenende in Malaga entgegen, mit dem neuen Lover. Michael kann das alles noch nicht fassen; er ist ausgezogen, aber innerlich immer noch bei der alten Familie. Das Beziehungsdesaster von Vera und Michael wird dadurch erschwert, dass da ein siebenjähriges Kind ist, Rebekka, die man am Wochenende hin- und herschiebt – und die Michael diesmal nicht brauchen kann, weil er auf einem Ärztekongress das von ihm entwickelte "künstliche Innenohr" vorstellen muss; dabei ist er für die inneren Schwingungen ansonsten eher unbegabt.

    Aus der Kollision der Interessen – Mutter nach Malaga, Vater auf Medizinerkongress, Babysitter krank – entwickelt Lukas Bärfuss nun ein paradigmatisches Familiendrama, in dem alle Recht haben und miteinander nicht sprechen können. Die Ersatz-Nanny, die Vera anschleppt, ist ein 19-jähriger angehender Filmstudent. Kann man dem ein siebenjähriges Mädchen anvertrauen? Michael hat väterliche Ängste, zückt dann aber doch einen Tausender, um Töchterchen mit dem Teenie-Freak alleinzulassen. Der Trick ist nun, dass Alex, der Babysitter, auch so ein verlassenes Kind ist, das sich in einer Filmwelt eingebunkert hat: Sein Vater ist tot, die Mutter erreicht ihn nicht mehr.

    Das Babysitting endet vorhersehbar katastrophisch. Aber von dem Familienunglück spürt man nur ganz am Anfang etwas: Die Bühnenbildnerin Bettina Meyer hat nämlich einen Park aus wilden Pflanzen und bedrohlichen Bäumen um das gestylte, bürgerliche Wohnzimmer herumgebaut, der zeitweise in apokalyptischem Schummerlicht daliegt. In diesem Dschungel des Unbewussten hätte man gern länger verweilt, doch gnadenlos geht das Arbeitslicht an und beleuchtet zwanghafte akademische Streits, die Lukas Bärfuss klug und lakonisch beobachtet hat, die aber, trotz aller Komik, auch ein bisschen auf der Stelle treten.

    Barbara Frey hat das alles inszeniert wie hinter Glas, ein Beziehungsversuchslabor, in dem alles stimmt, jede Tonlage, jede Geste, jede Zäsur. Carolin Conrad ist die von der Ehe enttäuschte Vera, die permanent ein neues Glück einfordert und doch mit dem alten Unglück beschäftigt ist, eine robuste, reflektierte und ganz heutige Figur. Der intellektuelle Markus Scheumann spielt den verlassenen Mann, der sich für Frau und Tochter verantwortlich fühlt und aus seiner Bürokratenhaut nicht herauskann, der mit Statistiken argumentiert, wo es um Gefühle geht. Sein heller Regenmantel sieht aus wie ein Arztkittel – er ist ständig im Dienst.

    Das alles ist perfekt, und das Problem ist: Es ist zu perfekt. Bärfuss schreibt seine Kurzdialoge absolut auf den Punkt, außer ihm kann das nur Roland Schimmelpfennig; und trotzdem ist das nur kühle Konversation. Die Figur des Babysitters Alex dagegen ist das Scharnier, das das Drama am Laufen hält. Jirka Zett nutzt seine Chance, diesen Halbwüchsigen als zwielichtige, uneinschätzbare Gestalt zu spielen; der könnte auch der neue Liebhaber der Ehefrau sein, wird am Ende dann aber etwas zu zeigefingernd zum bösen Rumpelstilzchen, das einen Horrortraum vom Kinderunglück erzählt.

    Barbara Frey inszeniert viele schöne und dichte Momente: Wenn der verlassene Michael seiner Exfrau tröstend die Arme um den Hals legt, dann ist das eine Art zärtlicher Schraubstock. Gerade in der extremen Verkünstlichung der Figuren vermeidet die Inszenierung aber auch Gefahr und Nähe. Sie ist, das böse Wort sei erlaubt, sehr guter, sehr seriöser – Boulevard.