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Seuchengefahr nach den Überflutungen in Südostasien

Dirk Müller: Am Telefon sind wir verbunden mit Prof. Dr. Bernhard Ruf, Experte für Infektionskrankheiten, zugleich Chefarzt am Leipziger Klinikum St. Georg. Herr Ruf, sind Seuchen in Südasien schon jetzt ausgemachte Sache?

Moderation: Dirk Müller |
    Bernhard Ruf: Sie sind mit Sicherheit schon am Beginn, und alle Behauptungen, dass es keine Fälle von Cholera und Typhus gäbe, sind so unscharf wie die Zahl der Opfer am Beginn der Katastrophe. Sie kommen unausweichlich, wenn man die Lebensbedingungen der Überlebenden dort sieht.

    Müller: Was sind die Gründe, warum man es nicht verhindern kann?

    Ruf: Man kann es nicht verhindern, weil es keinen Zugang zu keimfreien Wasser gibt, das Oberflächen- und das Grundwasser ist verseucht. Es gibt keine Brunnen, die trinkbares Wasser fördern, und die Versorgung mit Trinkwasseranlagen ist mangelhaft, weil ja viele Gebiete noch überhaupt nicht erreicht worden sind. Die Menschen können das Wasser nicht abkochen. Es fehlt Brennstoff, das Holz ist nass, von daher nehmen sie das Oberflächenwasser zum Trinken, das jetzt schon verseucht ist.

    Müller: Welche Krankheiten werden kommen?

    Ruf: Mit Sicherheit kommen nicht so sehr diese Krankheiten wie Cholera und Typhus, das werden begrenzte Ausbrüche sein, denke ich. Aber die ganz allfälligen Durchfallerkrankungen, die ja ohnehin dort sehr, sehr häufig sind und auch sonst zum Tod vieler Kinder führen, wie Salmonellenerkrankungen, virale Durchfallserkrankungen, die sich ja rasend ausbreiten, die eigentlich auch gefährlich sind dadurch, dass die Betroffenen oder die Erkrankten dann reichlich Wasser verlieren, an Mineralstoffen verarmen. Und gerade Kinder und Alte brauchen, wenn sie Durchfall haben, egal wodurch, intensive medizinische Hilfe, täglich mehrere Liter Flüssigkeit, Infusionstherapien. All das ist gar nicht da.

    Müller: Aus Ihrer Sicht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es bei der internationalen Hilfe, vor allem zu nächst mal um eins, neben den anderen Dingen die wichtig sind: Es muss Wasser her, es müssen Wasseraufbereitungsanlagen her.

    Ruf: Es muss Trinkwasser her, es muss das Oberflächenwasser dekontaminiert werden, es müssen die menschlichen und tierischen Kadaver aus dem Oberflächenwasser beseitigt werden und es müssen natürlich Medikamente und auch Impfstoffe her, damit die Erkrankten behandelt werden können. Die sind ja die Überträger der Seuche. Wenn die dort ihre Ausscheidungen im Oberflächenwasser entleeren, ist die Katastrophe programmiert. Die WHO sagt ja, und es ist auch realistisch, dass mindestens noch mal so viele Menschen von Krankheiten bedroht sind, wie jetzt durch die Flut umgekommen sind.

    Müller: Aber vor dem Hintergrund der Verhältnisse, wie wir es eben auch von Sri Lanka gehört haben, was können, was müssen die Ärzte vor Ort tun?

    Ruf: Die Ärzte müssen unbedingt die Erkrankten von den noch Gesunden entfernen. Sie müssen sie in Krankenhäuser bringen, sie müssen sie behandeln. Wenn die Erkrankten und die Gesunden in einem Lager zusammen sind ohne frisches Trinkwasser, ohne dass die Abwässer entsorgt werden, dann sind Übertragungen und seuchenhaftes auftreten von Durchfallskrankheiten unausweichlich. Und natürlich, was auch noch dazu kommt, ist, dass natürlich diese jetzigen Bedingungen gerade für die Überträger von Malaria, von Dingi-Fieber ideale Brutstätten sind. Das heißt, die Mücken dort werden sich genauso schnell vermehren und auch diese Krankheiten, die auch dort ja immer vorkommen, massenhaft auftreten. Also, es ist ein sehr komplexes Thema, dessen Bewältigung man, angesichts der Bedingungen, nur sehr, sehr kritisch sehen kann.

    Müller: Sie sagen kritisch. Gibt es aus Ihrer Sicht, auch aus Sicht des Mediziners, Zeichen der Hoffnung?

    Ruf: Ich hoffe, dass die Hoffnung nicht enttäuscht wird. Ich fürchte, dass viel Hilfe ungezielt ist, dass eine riesengroße Bereitschaft da ist zu helfen. Aber ich denke, zu aller erst, ehe man jetzt an Infrastrukturmaßnahmen denkt, muss man akut die medizinische Versorgung perfektionieren. Das ist das aller, aller wichtigste. Alles andere kommt später.

    Müller: Wir wollen und wir brauchen nicht über Zahlen zu spekulieren, die noch nicht da sind. Ich möchte dennoch noch einmal nachfragen: Die Vereinten Nationen sagen 50.000 Erkrankte durch Seuchen, das ist durchaus realistisch. Ist das Panikmache, oder muss man sich tatsächlich darauf einstellen?

    Ruf: Das ist realistisch. Sie müssen ja ohnehin mal sehen, dass auch in Zeiten ohne solche Katastrophen in diesen Ländern der dritten Welt auch tagtäglich Kinder und gerade alte Menschen an der mangelnden Versorgung und an Durchfallerkrankungen sterben. Es ist also nur eine Potenzierung dessen, was jetzt auftritt. Und die WHO hat da völlig Recht. Es ist überhaupt keine Panikmache und das, denke ich, ist der aller erste Fokus unserer Hilfe, die medizinische Versorgung der Überlebenden.