Christiane Florin: Morgen findet in Köln eine Fachtagung zum Thema Prävention statt – gemeinsam veranstaltet von der Bischofskonferenz, der Ordensobernkonferenz und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Mit letzterem, mit Johannes-Wilhelm Rörig konnte ich vor dieser Sendung kurz sprechen. Und ich habe ihn zunächst gefragt, wie er das Vorgehen des Bischofs von Hildesheim deutet.
Johannes-Wilhelm Rörig: Aus diesem Vorgehen erkenne ich, dass das Bistum Transparenz herstellen will, dass das Bistum sich nicht dem Vorwurf aussetzen möchte zu vertuschen. Die Frage ist halt, wie man Persönlichkeitsrechte schützt und wie man da Schutz gewährleistet.
Florin: Steht das Bistum Hildesheim mit diesem Vorgehen alleine da oder sehen Sie auch Anstrengungen in anderen Bistümern?
Rörig: Es ist erkennbar, dass in einer Reihe von Bistümern von den dortigen Bischöfen dynamisch vorgeprescht wird. Wichtig ist natürlich auch, dass sich die katholische Welt, die einzelnen Diözesen und möglichst auch in Bezug auf die Orden – dass man da ein einheitliches Vorgehen realisiert. Wenn jetzt die sehr Engagierten in der Aufarbeitung dynamisch voranschreiten, sehe ich das positiv.
Florin: Aber nach wie vor ist es noch so, dass Sie an den guten Willen der katholischen Kirche glauben und sagen: Ja, wenn die aufklären wollen, dann reicht das?
Rörig: Den guten Willen kann ich im Moment auf jeden Fall erkennen. Es muss natürlich jetzt die umfassende Aufklärung und die unabhängige Aufarbeitung realisiert werden.
"Betroffenenbeteiligung - kontinuierlich und achtsam"
Florin: Aber die ist doch nicht unabhängig, wenn die Institution, in deren Mauern Straftaten begangen worden sind, wenn die Institution selber aufklärt.
Rörig: Deswegen finde ich es wichtig, dass wir jetzt schnell eine Klärung herbeiführen, inwieweit die staatliche Seite – Bund und Länder – hier bei der Aufarbeitung in die Mitverantwortung gehen und Staat und Kirche gemeinsam Kriterien und Standards der Aufarbeitung definieren - beispielsweise, wie Betroffenenbeteiligung kontinuierlich und achtsam sichergestellt wird. Da sehe ich die Partnerschaft zwischen Staat und Kirche als gute Grundlage, hier zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen.
Florin: Aber "Partnerschaft" ist ja sehr nett ausgedrückt. Eigentlich müsste doch der Staat ein Interesse daran haben, dass Straftaten verfolgt werden. Das Interesse hat die Kirche ja nur begrenzt gezeigt.
Rörig: Ich nenne das Wort "Partnerschaft", weil wir ja letztendlich als Staat Tausende, Zehntausende von Kindern täglich in die Obhut der Kirchen geben, über Jahrzehnte mehrere Hunderttausend Kinder. Es ist ja offensichtlich, dass die staatliche Seite ihre Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern nicht in hinreichender Weise wahrgenommen hat. Ich meine, dass man aufgrund dieser Partnerschaft jetzt schauen sollte, wie man hier Stabilität in einen gut geordneten Aufarbeitungsprozess hineinbekommt.
Florin: Wird es eine unabhängige Kommission, eine Art Wahrheitskommission geben – vergleichbar mit Irland, mit Australien?
Rörig: Das müssen wir jetzt klären. Ich bin in Gesprächen sowohl mit den beiden großen christlichen Kirchen, ich spreche aber auch mit den für die Kirchen zuständigen Ressorts der Bundesregierung. Ich spreche auch mit den Fraktionen im Deutschen Bundestag. Wir sondieren im Moment, inwieweit entweder eine Kommissionsstruktur in dem jeweiligen kirchlichen Bereich konstituiert werden kann, oder ob beispielsweise Strukturen nicht doch auch auf der jeweiligen diözesanen oder auf der jeweiligen Ebene der Landeskirchen eingerichtet werden. Ich schaue also sowohl in den katholischen Bereich als auch in den evangelischen Bereich.
Florin: Auch der Staat sei seiner Pflicht nicht nachgekommen, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Missbrauchs.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.