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Sexualstraftaten
Anonyme Spurensicherung soll Opfern helfen

Nach einem sexuellen Übergriff wissen Opfer oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. In Brandenburg bieten jetzt vier Kliniken an, alle relevanten Spuren am Körper des Opfers zu sichern und anonym zu verwahren. Sie werden erst dann der Polizei übergeben, wenn es zu einer Anzeige kommt - und eine Vergewaltigung verjährt erst nach 20 Jahren.

Von Vanja Budde | 18.06.2015
    Die Ärztin Juliane Bock am Klinikum Cottbus ist eine von vielen Medizinerinnen und Krankenschwestern, die für das Projekt vertrauliche Spurensicherung geschult wurden. Im Behandlungszimmer der gynäkologischen Station, mit Untersuchungs-Stuhl und brummenden Ultraschall, breitet sie den Inhalt einer Pappschachtel aus. Der kommt zum Einsatz, wenn eine Frau nach einer Vergewaltigung hier im Krankenhaus erscheint und eine Dokumentation ihrer Verletzungen wünscht. "Ein Lineal ist überall dran, wo man dann blaue Flecke, Kratzen, Spuren, Riss-, Bisswunden dokumentieren kann, eine extra separat eingepackte Schere für die Fingernägel oder Haare, dann ein Kamm, um Schamhaar auszukämmen, wo man auch immer noch Spuren finden kann."
    Und jede Menge Plastiktüten für Abstriche finden sich in dem Set, die vaginal, oral und rektal genommen werden. Dazu wird ein Fragebogen fürs Protokoll akribisch abgearbeitet. Das Set ist demjenigen nachempfunden, das die Polizei benutzt. Doch neuerdings muss die Frau nicht erst Anzeige erstatten, um diese aufwendige Beweisaufnahme in Gang zu setzen. "Wir lagern das anonymisiert hier im Krankenhaus, die Spuren, die gesichert werden. Und sollte sich eine Patientin entschließen, eine Anzeige zu machen, dann können wir anhand dieses anonymisierten Codes das Set wieder rauskramen sozusagen und es der Kriminalpolizei dann übergeben."
    Dieses anonymisierte Aufbewahren war eine zentrale Forderung von Opferverbänden. Denn nach einer Vergewaltigung sind die wenigsten Betroffenen kaltblütig genug, sich ruhig zu überlegen, wie sie weiter vorgehen wollen. Brandenburgs Ministerin für Gesundheit und Soziales, Diana Golze: "Es geht ja darum, den Frauen ein Stück weit Entscheidungshoheit wieder zurückzugeben, die ihnen vorher durch so eine furchtbare Tat genommen worden ist, mit der sie sich nun konfrontiert sehen. Und sie haben, kurz nachdem so etwas passiert ist, nicht das Gefühl, für sich Entscheidungen treffen zu können."
    "Ihr habt es in der Hand"
    Deshalb kam es bislang nur selten zu einem Prozess, der mit einer Verurteilung des Täters endet, bedauert die Linken-Politikerin. Viel zu viele Opfer suchen nicht einmal ärztliche Hilfe. "Denn viele Frauen scheuen sich davor, diesen Weg zu gehen, weil sie denken, dann müssen sie auch Anzeige erstatten. Und das versuchen wir jetzt, wo das Projekt angelaufen ist, deutlich zu machen: 'Ihr habt es in der Hand. Wenn ihr sagt, ihr wollt nicht, dass Informationen nach außen gehen, ihr habt es in der Hand'."
    Bislang enden nur gut zehn Prozent der Vergewaltigungsprozesse mit einer Verurteilung. Es fehlen allzu oft die Beweise, weil die Opfer nach der Tat duschen und die Wäsche wechseln. Verständlich, aber so haben es die Ärzte viel schwerer, Spuren zu sichern, weiß Juliane Bock am Cottbusser Klinikum. Sie ist froh, nicht nur die körperlichen Wunden der Patientinnen zu versorgen, sondern ihnen auch in einem eventuellen Gerichtsverfahren helfen zu können. "Man geht davon aus, dass, weil dieser Entschluss in dem Moment sehr schwer ist, die Dunkelziffer relativ hoch ist und die Patienten dann lieber erst gar nicht kommen. Nun, da die Möglichkeit besteht: Okay, sie haben Spuren, dann würde es ihr leichter fallen, nach einem halben Jahr, nach ein paar Monaten oder nach zwei Jahren zu sagen: 'Ja, okay, ich mache doch noch die Anzeige, weil ich weiß, da wurde was gesichert und es ist nicht Aussage gegen Aussage'."
    Vergewaltigung verjährt erst nach 20 Jahren. Aber auch mit Beweismaterial ist es schwer genug, das Ganze vor Gericht noch einmal zu durchleben. Die Betroffenen brauchen darum alle Hilfe, die sie bekommen können, sagt Brandenburgs Frauen-Ministerin Diana Golze: "Es gibt leider nach wie vor in der Gesellschaft immer noch verhaftete Vorstellungen: Na ja, sie wird ihn schon irgendwie animiert haben oder ihm nicht irgendwie deutlich genug das Nein gesagt haben. Umso wichtiger ist es aber, Frauen den Mut zu geben und sie dabei zu unterstützen, wenn sie diesen Weg gehen."