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Sexueller Missbrauch
Ein Interview und seine Folgen

Die Ex-Fußballerin Nadine hat im Mai im Deutschlandfunk-Sportgespräch zum ersten Mal öffentlich ihre Geschichte über sexuellen Missbrauch erzählt. Jahrelang war sie von ihren Betreuern missbraucht und vergewaltigt worden. Dieses bewegende Interview hat viele Reaktionen hervorgerufen, auch von Hörerinnen und Hörern des Deutschlandfunks.

Von Andrea Schültke | 20.07.2019
Ein Fußballtor steht im Nebel.
Journalismus kann etwas bewegen und bewirken. Diese Erfahrung hat der Deutschlandfunk und seine Autorin im Zusammenhang mit einem ganz besonderen Interview gemacht. (dpa / picture alliance / Bernard Jaubert)
Nadine hat in diesem Gespräch unter anderem die Folgen des sexuellen Missbrauchs beschrieben. Taten, die sie auch fast drei Jahrzehnte danach nicht loslassen:
"Dass es heute noch Nächte gibt wo ich aufwache und Angst habe oder das Gefühl ich ertrinke, ja ich ersticke und habe den Geschmack von Sperma im Mund."
Schwerste Gewalterfahrungen, Vergewaltigungen habe sie erleben müssen, schilderte Nadine im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Bevor sie ihre Geschichte öffentlich machte, hatte sie schon an einem Forschungsprojekt teilgenommen und dort Sportsoziologin Bettina Rulofs kennengelernt:
"Nadine war in Folge der Gewalterfahrungen wie gelähmt. Sie entwickelte schwere gesundheitliche und psychische Probleme, die erst im Erwachsenenalter so richtig aufgebrochen sind. Sie hat sich immer irgendwie über Wasser gehalten. Und ich kann Ihnen sagen ich finde es beachtlich, dass sie überhaupt noch am Leben ist", ao Bettina Rulofs in einer Dankesrede vor wenigen Wochen.

Bettina Rulofs erhält den DJK Ethik-Preis für ihren Kampf gegen sexualisierte Gewalt. 
Bettina Rulfos erhält den DJK Ethik-Preis für ihren Kampf gegen sexualisierte Gewalt. (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
Mit Rulofs Spende fängt es an
Da hatte die Wissenschaftlerin gerade den Ethikpreis der DJK bekommen, des katholischen Sportverbandes. Und zwar für ihre langjährige Forschung zum Thema sexueller Missbrauch im Sport. Am Ende der Rede dann das:
"Das Preisgeld, das ich für den DJK-Ethikpreis erhalte, möchte ich dem 'Team Nadine' spenden und hoffe, dass es Nadine hilft mit ihrem Studium zu beginnen".
Das "Team Nadine" ist eine Gruppe von Menschen, die die ehemalige Fußballerin unterstützen. Sie wollen helfen, dass Nadine selbstbestimmt am Leben teilnehmen kann. Durch eine Ausbildung zum Beispiel. Denn nach dem Abitur, schildert sie:
"Bin ich in ein Riesenloch gefallen und habe das Studium nicht zu Ende führen können, nie eine Ausbildung wirklich gemacht, bin viel arbeitsunfähig gewesen. Und ich habe dann vor drei Jahren, zwei Jahren diese Entscheidung halt irgendwie treffen müssen, ich fange jetzt an zu agieren Dinge halt einfach selber in die Hand zu nehmen."
Crowdfundig für die Studiengebühren
Ganz langsam gelingt es ihr, die Folgen der schweren körperlichen und seelischen Verletzungen zu überwinden und mehr und mehr am Leben teilzunehmen. Dazu gehört, dass sie ein Studium aufgenommen hat. Um die Studiengebühren zu finanzieren, hat das "Team Nadine" ein Crowdfundig gestartet.
Angeregt durch die Reaktionen der Hörerinnen und Hörer des Deutschlandfunks, die das Interview gehört haben, beschreibt Michaela, Nadines beste Freundin:
"Da waren über: 'Ich wünsche Ihnen viel Kraft und viel Glück für ihr weiteres Leben' bis hin zu 'Was kann ich tun, wo kann ich mithelfen, kann ich was spenden'. Ja, ich muss jetzt noch Luft holen, weil es einfach so schön war und ich so dankbar bin dafür. Das ist einfach toll."
Nadine selbst war nach dem Interview von der Resonanz so überwältigt, schildert die Freundin, dass sie zunächst Zeit brauchte, um all das Positive zu verarbeiten. Gefühle wie Freude oder Dankbarkeit könne Nadine nur schwer zulassen. Michaela vergleicht das mit einem schweren Unfall:
"Und man weiß nicht wie schwer man verletzt ist und erst der Blick von außen signalisiert, wie schlimm es tatsächlich ist. Das war sehr schwierig für Nadine zu sehen, die Betroffenheit, dieses Mitgefühl, diese Wahnsinnswelle an Hilfsbereitschaft hat erst mal gezeigt: 'Du bist schwer getroffen und du bist schwer verletzt und wir wollen dir helfen'. Und das war erst einmal sehr, sehr schwer für Sie."
Momentan braucht Nadine Ruhe
Daher spreche sie momentan für die Freundin, so Michaela weiter. Das lange Interview habe Nadine nicht bereut. Im Gegenteil, es gehöre zum Heilungsprozess dazu. Genau wie dieses Studium.
Dass dafür ein Crowdfunding nötig ist, liegt auch an fehlenden Entschädigungszahlungen. Bis Mitte 2016 hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) 170.000 Euro in den Fonds sexueller Missbrauch eingezahlt. Hier konnten Betroffene einen Antrag stellen und Sachleistungen erhalten, wie etwa eine Therapie. Seit drei Jahren ist das nicht mehr möglich.
Institutionen wie etwa die Deutsche Bischofskonferenz, die evangelische Kirche, die Caritas oder auch die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft DLRG, nehmen nach wie vor Anträge auf Entschädigungszahlungen entgegen.
Der Deutsche Olympische Sportbund hat die Zahlungen in den Fonds eingestellt, verweist auf die Reform des Opferentschädigungsgesetzes.
Auch deshalb müssen Betroffene wie Nadine sich selbst um Teilhabe am Leben kümmern. Wenn sie dafür zu kraftlos sind, brauchen sie Menschen wie etwa Freundin Michaela aus dem Team Nadine, die das für sie übernehmen.
"Es ist ein langer, langer Weg gewesen bis hierhin und dieses wahnsinnige Wille jetzt dieses Studium doch nochmal zu beginnen und das auch zu tun - das ist ein wahres Wunder für mich."
Mehr über das Crowdfundingprojekt "Team Nadine" finden Sie auf der Internetseite https://de.gofundme.com/f/team-nadine