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Short Stories von Richard Yates
Augenblicke der jähen Selbsterkenntnis

Richard Yates gehörte zu den großen Autoren der US-Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Band „Eine letzte Liebschaft“ mit seinen letzten Short Stories erzählt von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf Paare und Einzelgänger – und zeigt Yates als Meister des Auslassens.

Von Christoph Schröder | 02.10.2016
    Ein verschnürter Stapel Feldpost-Briefe.
    Ein verschnürter Stapel Feldpost-Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg (Imago / Imagebroker)
    Missgeschick, das Bill unterlaufen ist. Kein Vorfall von Bedeutung, scheinbar. Passiert jeden Tag. Aber vielleicht ist es ja gerade das. In Bill jedenfalls setzt die zerbrochene Seifenschale einen ungeheuren Gedankenapparat in Gang. Ein paar Minuten zuvor hat seine Frau mit dem kleinen Sohn die Wohnung verlassen, um ein paar Einkäufe zu machen und in den Park zu gehen. Für ihren Mann hatte sie zuvor noch eine Aufgabe.
    "'Während ich weg bin, könntest du die neuen Teetassen ausspülen', sagte Jean. 'Hast du gehört, Billy?'

    Ihr Mann blickte von seiner Zeitschrift auf. 'Klar. Die Teetassen spülen.'
    Und als sie sich bückte, um den Reißverschluss an der Jacke des kleinen Mike zu schließen, sah er an der Form ihrer Schultern und ihres Rückens, dass es wieder einmal einer dieser Tage war, an denen sie sich überarbeitet und nicht gebührend gewürdigt fühlte."
    Spezialist für die mikrofeinen Risse in Beziehungskonstellationen
    Es stimmt etwas nicht in dieser Ehe, grundsätzlich. Und niemand will das zugeben. Richard Yates ist der Spezialist für die mikrofeinen Risse in Beziehungskonstellationen. Risse, die noch so unmerklich sind, dass vielleicht selbst die Beteiligten sie noch gar nicht bemerkt haben. Bill also bleibt zu Hause, er solle sich ausruhen, sagt seine Frau noch, bevor sie die Wohnung verlässt. Warum und wovon – das erfahren wir als Leser nur in Andeutungen. Eine längere Krankheit, möglicherweise, ein Unfall. Bills Frau, die keinen Namen bekommt in dieser Geschichte, scheint jedenfalls diesen Krankheitszustand nicht oder nicht mehr Ernst zu nehmen.
    Bill fühlt sich gedemütigt, nutzlos. Und selbst an der einfachen Aufgabe, die Teetasse zu spülen, scheitert er grandios. Nicht nur eine der vier Tassen geht zu Bruch, sondern eben auch noch besagte Seifenschale. Das mag banal klingen, doch das Banale ist niemals banal bei Richard Yates.
    Denn die eigentliche Handlung setzt nun erst ein, in Bills Kopf. Bill entwirft Parallelszenarien, in denen er sich aus seiner misslichen Lage hinausdenkt: Was, wenn er einfach, gegen den Rat der Ärzte, wieder zur Arbeit ginge und von dort mit einer Flasche Champagner und Rosen nach Hause zurückkehrte, um seine Frau zu überraschen? Wenn er wieder ein Leben aufnähme, das ihn nicht in den Zustand versetzte, mit permanenten Gewissensbissen und mit einer dauerhaft unzufriedenen Frau leben zu müssen? Doch muss er das überhaupt? Ist das nicht nur eine Projektion? Was immer Bill sich ausdenkt, die zerbrochene Seifenschale in der Hand, stets landet er in einer gedanklichen Sackgasse, an deren Ende seine Frau steht und seine Bemühungen als nutzlos abtut.
    Es wäre zu einfach, Richard Yates’ Short Stories als rein realistische Erzählform abzutun. Denn Yates’ Realismus hat etwas Doppelbödiges, Abgründiges. Wie in der Seifenschalen-Geschichte, die noch dazu den geradezu zynischen Titel "Ein genesendes Selbstbewusstsein" trägt, wechseln Beobachtung und Projektion sich permanent ab, überlagern und beeinflussen sich wechselseitig so lange, bis sie hoffnungslos ununterscheidbar geworden sind. In Bills Fall bedeutet das: Ganz gleich, welche Zukunftsalternativen er für sich selbst und seine Ehe entwirft – sie scheitern bereits an der von und in ihm produzierten Wirklichkeit in seinem Kopf. Sein Leben ist ein langer, dunkler Tunnel, an dessen Ausgang er kein Licht mehr sieht.
    Als seine Frau nach Hause kommt, macht Bill ihr eine Szene und beschimpft sie voller Wut. Wir als Leser wissen, warum, während sie fassungslos die tobende jämmerliche Gestalt mit herunter hängenden Hosenträgern anschaut, die ihr Ehemann ist. Das ist so perfide wie glänzend arrangiert.
    Die Ehe, das Gefühl der Hilflosigkeit darin und die Aggression, die sich daraufhin Bahn bricht, werden von Richard Yates immer wieder in eine kausale Handlungskette gestellt, ohne dass daraus ein plumpes Schema abzuleiten wäre. Yates variiert die Lebenszwänge seiner Figuren in den unterschiedlichsten Situationen und lässt sie immer wieder aus dem Nichts heraus nackt und ungeschützt dastehen.
    Story mit autobiografischem Hintergrund
    Die Geschichte "Der Kanal", die den Band "Eine letzte Liebschaft" eröffnet, hat einen deutlichen autobiografischen Hintergrund: In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs gehörte Yates, der im Januar 1945 als Soldat nach Europa kam, einer Einheit an, deren Auftrag es war, die deutsche Verteidigungslinie am Dortmund-Ems-Kanal zu durchbrechen. Offenbar entstand dabei ein gewisses Chaos, in dem auch der Soldat Yates eine nicht eben souveräne Rolle spielte.
    Dieses Geschehen wird in "Der Kanal" auf einer Cocktailparty sozusagen plaudernd rekapituliert: Da begegnen sich zwei Ehepaare, die Millers und die Braces. Und es stellt sich heraus, dass Lew Miller und Tom Brace an eben jener Kanalüberquerung in zwei unterschiedlichen Einheiten wenige hundert Meter voneinander entfernt beteiligt waren. Doch während der elegante Brace seine Kriegserlebnisse in aller Ausführlichkeit und als tolles Jungsabenteuer beschreibt, beruft der eher linkische Miller, Yates’ Alter Ego, sich auf seine Gedächtnislücken. Er weiß, dass er kein Held war. Und er leidet darunter, während seine Frau Betty versucht, dem Gespräch eine Wendung ins Heroische zu geben. Auch hier wieder der rasante Perspektivwechsel zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, zwischen Wunschvorstellung und tatsächlich Erlebtem.
    "Und zu seinem Unbehagen begriff Miller, dass Betty, die zu viele Frauenzeitschriften las, es als romantisch empfand, einen Mann zu haben, der nie vom Krieg erzählte – vielleicht einen etwas tragischen, sensiblen oder zumindest charmant bescheidenen Mann –, sodass es eigentlich keine Rolle spielte, ob Nancy Braces Mann besser aussah, ob er in seinem Brooks-Brothers-Anzug gediegener wirkte oder früher in seiner adretten Uniform schneidiger gewesen war. Das war lächerlich, und am schlimmsten fand er, dass Betty es besser wusste."
    Da ist er wieder, der Selbstbetrug, mit dessen Hilfe man das eigene Leben einigermaßen im Zaum hält, der aber noch tragischer dadurch wird, dass er als Selbstbetrug so offensichtlich ist. Und auch "Der Kanal" endet in einem kleinen, aber darum nicht weniger schneidenden Ausbruch von Aggression:
    "'Betty', sagte Miller. 'Tust du mir einen Gefallen?' Er beobachtete, wie sich ihr Stirnrunzeln im Licht der vorbeigleitenden Straßenlaterne in einen gekränkten Blick verwandelte. 'Halt den Mund. Halt bitte einfach den Mund'."
    Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen
    Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen nehmen in Richard Yates’ Werk eine zentrale Rolle ein. So sehr sie sich auch in der vermeintlichen Sicherheit bürgerlicher Wohlorganisiertheit eingefunden haben mögen – Menschen, die den Krieg mit eigenen Augen gesehen haben, werden ihn bei Yates nicht mehr los. Der Roman "Eine besondere Vorsehung", im Original 1969 erschienen, erzählt vor dem Hintergrund einer Mutter-Sohn- und einer Künstlergeschichte von der Unumkehrbarkeit von Kriegserlebnissen, die sich in Menschen eingebrannt haben und die sie vergeblich hinter einer sortierten Existenz abzulegen versuchen.
    Und auch fünf der insgesamt neun Short Stories in "Eine letzte Liebschaft" setzen sich, in höchst unterschiedlichen erzählstrategischen Ansätzen, mit den individuellen Konsequenzen auseinander, die das Leben als Soldat hat. Richard Yates zog sich bei einem Marsch durch die Vogesen im Januar 1945 eine Lungen- und Brustfellentzündung zu, die nicht auskuriert wurde, und, an deren Folgen er ein Leben lang litt. Im Jahr 1950 wurde bei Yates eine fortgeschrittene Tuberkulose diagnostiziert und er verbrachte mehrere Wochen in einem Spezialkrankenhaus. Die Eindrücke, die er dort gesammelt hat, sind in den Text "Eine Krankenhausromanze" eingeflossen, in der auf engem Raum, einer geschlossenen Krankenstation für Tuberkulose-Patienten, die klassischen Motive des Yates-Kosmos zusammen treffen.
    Da ist Lynch, ein Neuzugang, der allerdings, wie sich herausstellt, hier nicht zum ersten Mal eingeliefert wird. Auf der Station herrscht ein strenges Regiment, geführt von den ebenfalls militärerprobten Schwestern. Nur eine ist dabei, von der man erahnen kann, dass sich unter dem obligatorischen Mundschutz etwas Zarteres, Emphatischeres verbergen könnte. Von nun an verzweigen sich Sehnsucht und Realität in feine Verästelungen: Hat Lynch wirklich eine Beziehung zu Miss Kovarsky, wie die junge Schwester heißt? Er behauptet das, und es gibt Anzeichen, die dafür sprechen, angebliche Briefe und Telefonate. Genauso gut könnte die Krankenhausromanze aber auch eine reine Fantasie des kranken Lynch sein. So oder so – zwangsläufig zerplatzt die Illusionsblase, und Lynch liegt nach einem blitzartigen Ausbruch von Gewalt isoliert in einem Einzelzimmer.
    "'Wie läuft’s denn auf der Station', fragte Lynch, flach und reglos auf seinem Bett. Offenbar lag er stundenlang so in seinem winzigen Zimmer, las nicht, blickte ins Leere und redete außer bei diesen kurzen, unbeholfenen Besuchen mit niemandem. Anscheinend fingerte er bloß die ganze Zeit an der Jalousie-Schnur herum, die neben seinem Kissen baumelte und vom vielen Anfassen schon schweißgraue Flecken hatte."
    All diese traurigen, versehrten Männer sind in einer Zeitspalte eingeschlossen, aus der sie nicht mehr herauskommen. Sie wissen, dass sie ihre beste Zeit hinter sich und ihre Gesundheit mehr oder weniger ruiniert haben. Sie hocken beisammen, in Krankenhäusern und Veteranenheimen, erzählen sich aus ihren Leben und schneidern sie so zurecht, wie sie ihnen am gelegensten kommen:
    "Alle Geschichten, die dem Zweck dienten, Robert Blaine als einen erfahrenen Mann von Welt zu zeigen, spielten neununddreißig oder vierzig, als er nach New York gekommen war, so wie diejenigen, die ihn als unbezähmbaren Jugendlichen zeigen sollten, in Chicago, 'damals in der Weltwirtschaftskrise', angesiedelt waren. Nur selten erzählte er Geschichten über die Army, in der er einen langweiligen Bürojob gehabt hatte, oder über die vielen Veteranenkrankenhäuser wie das hier, die seit dem Krieg sein Leben waren."
    Keine Gnade mit den Figuren
    Richard Yates hat keine Gnade mit seinen Figuren. Er denunziert sie nicht, dafür ist er zu subtil, zu dezent. Aber er zeigt sie uns in all ihrer leisen Tristesse und Erbarmungswürdigkeit. Man muss sich Yates als einen großen Meister des Wegstreichens, des Auslassens vorstellen. Eben deswegen ist in seinem reduzierten Stil jedes Detail, jede Geste, jeder noch so kurze Halbsatz mit Bedeutung besetzt, ohne dass in dieser Prosa das bedeutungsschwangere Pathos der Leere anklänge. Es gibt auch in diesem Band, und das ist bemerkenswert, keine besseren oder schwächeren Texte, sondern nur sehr gute. Jede einzelne Short Story ist sorgfältig instrumentiert und lebt zudem von Yates’ todsicherem Gespür dafür, Szenen aufzubauen und vor allem auch im richtigen Moment wieder abzubrechen. Dann lässt er Menschen in all ihrer endgültigen Verlorenheit stehen und überlässt sie sich selbst.
    So wie beispielsweise den Rechnungsprüfer George Pollock, einen Mann mittleren Alters und mit einem respektablen Beruf, in dem er sich, so glaubt er zumindest, auch unter den Kollegen Ansehen und Autorität erarbeitet hat. Diesen George Pollock wirft Yates gleich zu Beginn der Story "Der Rechnungsprüfer und der wilde Wind" mitten hinein in eine Lebenskrise, nicht ohne dabei auch gleich die tiefe Unsicherheit und auch die zunächst leise Verzweiflung dieses Mannes mitschwingen zu lassen.
    "An dem Tag, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, ging George Pollock, Rechnungsprüfer der American Bearing Company, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren im Restaurant frühstücken. Bei dem Versuch, eine Papierserviette unversehrt aus dem festen Griff des Spenders zu ziehen, zerfetzte er die ersten drei, und als er verhindern wollte, dass ihm die Aktentasche vom Schoß rutschte, hätte er fast ein Glas Wasser umgestoßen. Und beim Frühstück selbst stimmte rein gar nichts: Die dicke Kellnerin hatte Milch in seinen Kaffee gegossen, bevor er sie davon abhalten konnte, und das Ei, bei dem er ausdrücklich gesagt hatte, es solle zweieinhalb Minuten gekocht werden, war noch völlig flüssig."
    Das ist lächerlich, das ist komisch, das ist tragisch. Und es ist erst der Anfang. Denn binnen 24 Stunden wird die Existenz George Pollocks in kleine Einzelteile zerlegt. Seine Frau verlässt ihn für einen anderen Mann und gibt ihm zuvor noch mit auf den Weg, dass er ein aufgeblasener kleiner Schaumschläger sei. Sein weitaus jüngerer und ihm in serviler Beflissenheit zugewandter Kollege gibt in einem Telefongespräch, das Pollock aus Versehen mithört, klar zu verstehen, dass er ihn für einen vollendeten Trottel hält. Und als George in seiner emotionalen Verlorenheit zum letzten Strohhalm greift, den das kapitalistische System bietet, zu seinem Recht als geschätzter Verbraucher und Konsument nämlich, läuft er auch dort gegen eine Wand.
    Die junge, hübsche Bedienung seines Stammrestaurants lässt ihn abblitzen und ihn als genau das erscheinen, was er auch ist: als einen Mann, der nichts hat und auch nichts mehr zu bieten hat.
    Augenblicke der jähen Selbsterkenntnis
    Es sind grauenhafte Augenblicke der jähen Selbsterkenntnis, auf die Yates’ Stories immer wieder zusteuern. Zumeist trifft es dabei die Männer, die in einer klaren, konservativen Rollenzuteilung als Verantwortungs- und Leistungsträger an ihre Grenzen geführt werden. Den Frauen geht es allerdings nicht viel besser.
    Betty Meyers, Mutter dreier Kinder, ist als Ehefrau eines US-Navy-Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem Militärstützpunkt an der französischen Riviera gestrandet. Betty hasst das Leben dort, sie hasst die unfreundlichen Franzosen, die schönen, schlanken Frauen, die sich am Strand rekeln, ihre widerspenstigen Kinder, die sie quälen, während ihr Mann auf hoher See ist. Und eigentlich, so schält es sich nach und nach heraus, hasst sie ihr ganzes Leben.
    "'Nur noch sechs Wochen, mehr nicht? Ich dachte, es wären sieben. Ja, du hast recht, sechs Wochen.'
    'Gott, ich kann’s kaum erwarten, und du?'
    Doch noch während sie es aussprach, wusste Betty, dass es nur teilweise stimmte. Ob einsam oder nicht, sie war nicht dumm, und sie konnte sich gut genug an Eddies letzten Urlaub erinnern – wie er sich beklagt ('Kannste die Wohnung nicht sauber halten?') und befürchtet hatte, die Kinder könnten seine verdammte kostbare Ausgehuniform beschmutzen. Und an den Abenden: Karten spielen und streiten, streiten und Karten spielen."
    Immer wieder baut Yates profane Eschatologien auf; zarte Versprechen auf eine Änderung, auf eine weltliche Erlösung, auf ein besseres oder auch nur auf ein anderes Leben innerhalb der eng gesteckten sozialen Grenzen. Keines dieser Versprechen hat Bestand.
    Betty Meyers wird gleich zur doppelt Enttäuschten: Ihre Familie ist eine Kette von uneingelösten Versprechungen. Und der Marinesoldat, der sie nach einem Barbesuch verführt und an den sie sich klammert wie eine Ertrinkende an eine Rettungsboje, entpuppt sich – ein raffinierter Perspektivwechsel von Yates – als ein schaler Aufreißer: Nach der ersten gemeinsamen Nacht hinterlässt er ihr einen falschen Namen und verschwindet.
    Yates hält seine Geschichten in einer so eleganten wie ambivalenten Schwebe. Die kürzeste Story in "Eine letzte Liebschaft", gerade einmal fünf Seiten lang, ist zugleich auch die zarteste und dürfte wiederum autobiografisch grundiert sein: Zwei amerikanische Soldaten erwachen am Morgen des 1. April 1945 in einem Erdloch im Ruhrgebiet, irgendwo in der Nähe einer größeren Stadt. Sie sind desorientiert in Zeit und Raum; sie wissen nicht, was der Tag ihnen bringen wird. Da vernehmen sie in der Ferne ein Geräusch.
    "Sie konnten nichts sehen, hörten nichts außer dem schwachen, monotonen Silberklang der Glocken. Erinnere dich. Erinnere dich an jede Sekunde davon. Erinnere dich an Murphys Gesicht und das Loch und die Feldflaschen und den Nebel. Behalte all das im Gedächtnis."
    Kriegsende, denken sie, das könnte es sein. Und dann fällt ihnen ein, was für ein Tag heute ist: Ostersonntag. Die deutschen Christen feiern ihr höchstes Fest. Es sind solche Momente der Hoffnung und Enttäuschung, die Richard Yates als Urgrund menschlichen Daseins ausgemacht und in prägnante Szenen gefasst hat. Und darum haben Richard Yates Romane und Erzählungen bis heute nichts von ihrer Gegenwartsprägnanz verloren. Sie handeln von uns allen, nach wie vor.
    Richard Yates: Eine letzte Liebschaft. Deutsche Verlagsanstalt, München 2016. 196 Seiten, 19,99 Euro