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Shoval: Israel kann nicht auf alle Siedlungen im Westjordanland verzichten

Vor der Räumung von Siedlungen im Westjordanland sagte der außenpolitische Berater von Ministerpräsident Scharon, Salman Shoval, er hoffe, dass es nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen komme. Shoval bezeichnete einige der jüdischen Siedlungen im Westjordanland als lebenswichtig. Auf diese könne und werde Israel nicht verzichten.

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Hans-Joachim Wiese: Herr Shoval, derzeit also beginnt die Räumung von Homesch und Sanur im Westjordanland. Rechnen Sie mit gewaltsamem Widerstand, verglichen etwa mit dem doch vergleichsweise friedlichen Widerstand im Gazastreifen?

    Salman Shoval: Wir hoffen ebenfalls - ich glaube, die meisten Israelis hoffen das -, dass es keine Gewalt sein wird, bestimmt nicht von Seiten der früheren Einwohner dieser Siedlungen. Es sind vielleicht einige Gruppen von Extremisten, die nicht dort gewohnt haben, die jetzt am Platz sind, die vielleicht etwas mehr Gewalt versuchen werden, aber hoffentlich wird das friedlich vorübergehen in zwei, drei Tagen.

    Wiese: Wenn aber doch Gewalt angewendet werden sollte von diesen Extremisten, wie Sie sie nennen, wird die israelische Armee, werden die israelischen Polizisten dann tatsächlich alle Mittel anwenden, um diese Gewalt zu brechen?

    Shoval: Ja, aber es soll ganz klar sein, "alle Mittel" heißt nicht "alle Mittel". Es wird bestimmt nicht Feuerwaffen oder irgend so was benützt werden. Aber dort sind Polizei und Armee, und die Polizei hat verschiedene Wege mit Wasserkanonen usw. Aber, wie gesagt, die Führung der Siedler in Samaria und Judea ist natürlich gegen Gewalt, und hoffentlich wird ihr Einfluss auch stark genug sein, um so etwas zu verhindern.

    Wiese: Hätten Sie sich jemals träumen lassen - Sie kennen Ariel Scharon ja recht gut -, dass ausgerechnet der Vater der jüdischen Siedlungen jetzt den Gazastreifen und auch vier Siedlungen im Westjordanland räumen lässt?

    Shoval: Ja, eigentlich ja, denn Ariel Scharon sagte schon vor zwölf Jahren, dass man die Sache so ansehen muss, es gibt Gebiete, die lebenswichtig für Israels Sicherheit sind - und das ist bestimmt ein Teil der Gebiete in Judea und Samaria -, aber dass es andere Gebiete gibt, die eigentlich nicht lebenswichtig ist, und ich glaube, die Konsequenz davon war schon damals, wer wirklich zuhören wollte, ganz klar, dass seine Einstellung pragmatisch war und nicht gerade ideologisch.

    Wiese: Aber Ariel Scharon hat auch einmal gesagt, Tel Aviv wird in Nezarim, also einer Siedlung im Gazastreifen verteidigt.

    Shoval: Ja, die internationale Situation hat sich inzwischen geändert, und man muss die Sachen immer neu prüfen, und so hat er es auch gemacht. Wie gesagt, wissen Sie, er ist ein Pragmatiker. Er ist keine pragmatische Taube, er ist ein pragmatischer Falke, und um eben unsere Positionen in dem, was Sie das Westjordanland nennen, also Judea und Samaria, zu stärken und zu schützen, hat er den politischen Beschluss gemacht - und nicht nur er, auch die Mehrheit in der Knesset und in der Regierung natürlich -, dass die Sache vom Gazastreifen weniger wichtig ist, trotzdem natürlich von den Leuten dort ein sehr teurer Preis bezahlt worden ist.

    Wiese: Also kann man das so zusammenfassen, es ist eine politische, eine taktische Entscheidung von Ariel Scharon gewesen zu sagen, OK, wir räumen den Gazastreifen, auch wenn es wehtut, auch wenn es den dortigen Siedlern wehtut, aber wenn wir das getan haben, dann können wir mit umso größerer Entschlossenheit an den Siedlungen im Westjordanland festhalten?

    Shoval: Es ist nicht nur taktisch. Es ist auch strategisch. Das war ja auch der Grund des Abkommens zwischen uns und den Amerikanern, dass die großen Siedlungsblocks im Westjordanland weiterhin in der Zukunft für immer ein Teil des Staates Israel sein werden.

    Wiese: Widerspricht das nicht der Road Map, dem internationalen Friedensplan?

    Shoval: Nein, ganz und gar nicht, denn die Road Map ist auch auf die UNO-Resolution 242 aufgebaut, die ganz klar sagt, dass in der Zukunft sichere Grenzen sein müssen und dass ein Rückzug von Israel nur auf sichere Grenzen gehen muss, und die sicheren Grenzen sind eben nicht die frühere grüne Linie, die nur eine Waffenstillstandsabkommenslinie war und dazu gebracht hat, dass wir 1967 von arabischer Invasion und Aggression gefährdet wurden.

    Wiese: Aber die US-Regierung hat doch deutliche Worte der Kritik gefunden für die Ankündigung der israelischen Regierung, jetzt die Siedlungsblöcke auf dem Westjordanland, auf der Westbank weiter auszubauen, statt sie abzubauen.

    Shoval: Nein, da gibt es keine Kritik. Die Amerikaner haben gesagt, dass wir keine neuen Siedlungen bauen sollten, und das tun wir auch nicht. Also natürlich dort, wo 250.000 oder 230.000 wohnen in verschiedenen Plätzen in diesen Siedlungsblocks, die auch in der Zukunft ein Teil des Staates Israel bleiben werden, das ist natürlich eine ganze andere Lage.

    Wiese: Die Palästinenser - und das ist verständlich - sehen das natürlich ganz anders. Die sehen in der Räumung des Gazastreifens lediglich den ersten Schritt. Der zweite Schritt muss die Räumung des Westjordanlands sein.

    Shoval: Na ja, das ist eine, würde ich sagen, typische palästinensische Illusion, aber man sollte da richtig zuhören, denn bei den Palästinensern gibt es auch eine Parole, "heute Gaza, morgen das ganze Land", das ist ein bisschen wie "heute Deutschland, morgen die ganze Welt", und besonders wenn man Leuten wie die Führer der Hamasorganisation zuhört, die machen es ganz klar, für die ist kein Unterschied zwischen Westjordanland und Israel selbst, die wollen eigentlich von der Vernichtung des Staates Israel sprechen, und die mehr verantwortliche Führung der Palästinenser, hoffentlich Herr Abu Masin und andere, müssen verstehen, dass laut der Road Map und laut der UNO-Resolution und laut der Situation und auch der amerikanischen Position solche Sachen, eine zukünftige ständige Lösung kann nur auf gegenwärtige Kompromisse aufgebaut werden. Es kann nicht sein, wir bekommen alles, ihr bekommt nichts.

    Wiese: Aber die Road Map spricht eindeutig von dem künftigen palästinensischen Staat im Westjordanland und von der Räumung der dortigen Siedlungen.

    Shoval: Nein, ganz und gar nicht. Die Road Map spricht nicht davon. Die Road Map spricht davon, dass drei Phasen sind, und die erste Phase, die von der palästinensischen Seite noch nicht angefangen hat, ein vollkommenes Aufhören des Terrors sein muss, und das hat Abu Masin leider nicht nur nicht angefangen, er ist sogar in die andere Richtung gegangen, die Terrororganisationen bestehen weiter, die illegalen Waffen sind nicht abgegeben worden, und dann in der dritten Phase, die vielleicht noch jahrelang in der Zukunft ist, müssen Verhandlungen zwischen den zwei Seiten sein über die Grenze. Wenn Verhandlungen über die Grenze sind, das heißt, der Lauf der Grenze ist natürlich nicht klar, und das ist ein Resultat zukünftiger Verhandlungen. Es steht in der Road Map nirgendwo drin, dass die so genannte "grüne Linie" irgendwas mit der zukünftigen Grenze zu tun haben soll.

    Wiese: Als seinerzeit die israelische Armee den Südlibanon verließ, feierten das zumindest die extremistischen Palästinenser als Niederlage Israels, als militärischen Sieg der Palästinenser. Könnte die Räumung des Gazastreifens nicht ähnlich interpretiert werden?

    Shoval: Ja, es könnte und es wird auch von großen Teilen der Palästinenser so interpretiert aus psychologischen Gründen usw., aber die Tatsachen sind natürlich anders. Die Tatsache ist, dass die israelische Armee und die israelischen anderen Behörden die militärischen Aktivitäten der Terroristen im Gazastreifen besiegt hatten, und das gab eben Israel die Möglichkeit zu sagen, OK, also die haben wir jetzt besiegt, jetzt machen wir einseitige Schritte, politische Schritte, weil wir denken, dass den Friedensprozess weiterzubringen und auch die Position Israels zu stärken, eben dieser einseitige Rückzug aus dem Gazastreifen der richtige Schritt ist.

    Wiese: Schönen Dank für das Gespräch.