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Sichelzellenkrankheit
Erste CRISPR-Therapie zeigt Erfolge

Jedes Jahr werden rund 300.000 Kinder mit der Sichelzellenkrankheit geboren, die Betroffenen erleben sogenannte Schmerzkrisen. Forscher aus Deutschland und den USA haben einen Therapieansatz mit der CRISPR-Methode erprobt - und damit möglicherweise eine Patientin geheilt.

Von Thomas Reintjes | 18.08.2020
Eine Wissenschaftlerin arbeitet in einem Labor. Wissenschaftler können mit Hilfe der Gen-Schere CRISPR-Cas9 Erbmaterial gezielt verändern.
Die CRISPR-Technologie gilt als Hoffnungsträger in der Wissenschaft (dpa)
Victoria Gray kann anfangen, ihre Zukunft zu planen, sagt sie im amerikanischen Radiosender NPR. Gray kam mit der Sichelzellenkrankheit auf die Welt. Jetzt aber sieht es danach aus, als habe sie die Erbkrankheit überwunden. Das bestätigt auch Selim Corbacioglu, der in Regensburg die Abteilung für pädiatrische Stammzelltransplantation leitet und das Zwischenergebnis der Sichelzell-Studie auf dem Europäischen Hämotologiekongress vorgestellt hat:
"Zu diesem Zeitpunkt, wenn die Gentherapie persistiert, wenn also das veränderte Genprodukt nicht wieder verschwindet, kann sie als geheilt betrachtet werden. Sie benötigt keine Transfusionen mehr, und damit haben wir eigentlich das Ziel bei dieser Patientin erreicht."
Bisher keine gefärhlichen Veränderungen bekannt
Corbacioglu hat Victoria Gray nicht selbst behandelt – das hat ein US-Team übernommen, mit dem der Regensburger zusammenarbeitet. Zuerst wurden ihr und zwei anderen Patienten Milliarden von Blutstammzellen aus dem Knochenmark entnommen und im Labor mit der Genschere CRISPR genetisch verändert. Als nächstes der für die Patientin forderndste Schritt: eine harte Chemotherapie, um im Körper das Knochenmark mit dem Gendefekt zu eliminieren. Vor rund einem Jahr dann wurden die im Labor genveränderten Zellen über einen einfachen Venenzugang zurück in ihren Körper geleitet. Selim Corbacioglu hält das Risiko für vertretbar:
"Ich denke, die CRISPR-Cas-Technologie ist deswegen auch so gehyped, weil sie so spezifisch ist und weil man bis dato eigentlich wenige bis keine gefährlichen Veränderungen entdeckt hat. Und so wurden eben an gesunden Spenderzellen verschiedenste Versuche unternommen, um zu zeigen, dass das Genom wirklich nur an der Stelle verändert wird, wo diese Veränderung stattfinden soll, sodass man relativ zügig dann auch in eine klinische Studie gegangen ist, um die Patienten damit zu behandeln."
Aktivierung von fetalem Hämoglobin
Die Regensburger sind wohl die ersten weltweit, die sich mit CRISPR an den Menschen gewagt haben: Schon bevor in den USA Victoria Gray behandelt wurde, wendete Selim Corbacioglu dasselbe Verfahren bei einer Patientin mit Beta-Talassämie an, ebenfalls eine Blutkrankheit. In beiden Fällen wurde der Gendefekt nicht etwa behoben, sondern ein anderes Gen aktiviert: das für fetales Hämoglobin, eine Variante des Blutfarbstoffs, die normalerweise nur Föten herstellen. Kurz nach der Geburt stellt der Körper auf reguläres Hämoglobin um - oder im Fall der Sichelzellerkrankten: fehlerhaftes Hämoglobin.
Selim Corbacioglu: "Der Grund, warum man das fetale Hämoglobin sich rausgesucht hat als Ziel der Gentherapie, ist der, dass es natürliche Mutationen des fetalen Hämoglobins gibt und man weiß, dass Menschen, die an einer Sichelzellerkrankung oder an einer Thalassämie leiden und gleichzeitig diese Veränderungen in sich tragen, die dazu führen, dass das fetale Hämoglobin vermehrt exponiert wird, dass diese Patienten keine bis wenige sichelzellassoziierte Komplikationen haben oder bei der Thalassämie nicht mehr transfundiert werden müssen."
Eine computerbasierte Darstellung der Genschere Crispr.
Genforschung - Experimenteller Eingriff in das Erbgut des Menschen
Seit vier Jahren experimentiert Kathy Niakan vom Londoner Francis Crick Institute mit gespendeten befruchteten Eizellen. Ziel der Forschung ist es zu verstehen, welche Gene menschliche Embryonen zur Entwicklung brauchen.
Nebenwirkungen durch das fetale Hämoglobin seien kaum zu erwarten.
Spätfolgen abwarten
Spätfolgen des Eingriffs mit der CRISPR-Schere dagegen können nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer 15 Jahre lang beobachtet und nachversorgt werden sollen. Bei unerwarteten Veränderungen im Genom könnten etwa Leukämien entstehen. Oder die veränderten Zellen könnten absterben und die Erkrankung zurückkommen. Das aktuelle Zwischenergebnis, dass es Victoria Gray jetzt gut geht, ist auch noch kein Beweis dafür, dass die neue Therapie wirklich besser ist als bisherige Therapieformen, die Knochenmarktransplantation von Geschwistern beispielsweise. Der Vorteil der CRISPR-Technik ist nur, dass es nicht zu Abstoßungsreaktionen kommt, weil die eigenen Zellen transplantiert werden.
Sehr kostenaufwändige Therapie
Doch selbst wenn sich die CRISPR-Therapie als erfolgreich und überlegen erweist: Für die meisten der weltweit gut 20 Millionen Sichelzellkranken, die vor allem in den Schwellenländern des Malariagürtels leben, wird sie keine Option sein.
"Ich denke wie bei allen modernen Therapien werden dann mit steigender Konkurrenz die Kosten doch fallen, aber es ist und bleibt eben eine zellbasierte Therapie, die sehr kostenaufwändig ist", sagt Selim Corbacioglu.
Auf rund zwei Millionen Euro pro Patient schätzt Corbacioglu die Kosten aktuell. Dass mehrere Pharma-Startups ähnliche Ansätze verfolgen, dürfte daran nur wenig ändern.