Archiv


Sicher auf Stelzen

Mit Neumayer III ist die inzwischen dritte deutsche Antarktisstation in Betrieb gegangen. Ihre beiden Vorgänger sind inzwischen unter den Schnee- und Eismassen am Südpol begraben, wie Professor Heinrich Miller, stellvertretender Direktor des Alfred-Wegener-Instituts, berichtet. Dieses Schicksal droht Neumayer III nicht: Über Teleskopbeine kann die neue Station höhergestellt werden.

Heinrich Miller im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Georg von Neumayer lebte von 1826 bis 1909. Er ist einer der frühesten Förderer der deutschen Südpolarforschung. Und nach ihm sind mittlerweile drei deutsche Forschungsstationen in der Antarktis benannt. Nummer drei wird heute eingeweiht. Betreut wird Neumayer III wie die Vorgänger vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Und Professor Heinrich Miller ist der stellvertretende Direktor dieses Instituts. Wir erreichen ihn jetzt in der Antarktis. Guten Morgen!

    Heinrich Miller: Ja, guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Miller, wir erreichen Sie im ewigen Eis der Antarktis, das ist ein weites Feld. Wo steht Neumayer III genau?

    Miller: Neumayer III steht bei etwa 70 Grad und 30 Minuten Süd und 8 Grad 11 Minuten westlicher Länge.

    Heinemann: Welche Temperaturen herrschen bei Ihnen gerade?

    Miller: Zurzeit haben wir etwa -17 Grad, der Himmel ist leicht bedeckt, und es weht ein leichter Wind.

    Heinemann: Herr Miller, wodurch unterscheidet sich Neumayer III von den Vorgängern II und I?

    Miller: Die beiden Vorgängerstationen waren beides Stationen, die sozusagen eingehüllt waren von Stahlröhren, und die hat man, als man sie gebaut hat, jeweils auf der Schneeoberfläche gebaut. Da wir hier aber im Jahr etwa ein Meter Schneezutrag haben, versinken sozusagen diese Stationen langsam unter der Oberfläche, und die Neumayer-II-Station ist jetzt etwa 15 Meter unter der Oberfläche und wird langsam vom Eis und seiner Deformation zerdrückt. Deshalb mussten wir sie auch aufgeben und die neue Station bauen. Und hier haben wir ein neues Bauprinzip. Wir bauen auf Eis angewandt, die Station steht auf 16 hydraulischen Stempeln. Und diese hydraulischen Stempel sind in der Lage, die Station insgesamt um den jährlichen Schneezutrag zu heben, sodass also das Dach der Garage, die unter der Station ist, immer an die Schneeoberfläche angepasst werden kann. Dazu ist es aber notwendig, dass diese hydraulischen Beine auch einzeln angehoben werden. Und bevor man die Station erhöht, muss man jedes einzelne Bein anheben, dann kommt etwa ein Meter Schnee drunter wieder, und dann sitzen alle Stempel ein Meter höher, und gemeinsam drücken sie dann die Station nach oben.

    Heinemann: Warum wächst die Schneeschicht in der Antarktis?

    Miller: Es ist hier so kalt, dass jeder Niederschlag in Form von Schnee fällt. Und wir haben hier an der Neumayer-Station etwa 400 Millimeter Niederschlag, wenn man es in Wasser umrechnet, und das bedeutet, dass wir etwa einen Meter an Schneezutrag haben. Und dieser eine Meter an Schneezutrag bleibt liegen, weil nichts schmilzt.

    Heinemann: Herr Miller, kann man im Umkehrschluss sagen, dass Sie von den Folgen einer Erderwärmung auf Neumayer III in der Antarktis nichts mitbekommen?

    Miller: Das ist richtig. Die meteorologische Beobachtungsreihe, die wir ja seit 1981 hier sehr sorgfältig durchführen, zeigt für diese Region keinerlei Erwärmung. Wir beobachten zwar, dass die mittlere Sonnenscheindauer zugenommen hat, aber wenn wir die Temperatur anschauen, dann beobachten wir zwar starke Schwankungen von Jahr zu Jahr, aber über die, na ja, jetzt 28 Jahre Beobachtungszeitraum beobachten wir keine Erwärmung. Es bleibt konstant im Mittel, eher wird es vielleicht sogar ein bisschen kühler.

    Heinemann: Wie ist das zu erklären, dass woanders das Eis schmilzt und bei Ihnen in der Antarktis nicht?

    Miller: Der arktische Raum unterscheidet sich eben grundlegend von der Antarktis. Der Nordpol liegt ja sozusagen unter einem Binnenmeer, das von kontinentalen Landmassen umgeben ist. Die Antarktis ist ein riesengroßer Kontinent, der rundum vom Ozean umgehen ist. Also wir haben ganz andere Gegebenheiten der Land-Meer-Verteilung. Und das führt auch dazu, dass die Antarktis vom Rest der Welt in gewisser Weise beschützt wird durch den zirkumantarktischen Ringstrom, der im Ozean und in der Atmosphäre von West nach Ost immer rund um die Antarktis sich bewegt.

    Heinemann: Welche Erkenntnisse können Sie in der Antarktis über die Klimaveränderungen erwerben?

    Miller: Na ja, nun wenn wir künftige Klimaveränderungen verstehen wollen oder auch voraussehen oder vorausberechnen wollen, müssen wir noch sehr viel lernen über einzelne Prozesse, die das Klima steuern. Zum Beispiel ist ja ein entscheidender Faktor die Wechselwirkung und der Austausch von Energie zwischen dem Ozean und der Atmosphäre. Im Winter, wenn hier die Sonne nicht scheint, wenn es überall kalt ist, verliert der Ozean ja sehr viel Energie an die Atmosphäre, und das geht dann direkt in den Weltraum. Und je nachdem, wie viel Meereis, also dieses gefrorene Meerwasser, da liegt, verändert sich eben dieser Austausch zwischen Ozean und Atmosphäre und damit ändern sich wieder Parameter in den Klimamodellen. Und weil man das nicht ganz genau modellieren kann, muss man es parametrisieren ...

    Heinemann: Parametrisieren heißt genau was?

    Miller: Wenn man ein Modell der physikalischen Wirklichkeit in mathematische Formeln fasst, dann sind eben gewisse Werte einzusetzen für den Austauschkoeffizienten zwischen Ozean und Atmosphäre.

    Heinemann: Herr Miller, welche technische Ausrüstung, welche Arbeitsmittel stehen Ihnen für Ihre Forschung auf der Station Neumayer III zur Verfügung?

    Miller: Also wir sind hier jetzt relativ gut ausgestattet. Für die inzwischen fünf Observatorien, die wir hier betreiben, haben wir eine technische Infrastruktur, die sehr gut mit Computern ausgestattet ist. Die Station ist intern mit Local Area Network natürlich ausgerüstet, die Wissenschaftler können sich überall sozusagen ins Netz einklinken. Wir haben allerdings einen Engpass, und der liegt darin, dass wir über unsere ständige Satellitenverbindung nach Deutschland nur relativ wenig Daten rüberschicken können, nämlich 128 KBit. Das ist, sagen wir mal, na ja, fast 20-mal weniger als die langsamen DSL-Leitungen, die jeder heute zu Hause hat.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen direkt in der Antarktis mit dem Polarforscher Professor Heinrich Miller. Herr Miller, am Wochenende haben die Belgier die Polarforschungsstation Prinzessin Elisabeth in der Antarktis eingeweiht, deren Energieversorgung autark funktioniert, mit thermischen Solarzellen und Windenergie. Sind die Belgier die fortschrittlicheren Polarforscher?

    Miller: Nein. Man kann die belgische Station nicht mit unserer Station vergleichen. Die belgische Station ist eine reine Sommerstation, die, sagen wir, in Zukunft - auch wahrscheinlich nicht jedes Jahr - von Forschern besucht wird. Im Dezember und Januar kann man natürlich eine Station mit Solarenergie betreiben. Man kann damit schlecht heizen, aber dazu werden die natürlich Gas verwenden. Also so ganz ohne Verbrennung geht es dort auch nicht. Aber eine Überwinterungsstation, wo Sie im Winter keine Sonne haben und wo der Wind auch nicht zuverlässig ist, müssen Sie eben mit herkömmlichen Methoden arbeiten. Wir haben hier ein Blockheizkraftwerk, gewinnen elektrische Energie und Wärmeenergie, die eben notwendig ist, aus diesem Blockheizkraftwerk. Und zusätzlich haben wir jetzt bereits einen Windgenerator installiert, und das haben wir auch inzwischen ganz gut im Griff, dieses Wechselspiel zwischen Wind- und Basisenergie. Und wir wollen natürlich zusehen, dass wir, wenn wir etwas mehr Erfahrung damit gesammelt haben, den Anteil der Windenergie hier erhöhen.

    Heinemann: Herr Miller, wie müssen wir uns den Tagesablauf derjenigen Forscher vorstellen, die in der Antarktis überwintern?

    Miller: Ja, der Tagesablauf ist eigentlich relativ geregelt. Alleine der Betrieb der Observatorien erfordert eine relativ strenge Routine, weil eben zu ganz bestimmten Zeiten Beobachtungen durchgeführt werden müssen. Der Meteorologe hier fängt um sechs Uhr morgens an mit ganz normaler Wetterbeobachtung. Dazu muss er rausgehen oder zumindest in der neuen Station kann er auch zum Fenster rausschauen, aber er geht raus, und dann macht er alle drei Stunden diese Routinebeobachtungen. neben den ganzen Dingen, die automatisch über die Sensoren, die draußen sind, abgegriffen werden. Der Rahmen wird eben gegeben durch die Mahlzeiten. Und die Techniker, die die Station in Betrieb halten, haben natürlich auch ihre geregelten Arbeitsläufe, weil sie eben einen Wartungsplan zu erfüllen haben. Und der Koch muss natürlich für die Mahlzeiten sorgen.

    Heinemann: Jahreszeitlich bedingt kann ich Ihnen eine Frage nicht ersparen: Wie feiert man in der Antarktis Karneval, Fasching oder Fastnacht?

    Miller: Davon haben wir bis jetzt hier nichts gemerkt. Alle waren, denke ich, einfach zu beschäftigt damit, die Station fertigzustellen. Und in den letzten Tagen war es hier recht lebhaft, die letzten Arbeiten, Feinarbeiten an der Station und an den Systemen und Umzug der wissenschaftlichen Systeme von der alten zur neuen Station. Da war nichts mit Karneval.