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Sichere Wanderwege für Aale

Ihre letzte Reise führt sie in die Sargassosee: Dorthin zieht es die Europäischen Aale, um zu laichen. Auch vor Landgängen schreckt der Fisch dabei nicht zurück. Wissenschaftler wollen die Wandertage der Aale vorhersagen, um Gefahren für das Tier rechtzeitig entschärfen zu können.

Von Volker Mrasek | 22.05.2013
    Als mondsüchtig kann man ihn nicht unbedingt bezeichnen. Aber wenn der Europäische Aal im Spätsommer und Herbst unsere Flüsse hoch wandert, richtet er sich offenbar nach dem Stand des Erdtrabanten. Besonders reisefreudig sind die Fische dabei in Neumondnächten, wenn es sehr dunkel ist. Das ergaben Freilandbeobachtungen in Südschweden. Die niederländische Hydrologin Loes van Schaik berichtete darüber jetzt auf der Fachtagung in Landau in der Pfalz:

    "In einer dunklen Nacht wandern die Aale lieber als bei Vollmond. Denn dann ist es nicht so gefährlich für sie. In hellen Nächten können sie leichter von Fressfeinden entdeckt werden."

    Die Aale zieht es am Ende des Sommers Richtung Atlantik, in die Sargassosee, wo sie laichen. Wann sie sich tatsächlich in Bewegung setzen und ihre hiesigen Gefilde in Flüssen und Seen verlassen, hängt dabei noch von weiteren Faktoren ab. Zum Beispiel von der Wassertemperatur. Am liebsten machen sich die Fische nach den Beobachtungen bei 16 bis 18 Grad Celsius auf den Weg flussabwärts.

    Und auch das Wetter spielt eine große Rolle, wie es scheint. Die Aale wandern am liebsten nach andauernden, stärkeren Regenfällen:

    "Wenn es mehrere Tage lang regnet, dann steigt der Pegel im Fluss. Auch dadurch wird die Reise für die Aale sicherer. Bei flachen Wasserständen wären sie nämlich leichter auszumachen. Und noch etwas kommt hinzu: Nach Starkregenereignissen nimmt die Strömung im Fluss zu. Das nutzen die Aale aus. Die Wanderung kostet sie dann weniger Energie, denn sie können sich passiv von der Strömung verdriften lassen."

    Dunkle Neumondnächte, erhöhte Flusspegel nach Dauerregen und moderate Wassertemperaturen - kommt das alles zusammen, herrscht so etwas wie Rushhour im Gewässer. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Aale auf Wanderschaft sind. Unter solchen Bedingungen gingen den Forschern in Südschweden jedenfalls besonders viele Fische in die Videofalle, wie Loes van Schaik erzählt. Einmal waren es 46 Aale in einer einzigen Nacht - eine ziemlich hohe Zahl.

    "Der ganze Abfluss des kleinen Stroms lief durch die Aalfalle. Die Fische wurden während ihrer nächtlichen Passage gefilmt, von einer Wärmekamera. So konnte man genau sehen, wann Aale vorbeischwimmen und wie viele. Ich denke, dass die Tiere nicht nur in Schweden ein solches Verhalten zeigen, sondern ganz generell. Sie wandern, wenn die Nacht am dunkelsten ist und der Wasserstand am höchsten."

    Diese Erkenntnisse könnten helfen, den Tod zahlreicher Aale in Wasserkraftwerken an größeren Flüssen zu vermeiden. Immer wieder geraten Fische in die Turbinen der Anlagen und werden regelrecht zerstückelt. Auch das dezimiert ihre Bestände, warnt van Schaik:

    "Wenn wir genau sagen können, wann die meisten Aale wandern, dann ist es eine gute Idee, die Kraftwerke in diesen Nächten vorübergehend abzuschalten. Sodass weniger Aale sterben. Es müsste einen Kompromiss geben. Einerseits können wir die Anlagen natürlich nicht nächtelang vom Netz nehmen. Denn dann erzeugen sie keinen Strom. Auf der anderen Seite möchten wir so viele Aale wie möglich retten."

    In dem kleinen Flusslauf in Südschweden war es so, dass sich die Wanderung der Aale auf vier Nächte konzentrierte. In ihnen waren 80 Prozent der Tiere aus einer Saison unterwegs. Doch die Empfehlung der Forscher, die Kraftwerke so lange 'runterzufahren, stößt auf Widerstand der Betreiber. Denn genau dann, wenn die Aale gehäuft flussabwärts wandern, nämlich bei hohen Pegelständen im Herbst, ist auch die Stromausbeute der Wasserkraftwerke besonders hoch.

    Sollte es aber zu keinem Kompromiss kommen, wird es auch weiterhin Nächte geben, in denen viele Europäische Aale in den Turbinen der Wasserkraftwerke umkommen.