Archiv

Sicherheitsdebatte
Däubler-Gmelin sieht massive Videoüberwachung skeptisch

Kein vernünftiger Mensch sei gegen eine Videoüberwachung an öffentlichen Plätze, die Risikopunkte seien, meint die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Sie sei aber skeptisch, dass damit Verbrechen verhindert werden könnten, sagte die SPD-Politikerin im DLF.

Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Christine Heuer |
    Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemalige Bundesjustizministerin, in der ARD-Talkreihe Günther Jauch.
    Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemalige Bundesjustizministerin. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Gegen allgemeine Forderungen habe sie immer etwas, betonte Däubler-Gmelin: "Dafür bin ich einfach zu sehr Juristin. Man muss immer prüfen, ist das Ding geeignet, und ist es etwas was die Sicherheit erhöht und die Freiheitsrechte nicht zu sehr einschränkt." Es brauche viele andere Sachen, die mit so spektakulären Forderungen wie Gesetzesänderungen nicht zu machen sind.
    Die SPD-Politikerin sprach sich in diesem Zusammenhang gegen die Forderung der CSU nach einem neuen Haftgrund, der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, aus. Flüchtlinge dürften nicht unter Vorbehalt gestellt werden. 99,9 Prozent der Flüchtlingen seien Menschen, wie du und ich. "Natürlich muss man wissen, mit wem habe ich es zu tun, ich muss registrieren, ich muss identifizieren, wer hereinkommt. Wenn ich das nicht kann, muss ich die Verfahren und den Informationsaustausch europaweit und zwischen den Bundesländern so bringen, dass ich das nachweisen kann." Es sei sinnvoll, besondere Einrichtungen zu schaffen, bis die Identifizierung und Registrierung abgeschlossen sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Was bringen die neuen Maßnahmen, und wenn sie etwas bringen, warum kommen sie erst jetzt? Fragen an die Juristin und Sozialdemokratin Herta Däubler-Gmelin, von 1998 bis 2002 war sie Bundesjustizministerin. Guten Morgen, Frau Däubler-Gmelin!
    Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Die Videoüberwachung, das haben wir gerade gehört, ist der am heftigsten diskutierte Vorschlag. Die Berliner SPD unter anderem zögert da erheblich zu sagen, das soll ausgeweitet werden. Zu Recht?
    Videoüberwachung: "Es wird darauf ankommen, wo"
    Däubler-Gmelin: Kein Mensch wird sich dagegen weigern, eine Videoüberwachung an Stellen zu machen, wo das sinnvoll ist. Die Skepsis bezieht sich natürlich darauf, dass hier Erwartungen geweckt werden, als könne man damit Verbrechen von Deutschen oder von Flüchtlingen verhindern. Das kann man halt nicht.
    Heuer: Ja, aber man sieht ja, dass die Aufklärung dann besser funktioniert.
    Däubler-Gmelin: Ja, wenn die Aufklärung funktioniert, wird auch jeder dafür sein. Das ist gar nicht der Punkt, sondern es wird darum gehen, zu sagen, hört mal, ihr könnt mit einem Mittel wie der Videoüberwachung nur ganz bestimmte Dinge machen, aber es braucht viele andere Sachen, die mit so spektakulären Forderungen wie Gesetze verändern einfach nicht zu machen ist.
    Heuer: Um aber den Punkt abzuhaken, und wir wollen ein paar mit Ihnen durchdeklinieren, Sie haben nichts gegen eine Ausweitung der Videoüberwachung?
    Däubler-Gmelin: Doch, natürlich. Gegen so allgemeine Forderungen habe ich immer was. Dafür bin ich einfach zu sehr Juristin. Man muss immer prüfen, ist das Ding geeignet, und ist es etwas, was also die Sicherheit erhöht, aber die Freiheitsrechte nicht einschränkt. Und das kann man nicht sagen, Videoüberwachung allgemein ist gut, sondern es wird darauf ankommen, wo.
    Heuer: Wo denn?
    Däubler-Gmelin: Und zu welchem Zweck.
    Heuer: Wo denn und zu welchem Zweck?
    Däubler-Gmelin: Zum Beispiel an Punkten, die Risikopunkte sind, selbstverständlich.
    Heuer: Also zum Beispiel U-Bahnstationen.
    Däubler-Gmelin: Ja, da macht man es ja heute auch in weiten Bereichen schon.
    Heuer: Das heißt, Sie würden der Berliner SPD, die das ja jetzt noch nicht will, raten, da ihre Meinung zu verändern?
    Däubler-Gmelin: Liebe Frau Heuer, so allgemein kann man es nicht sagen, sondern in dem Maße, wo wir ganz konkret fragen, ist es ein Risikopunkt, brauchen wir das, erhöht es die Sicherheit, ohne dass hier Unbeteiligte in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sind alle dafür, und das würde ich allen raten, ob nun Ihnen, der SPD oder der CDU.
    "Einrichtungen für die Identifizierung und Registrierung von Flüchtlingen"
    Heuer: Es soll einen neuen Haftgrund geben, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Das jedenfalls fordert die CSU. Da geht die SPD nicht mit. Halten Sie diesen Vorschlag für sinnvoll?
    Däubler-Gmelin: Auch das, Frau Heuer, ist mir viel zu allgemein. Schauen Sie, selbstverständlich sagt jeder vernünftige Mensch, man muss wissen, mit wem habe ich es zu tun, das heißt, ich muss registrieren und ich muss identifizieren, wer herein kommt. Wenn ich das nicht kann, muss ich die Verfahren und den Informationsaustausch jetzt europaweit oder zwischen den Bundesländern so bringen, dass ich das tatsächlich nachweisen kann. Und ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, dass man besondere Einrichtungen schafft, bis hier die Identifizierung und die Registrierung tatsächlich abgeschlossen sind. Aber das heißt eben weder Haftanstalt noch besonderer Haftgrund, sondern das sind besondere Einrichtungen, und die darf man auch nicht verwechseln.
    Heuer: Sind Sie für Transitzonen, Frau Däubler-Gmelin?
    Däubler-Gmelin: Nein, ich bin nicht für Transitzonen.
    Heuer: Klang gerade so.
    "Übergriffe gegen Flüchtlinge von Deutschen haben sich verzehnfacht"
    Däubler-Gmelin: Nein, einfach deshalb nicht, weil das bedeutet, die Flüchtlinge sind die Verbrecher und man stellt sie unter Vorbehalt, und man vergisst, dass bei uns die Menschen, die hier Schutz suchen, zu über 99,9 Prozent selbstverständlich Menschen sind wie du und ich. Und man übersieht auch völlig, dass bei uns zum Beispiel Übergriffe und Straftaten gegen Flüchtlinge in den letzten Jahren sich von Deutschen nahezu verzehnfacht haben.
    Es geht also in der Tat darum, nicht Gruppierungen allgemein unter Vorbehalt zu stellen oder in bestimmten Zonen zu haben, sondern die ganz wenigen Straftäter, die Verbrecher herauszupicken, die zuverlässig zu bekommen, und das ist ja auch gerade von Ihrem Kollegen gesagt worden, die Justiz und die Polizei in die Lage zu versetzen durch Verfahren und dadurch, dass man nicht ständig Personal abbaut, dass die schnell ergriffen werden können und schnell dann tatsächlich einer rechtsstaatlichen Strafe zugeführt.
    Heuer: Frau Däubler-Gmelin, nur um das besser zu verstehen: Wenn Sie sagen, Verbrecher sollen frühzeitig herausgepickt werden, und Sie sprechen von besonderen Einrichtungen, wie muss man sich das konkret vorstellen, also geht es um Herauspicken vor dem Eintritt nach Deutschland oder beim Eintritt nach Deutschland oder danach?
    Däubler-Gmelin: Natürlich so frühzeitig wie möglich. Jetzt nehmen wir den Täter dieses furchtbaren Attentats in Berlin. Selbstverständlich wäre es sehr vernünftig gewesen, der Informationsaustausch zwischen Tunesien und Italien hätte so funktioniert, dass er gar nicht nach Italien einreisen kann beziehungsweise, dass, wenn er in Italien auftaucht, er dann nach Tunesien wieder zurückgeliefert wird oder in Italien verurteilt wird und ins Gefängnis kommt und dort bleibt.
    Und das Gleiche muss man sich vorstellen zwischen Italien und Deutschland, das heißt also, zwischen den europäischen Staaten, und Sie können es fortsetzen. Selbstverständlich ist es auch erforderlich, dass die Computerprogramme und dass auch die Leute, die sie bedienen, zwischen den einzelnen Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland so sicher gemacht werden, dass die Identifizierung und die Registrierung am ersten Anlaufpunkt, wo immer der ist, funktioniert und die Informationen weitergegeben werden.
    "Es ist wesentlich unspektakulärer, Verwaltungsverfahren zu verändern"
    Heuer: So, und das ist der Punkt, darüber reden wir nach jedem Anschlag, darüber reden wir seit Jahren, und, Frau Däubler-Gmelin, vielleicht wissen Sie es, warum funktioniert das nach wie vor nicht?
    Däubler-Gmelin: Ich weiß es natürlich. Sagen wir mal so, wesentlich unspektakulärer ist Verwaltungsverfahren zu verändern oder zu schauen, dass Polizei, dass Richter und Staatsanwaltschaften genügend Zeit haben, das Verfahren vernünftig gestellt werden. Das ist auch teurer als zu sagen, ich ändere das Grundgesetz oder ich ändere hier die Gesetze, oder ich verschärfe dieses und jenes oder ich schiebe schneller ab. Das ist weniger spektakulär, und deswegen wird das häufig genug auch in der Öffentlichkeit nicht so betont, wie das betont werden müsste.
    Heuer: Sie haben mir im Vorgespräch gerade gesagt, gerade über diesen Punkt hatten Sie einmal einen persönlichen Clinch mit Wolfgang Schäuble. Der war 1993 Innenminister, und Sie waren stellvertretende SPD-Fraktionschefin. Worum ging es da genau?
    Däubler-Gmelin: Da ging es um ganz ähnliche Probleme, auch wenn sie natürlich anhand einer etwas anderen öffentlichen Diskussion geführt wurden. Aber damals gab es auch schon viele Menschen, die hier Schutz gesucht haben, und damals ging es um die Frage, ändern wir den Artikel 16 des Grundgesetzes. Unser Vorschlag gegenüber Herrn Schäuble war, doch jetzt einfach mal die Registrierung und die Identifizierung damals zwischen den einzelnen Bundesländern nach einem einheitlichen Niveau zu machen. Die Antwort, die wir damals gehört haben, ist, das ist sehr teuer, und außerdem ist das die Kompetenz der Bundesländer. Es ist aber erforderlich, dass wir das machen, weil das die praktischen Dinge sind, die wir brauchen gegenüber deutschen und gegenüber Ausländern, die sich hier als Kriminelle betätigen.
    "Die wenigen, die ihren Status missbrauchen, tatsächlich ergreifen"
    Heuer: Die Frage schließt sich jetzt noch ein bisschen an, weil im Zusammenhang jetzt gerade auch mit Anis Amri und sicher auch mit den U-Bahn-Tätern von der Schönleinstraße in Berlin dieser Punkt diskutiert werden wird wieder – inwiefern ist Angela Merkel sozusagen schuld an diesen Verbrechen, wie die AfD es zum Beispiel insinuiert. Also die Frage an Sie, Frau Däubler-Gmelin, wann wurden die Fehler gemacht? Im September 2015 oder in den Jahren davor?
    Däubler-Gmelin: Nein, die Fehler werden immer noch gemacht, und zwar einfach deshalb, es ist, wie ich finde, großartig, und deswegen schätzen das auch sehr viele Menschen, dass man Menschen, die Hilfe brauchen und die als Flüchtlinge zu uns kommen, mit offenen Armen begegnet. Aber gleichzeitig muss man die Verwaltungen, und man muss gleichzeitig auch die Polizei und man muss gleichzeitig auch die Justiz in die Lage versetzen, mit den ganz wenigen, die reinkommen und ihren Status missbrauchen, die tatsächlich zu ergreifen. Und ich denke, dass hier auch die schreckliche Geschichte mit dem Attentäter in Berlin sehr deutlich zeigt, dass man sehr genau gucken muss, auf welcher Station sind Fehler gemacht worden. Die sind schon lange gemacht worden, und die müssen jetzt endlich beseitigt werden.
    Heuer: Und zwar eher mit Geld als mit neuen Gesetzen, kurz zum Schluss.
    Däubler-Gmelin: Ja, die Erwartungen sind natürlich hoch, aber ich bin auch gar nicht gegen die Änderung von Gesetzen, wo es geeignet ist und wo es tatsächlich was bringt und hier nicht die Falschen einschränkt. Meistens haben wir die Gesetze schon.
    Heuer: Herta Däubler-Gmelin, Sozialdemokratin, Juristin und ehemalige Justizministerin. Frau Däubler-Gmelin, vielen Dank für das Interview!
    Däubler-Gmelin: Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.