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Sicherheitsexperte: Gute Gründe für und wider einen Panzerdeal

Der angebliche Verkauf von Panzern an Saudi-Arabien mit Kenntnis Israels zeigt nach Auffassung von Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ein neues Spannungsverhältnis im Nahen Osten. Irans hegemoniale Ambitionen hätten zu einer stillen Allianz zwischen Saudi-Arabien und Israel geführt.

Markus Kaim im Gespräch mit Christian Bremkamp | 06.07.2011
    Christian Bremkamp: Das umstrittene Panzer-Geschäft mit Saudi-Arabien wird heute aller Voraussicht nach den Bundestag beschäftigen. Die Opposition hat dazu eine Aktuelle Stunde beantragt. Eine offizielle Bestätigung der Bundesregierung für den umstrittenen Deal gibt es zwar immer noch nicht, laut einem Zeitungsbericht hat die schwarz-gelbe Regierung aber bereits die Zustimmung der USA und Israels eingeholt.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Markus Kaim, er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Kaim!

    Markus Kaim: Schönen guten Tag.

    Bremkamp: Panzer-Lieferungen an Saudi-Arabien, können Sie die derzeitige Aufregung nachvollziehen?

    Kaim: Vielleicht teile ich nicht jedes Argument, was seit Anfang der Woche dagegen vorgebracht worden ist, aber ich kann die Aufregung insofern gut nachvollziehen, weil sich in dieser Debatte, die in veränderter Form ja in den letzten Jahrzehnten immer wieder geführt worden ist anlässlich von verschiedenen Rüstungsexporten, das besondere Spannungsverhältnis von Werten und Interessen in deutscher Außen- und Sicherheitspolitik widerspiegelt, und dieses Spannungsverhältnis ist eben nicht aufzuheben und von daher bringen beide Seiten auch gute Argumente vor.

    Bremkamp: Wie könnte dieses Spannungsverhältnis denn aufgelöst werden Ihrer Ansicht nach?

    Kaim: Also ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir hier drei Dinge auseinanderhalten. Erstens: Es gibt die innenpolitische Dimension. Diejenigen oder einige Kritiker verweisen ja auf die innenpolitische Situation in Saudi-Arabien, ein gewichtiges Argument, was nicht von der Hand zu weisen ist. Das Problem ist nur: Wenn man sich den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung anschaut, dann stellt man fest, dass wir in viele Länder Waffen und Kleinteile exportieren und exportiert haben in der Vergangenheit, die eigentlich nicht unserem Wertestandard entsprechen. Das heißt, Saudi-Arabien wird als ein Einzelfall diskutiert, aber das moralische Dilemma, auf das sich die deutsche Politik damit einlässt, zieht viel weitere Kreise.

    Die zweite Dimension ist die Rolle, die Saudi-Arabien gespielt hat im Kontext der arabischen Revolution, Stichwort Niederschlagung Bahrains oder des Aufstandes in Bahrain, ein sehr gewichtiges Argument.

    Und die dritte Dimension ist die regionalpolitische, wo es hier um die Mächtekonstellation oder das Mächtedreieck geht zwischen Saudi-Arabien, Israel und dem Iran. Und da kann man gewichtige Argumente vorbringen, dass es ein Interesse Deutschlands ist, gerade mit Blick auf Israel, den Einfluss des Iran einzuhegen, und vor diesem Hintergrund kann man ein plausibles Argument entwickeln, dass die Waffenlieferungen Sinn geben.

    Bremkamp: Herr Kaim, zu Israel würde ich gleich gerne noch kommen. Die Frage: Ist das zentrale Problem nicht vielleicht der Bundessicherheitsrat, der so geheim agiert?

    Kaim: Nun gut, die unmittelbare Entscheidung jetzt, wenn sie denn so stattgefunden hat, wovon wir jetzt ausgehen, mag geheim stattgefunden haben, aber in absehbarer Zeit müssen die Unterlagen ja öffentlich gemacht werden. Es gibt den jährlichen Rüstungsexport-Kontrollbericht ...

    Bremkamp: Aber dann ist das Geschäft ja schon abgewickelt!

    Kaim: Ja! Aber der Vorwurf, dass das in völliger Dunkelheit, in völliger Intransparenz sich abspielte, den kann man so nicht machen. Es ist das Privileg der Exekutive, das ist es immer gewesen, auch in der Vergangenheit, auch bei anderen Regierungen, und der Bundestag ist formell daran nicht zu beteiligen, sondern kann seine Kontrollfunktion wie in vielen anderen Politikbereichen auch erst im Nachhinein wahrnehmen.

    Bremkamp: Das könnte man ja ändern!

    Kaim: Wenn man das wollte, könnte man das ändern, wobei es wahrscheinlich eine Frage von praktischen Erwägungen ist, nicht jede Rüstungsexport-Entscheidung im Bundestag zu diskutieren, weil es gibt natürlich bestimmte industriepolitische Interessen, die hier auch eine Rolle spielen, auch wenn sie vielleicht nicht unbedingt handlungsleitend sind, aber sie sind nicht vom Tisch zu wischen, die letztlich dann in diesem Forum überhaupt keine Chance mehr hätten.

    Bremkamp: Herr Kaim, nun sollen die USA sowie Israel vorab informiert gewesen sein. Vorausgesetzt diese Meldung stimmt, wie erklären Sie sich, dass vor allem Israel nicht interveniert hat? Sieht es Saudi-Arabien wirklich als sunnitisches Bollwerk an?

    Kaim: In der Vergangenheit sind ja geplante und beantragte Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien gerade mit dem Verweis auf die besonderen israelischen Sicherheitsinteressen und der deutschen Verantwortung dafür immer abgelehnt worden. Das ist aber 20 Jahre her und die Gemengelage im Nahen Osten hat sich sehr verändert. Israel ist heute im konventionellen wie im nicht konventionellen Bereich der stärkste Akteur in der Region, ist letztlich von niemandem existenziell bedroht, und viel wichtiger ist die gewandelte Rolle des Iran. Der Iran versucht, sich als Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten zu positionieren, ist dabei, Nuklearwaffen zu entwickeln, oder vorsichtiger formuliert die Fähigkeit dafür zu entwickeln, diese zu bauen, und gerade die saudische Reaktion darauf ist in den vergangenen Jahren gewesen, sich Verbündete zu suchen und auch den Weg der Aufrüstung einzuschlagen. Vor diesem Hintergrund hat sich eine nahezu stille Allianz zwischen Saudi-Arabien und Israel herausgebildet. Das ist, glaube ich, der Hauptgrund, weshalb Israel im Moment keine Vorbehalte gegen einen solchen Rüstungsexport anmeldet.

    Bremkamp: Aber Saudi-Arabien ist ja nicht über Nacht ein Hort der Demokratie geworden. Sie haben das Eingreifen in Bahrain schon angesprochen. Sind kurzfristige Überlegungen plötzlich wichtiger als langfristige?

    Kaim: Die Frage kann man stellen, was ist hier kurzfristig und was ist langfristig. Man kann natürlich genau anders herum argumentieren und sagen, unser Interesse an einer Einhegung des Iran, an einem dauerhaften Schutz Israels gegen iranische Nuklearambitionen, das ist das langfristige Interesse, dem alles andere untergeordnet sein muss.

    Ich komme an meinen Ausgangspunkt zurück: Was hier das Interesse Deutschlands ist und was die wertgebundene Komponente ist, ist letztlich eine politische Entscheidung, die auch das Parlament dann treffen muss, aber dieses Spannungsverhältnis ist einfach nicht aufzuheben. Es gibt gute Argumente – und die sind nicht vom Tisch zu wischen -, auf die innenpolitische Konstellation in Saudi-Arabien hinzuweisen, auf die schwierige oder problematische Rolle bei der Niederschlagung des Aufstandes in Bahrain. Gleichzeitig kommen wir nicht umhin, Saudi-Arabien zumindest für die nächsten Jahre als einen unserer Verbündeten in der Region zu betrachten.

    Bremkamp: Nun hat man aus ähnlichen Gründen jahrelang auch den Irak unterstützt. Das Resultat ist uns allen vor Augen. Deswegen meine Frage nach kurzfristigen und langfristigen Überlegungen.

    Kaim: Ja. Das Problem ist: Wenn man Begrifflichkeiten wie Stabilität verwendet, oder auch bei Rüstungsexporten generell, werden wir uns natürlich nur an dem orientieren können, was wir gegenwärtig sehen, und dass wir tatsächlich bei Rüstungsexporten grundsätzlich immer Gefahr laufen, ein System zu befördern und damit zu stabilisieren, was sich in den nächsten Jahren in eine völlig andere Richtung entwickeln wird, und natürlich auch wir damit Gefahr laufen, die Bundesrepublik wie der Westen generell, Regime aufzurüsten, die sich vielleicht in fünf oder acht oder zehn Jahren sogar gegen uns wenden werden. Das haben wir ja in vielfältigen historischen Beispielen bereits gesehen. Das heißt tatsächlich, was ich damit sagen will, dass hier die kurzfristige von der langfristigen Perspektive nicht sauber geschieden werden kann.

    Bremkamp: Herr Kaim, die Frage ist doch auch: Was will Saudi-Arabien eigentlich mit diesen Panzern? In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" können wir heute eine Art Porträt des Leopard II lesen. Danach ist dieser mit einem Räumschild gegen Barrikaden und einem aufgesetzten Geschützrohr ausgestattet. Kurzum: Wer gegen Demonstranten vorgehen will, der hat ein perfektes Gerät zur Hand, eben vor dem Hintergrund der Umwälzungen in der arabischen Welt. Muss einen das nicht stutzig machen?

    Kaim: Nein. Das Argument würde ich nicht gelten lassen wollen. Also mit einem 120 Millimeter-Geschützrohr geht man nicht gegen Demonstranten vor, und auch diese Illustration, die man jetzt im Internet sehen kann, oder diese Filme, wo das temporär dafür genutzt worden ist, um Barrikaden wegzuräumen, nehmen nichts davon, dass ein Leopard II-Kampfpanzer – der Name sagt es ja schon, es ist ein Kampfpanzer – für völlig andere Zwecke konzipiert worden ist. Man kann diese Kritik vorbringen gegenüber anderen militärischen Gütern, dass die zur Aufstandsbekämpfung in vielen Ländern rund um den Globus benutzt worden sind, und damit, wenn man sagen will, den Wertekanon deutscher Außen- und Sicherheitspolitik letztlich karikieren. Beim Leopard II scheint mir das aber wirklich eine untergeordnete Komponente zu sein. Das ist eine Waffe, die sie eben gegen einen staatlichen Akteur einzusetzen suchen, und das illustriert meinen Punkt, dass der Hauptadressat der saudischen Rüstung der Iran ist.

    Bremkamp: Wer soll die saudische Armee eigentlich an diesem Panzer ausbilden? Müssen wir uns darauf gefasst machen, dass irgendwann bald deutsche Soldaten nach Riad fliegen als Ausbilder?

    Kaim: Ich kenne den Vertrag nicht. Üblicherweise sind solche Verträge oder beinhalten solche Verträge, Kaufverträge auch bestimmte Ausbildungskomponenten, aber dazu lässt sich jetzt ohne Kenntnis des Vertrages nichts sagen.

    Bremkamp: Die Kritik an der jetzt geplanten Lieferung, die wächst. Das hören wir, das sehen wir im Fernsehen, das lesen wir in den Zeitungen. Sehen Sie eigentlich noch eine Möglichkeit, dass die Lieferung gestoppt wird, dass das Geschäft platzt?

    Kaim: Auch hier gilt: Man müsste den Vertrag kennen. Ich weiß nicht, ob der Vertrag so unterschriftsreif gestaltet worden ist. Im Moment, wenn ich das richtig verstanden habe, ging es ja erst mal um eine Exportgenehmigung. Jetzt müsste man genau wissen, was zwischen dem Kunden und dem Produzenten bereits vereinbart ist, also was dort Vertragslage ist. Aus geltenden Verträgen herauszukommen - und tatsächlich die Bundesrepublik ist ja hier nicht Vertragspartner, sondern die Bundesregierung genehmigt nur einen Antrag eines Produzenten, also des Produzenten des Partners -, aus einem geltenden Vertrag herauszukommen, wird, glaube ich, für den deutschen Produzenten schwierig sein und er hat natürlich in dem Sinne auch gar kein Interesse daran.

    Bremkamp: Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich danke Ihnen.

    Kaim: Gerne!