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Sicherheitslage in Deutschland
"Die genaue Identität eines Verdächtigen zu kennen, ist enorm wichtig"

Für die Sicherheitsbehörden sei es unerlässlich, die genaue Identität eines Flüchtlings zu kennen. Nur dann könne ihr Gefährdungspotenzial aufgeklärt werden, sagte Dietrich Urban vom Bund der Deutschen Kriminalbeamten im DLF. Es sei enorm wichtig, Netzwerke auch mit den Flüchtlingsinitiativen aufzubauen, um ein Abdriften von Personen schon im Vorfeld zu verhindern, so Urban.

Dietrich Urban im Gespräch mit Martin Zagatta | 20.07.2016
    Polizisten bewachen den Hauptbahnhof in Berlin. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen den Hinweisen auf mögliche Anschlagziele islamistischer Terroristen in Deutschland mit Hochdruck nach.
    Das Gefährdungspotenzial von Verdächtigen können Sicherheitsbehörden nur dann erfassen, wenn sie die wahren Identitäten der Personen kennen, so der BDK-Vorsitzende Dietrich Urban im DLF. (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Martin Zagatta: Am Telefon ist Dietrich Urban, im Bundeskriminalamt der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten, also ein Gewerkschafter dort. Guten Tag, Herr Urban!
    Dietrich Urban: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Urban, wir haben gehört, wie schwierig es ist oder nahezu unmöglich, auf einen Täter aufmerksam zu werden wie jetzt in Würzburg. Nun soll der aber ein Bekenner- oder ein Drohvideo hochgeladen haben auf einer Webseite, die dem IS nahesteht, die auch weithin bekannt gewesen sein soll, die solche Videos verbreitet. Warum lässt sich solch eine Webseite, solch ein Hochladen nicht dort an der Quelle überwachen? Warum soll das so schwierig sein?
    Urban: Zunächst einmal habe ich großes Vertrauen in die bayerischen Kollegen, die jetzt die Ermittlungen übernommen haben, und die werden mit ihrer gewohnt akribischen Art sicherlich schnell darüber aufklären, wie sich der gesamte Vorgang zugetragen hat. Grundsätzlich ist es so, dass im Bundeskriminalamt im Zusammenhang mit weiteren Sicherheitsbehörden das Internet sehr engmaschig und 24 Stunden am Tag überwacht wird, eben auf diese Portale geschaut wird mit dschihadistischen, mit politisch motivierten Inhalten, um entsprechende Tendenzen früh zu erkennen.
    "Keine Hinweise auf ein Gefahrenpotenzial gerade durch diesen Täter"
    Und wenn es dann täterrelevante Hinweise gibt, denen wird natürlich nachgegangen. Aber hier scheint es ja so zu sein, unabhängig jetzt auch von der ungeklärten Identität des Täters von Würzburg, dass man wohl im Vorfeld keinerlei Hinweise hatte auf ein entsprechendes Gefahrenpotenzial gerade durch diesen Täter.
    Zagatta: Sie sprechen es an, diese ungeklärte Identität. Es gibt Zweifel, ob er tatsächlich Afghane ist. Aus der Sicht von Ermittlern, ist das überhaupt ein Problem, dass viele Flüchtlinge angesichts der großen Zahl da offenbar nur oberflächlich, nur im Schnellverfahren registriert worden sind? Ist das ein Problem, wenn man Identitäten hier nicht so kennt? Weil der Verfassungsschutzpräsident Maaßen, der sagt, jetzt von der Terrorproblematik her sei das nicht so dramatisch.
    Urban: Ja, ganz klar. Natürlich ist es für die Polizei und andere Sicherheitsbehörden enorm wichtig, die genaue Identität eines Betroffenen, Verdächtigen, Täters, wie immer sich das dann darstellt, zu kennen, denn nur dann kann ja der entsprechende Hintergrund aufgeklärt werden, was Vortaten angeht, was das Gefährdungspotenzial dieser Personen angeht.
    "Die wahren Identitäten der hier Aufhältigen zu klären"
    Wir sind in der Situation, dass die Bundesregierung diese Entscheidung getroffen hat, aus humanitär gut nachvollziehbaren Gründen viele Menschen, schutzbedürftige Menschen natürlich überwiegend in unser Land zu lassen. Aus sicherheitspolitischer Sicht, klar, ergibt sich dann natürlich das Problem, wie schnell kommen wir an die wahren Identitäten, die wir dann entsprechend den Vorschriften abklären können. Und ja, vor diesem Problem stehen wir. Deswegen kann nur das Gebot der Stunde sein, so schnell wie möglich im Zusammenhang mit den anderen Verwaltungsbehörden die wahren Identitäten der hier Aufhältigen zu klären und dann, wo es geboten ist, entsprechende Maßnahmen zu treffen.
    Zagatta: Aber da habe ich Sie schon richtig verstanden, dass viele Flüchtlinge offenbar weitergereist sind oder nicht entsprechend registriert worden sind im vergangenen Jahr, angesichts auch der großen Zahl? Das ist sicherheitstechnisch aus Ihrer Sicht schon ein großes Problem?
    Urban: Ja selbstverständlich! Das ist klar. Die bayerische Landesregierung spricht ja von Zuzug kontrollieren und begrenzen. Natürlich muss man wieder zu einem geordneten Verfahren kommen. Das ist aber vorwiegend eine verwaltungstechnische Aufgabe. Wir von der Polizei, von der Kriminalpolizei müssen uns dann ja leider mit den dunklen Seiten des Lebens auseinandersetzen und da sind wir natürlich auf diese Informationen insbesondere angewiesen.
    Zagatta: Haben Sie denn eine Erklärung, wie der Verfassungsschutzpräsident Maaßen dann sagen kann, Identitätsschwindel sei sicherheitstechnisch da nicht so das große Problem?
    "Asylbewerber sagen nicht immer die Wahrheit"
    Urban: Da müssen Sie ihn vielleicht selber fragen. Ich denke, er spricht da auch aus einer gewissen Erfahrung. Natürlich haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass Asylbewerber, egal aus welchem Land sie jetzt kommen, nicht immer die Wahrheit sagen, aber das ist leider bei der Polizei an der Tagesordnung. Deswegen kommt es ja gerade darauf an, Verfahren zu entwickeln oder die Verfahren, die wir haben, so schnell wie möglich anzuwenden, um dann an die wahren Identitäten zu kommen, damit wir den Menschen ihren garantierten Schutz natürlich gewähren können, aber im Zweifelsfall natürlich auch unsere Bevölkerung davor zu schützen, falls es dort Gefährder und Straftäter darunter gibt. Natürlich!
    Zagatta: Herr Urban, jetzt sagt auch der Kanzleramtsminister Altmaier, Flüchtlinge würden kein erhöhtes Terrorrisiko darstellen. Wie ist das aus Sicht der Polizei, aus Sicht der Ermittler? Deckt sich das tatsächlich mit Ihren täglichen Erfahrungen?
    "Die Verteilung der Straffälligkeit ist jetzt nicht signifikant größer"
    Urban: Ja, das kann man so wirklich sagen. Natürlich hat es einen Anstieg in der Gesamtstatistik über die Kriminalitätslage gegeben seit Beginn der Flüchtlingsbewegungen im September letzten Jahres. Allerdings kann man jetzt nicht sagen, dass sich dadurch auch signifikant, also bedeutsam für uns natürlich besonders wichtige Indikatoren für eine Verschlechterung der Sicherheitslage wie die Gewalttaten, dass sich dort was getan hat, weil wir jetzt mehr Flüchtlinge im Land haben. Das ist so nicht.
    In dem Zusammenhang, vielleicht ganz interessant, hat ein Kollege auch des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Herr Küch aus Braunschweig, mal eine Analyse gemacht im Rahmen seiner dort eingerichteten Sonderkommission Asyl, und der hat das genau bestätigt. Die Verteilung der Straffälligkeit ist jetzt nicht signifikant größer im Vergleich zu vor der erhöhten Migrationswelle.
    Zagatta: Herr Urban, wenn wir zusammenfassen, was wir von den Ermittlern und von der Politik bisher gehört haben, dass sich da jemand sehr, sehr unauffällig radikalisiert hat wie jetzt in Würzburg, muss man das anerkennen, dass man dann als Ermittler, auch als Polizei an Grenzen stößt, dass dann solche Attentate unter Umständen einfach nicht zu verhindern sind?
    Netzwerke aufbauen, um an relevante Informationen zu kommen
    Urban: Ja natürlich gibt es überall Grenzen, und wir wollen ja nicht in einem Polizeistaat leben, wo jegliche Bewegung, jegliches Verhalten im Internet von staatlicher Seite kontrolliert wird. Wir sind sehr froh über unseren hohen rechtsstaatlichen Standard hier. Der macht uns natürlich in Teilbereichen auch anfällig. Deswegen ist es enorm wichtig, dass wir mit den Sicherheitsbehörden, mit dem Bundesnachrichtendienst, mit den Verfassungsschutzämtern, aber auch mit den sonstigen Verwaltungsbehörden und den privaten Initiativen, die ja einen sehr großen Einsatz zeigen bei der Integration von Flüchtlingen, dass wir da Netzwerke aufbauen, um an relevante Informationen, falls es ein Abdriften von Betroffenen gibt, zu gelangen, um die dann entsprechend herauszufiltern und wirksam zu bekämpfen.
    Zagatta: Noch kurz vielleicht. Was halten Sie von dem Vorschlag, man soll, ähnlich wie es in Flugzeugen gemacht wird, jetzt auch in Zügen sogenannte Marshals, Sicherheitskräfte einsetzen, die dann in Zügen möglicherweise solche Attentate wenn nicht verhindern, dann doch zumindest relativ schnell einschreiten können?
    Urban: Ich warne jetzt hier vor Schnellschüssen. Es ist ein wirklich sehr bedauerlicher Einzelfall, der hier fünf Menschen schwerstverletzt hat. Dass das natürlich erst mal auf den Plan ruft zu sagen, wir können wir das denn verhindern - ich meine, wenn man sich allein die Anzahl von Zügen anschaut, auch Waggons. Wie will man es denn technisch umsetzen? Will man in jeden Waggon jemand reinsetzen? Ich glaube, wir sollten das Phänomen beobachten. Sollte es da eine Verstärkung geben, muss man sich vielleicht darüber neu unterhalten. Aber ich sehe zurzeit viel wichtiger die Zusammenarbeitsformen, den Austausch zwischen den Behörden, aber auch unter Umständen mit den Organisationen, die auch insbesondere für muslimische Mitbürger zuständig sind, zu verstärken, um an relevante Informationen zu kommen und diese Personen vor diesen Taten rechtzeitig abzuhalten.
    Zagatta: … sagt Dietrich Urban, der im Bundeskriminalamt der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten ist. Herr Urban, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Urban: Herzlichen Dank! Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.