Elke Durak: Die Hamas und die gemäßigten Palästinenser, das ist auch jetzt das Thema des Gesprächs mit Markus Kaim. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Kaim.
Markus Kaim: Schönen guten Tag.
Durak: Wir haben heute Morgen hier im Deutschlandfunk den stellvertretenden Generaldelegierten der palästinensischen Regierung in Den Haag und Fatah-Sprecher Jamal Nazzal gesprochen. Israel wolle keinen Frieden in Nahost, behauptete er unter anderem, und auch dies:
O-Ton Jamal Nazzal: Dieser ganze Krieg scheint uns wie ein gemeinsames Spiel der Israelis und der Hamas, denn die Israelis, die jetzt die Tunnel mit den Bomben dicht gemacht haben, sie haben ja jahrelang ein Auge zugedrückt, während die Hamas über die Tunnel und über die Grenze Waffen geschmuggelt hat. Wir Moderaten sind in einem Käfig mit einem halb getöteten Tiger, der sich Hamas nennt. Sollte Israel doch gerade in dieser Zeit den Menschen im Nahen Osten zeigen, dass man von Israel nur mit Verhandlungen das bekommen kann, was man will und nicht mit dem Krieg, und warten sie zwei, drei Wochen ab: die Israelis werden aus dem Gaza-Streifen abziehen und die Hamas wird zum Sieger dieses Krieges erklärt, und dann haben wir den Salat.
Durak: Ein Auszug aus einem heutigen Interview im Deutschlandfunk mit dem stellvertretenden Generaldelegierten der palästinensischen Regierung in Den Haag und Fatah-Sprecher Jamal Nazzal. – Herr Kaim, hat er Recht? Ist dies eine Art gemeinsames Spiel von Israel und Hamas?
Kaim: Ich glaube, man darf hier Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Ich glaube, es ist zutreffend zu sagen, dass die Wirkung des Konfliktes zumindest einigen Radikalen auf beiden Seiten sehr ins politische Geschäft passt. Die radikalen Palästinenser innerhalb der Hamas dürfen sich gestärkt fühlen. Die arabische Straße hat sich hinter ihnen versammelt und sie genießen die Unterstützung von Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Auf der anderen Seite dürfen sich auch diejenigen israelischen Politiker bestätigt fühlen, die sich versuchen, mit Blick auf die Wahlen am 10. Februar innenpolitisch zu profilieren – dahingehend, dass sie die Gelegenheit nutzen, als Gewährleister von Sicherheit für die israelische Bevölkerung aufzutreten. Und wir sehen das ja zum Beispiel auch an den gestiegenen Zustimmungswerten von Ehud Barak. Ob das tatsächlich aber das Kalkül gewesen ist, also das politische Ziel beider Seiten, das wage ich zu bezweifeln, denn tatsächlich stellen wir gerade fest, dass die Hamas ja genau das Gegenteil dieses Kalküls erzielt hat. Sie dürfte mittel- und langfristig militärisch eher handlungsunfähig werden und politisch geschwächt werden, und auch Israel muss erst einmal unter Beweis stellen, dass es gelingt, mit der Militäraktion den Raketenbeschuss dauerhaft zu unterbinden. Beides scheint mir zweifelhaft.
Durak: Herr Kaim, die Ohnmacht der gemäßigten Palästinenser gegenüber der doch – und das muss man immer wieder erwähnen – frei gewählten Hamas war ja deutlich erkennbar, selbst in diesem kurzen Ausschnitt aus diesem Interview. Hätte Israel denn mehr tun können und müssen, um die zu stärken, die gemäßigten, und die Hamas zu schwächen?
Kaim: In der Tat. Die Palästinenser sind ja nicht nur politisch, sondern auch territorial gespalten – mit der Fatah im Westjordan-Land und der Hamas im Gaza-Streifen. Der Fehler, den man Israel vorwerfen kann, dass es im Moment wenig getan hat, um die Zusammenarbeit mit den Moderaten, mit der Fatah so zu gestalten, dass es als ein Vorbild für israelisch-palästinensische Kooperation dienen kann. Das heißt, die Lebensbedingungen der Palästinenser, die im Westjordan-Land leben, sind nur wenig besser als die derjenigen im Gaza-Streifen. Die politische Führung im Westjordan-Land ist nur bedingt mächtiger als die politische Führung im Gaza-Streifen, und das könnte man den Israelis vorwerfen, dass sie eben einen potenziellen Partner im Friedensprozess nicht gestärkt haben.
Durak: Nun gibt es aber die Hamas. Sie ist frei gewählt, ist eine politische Kraft, eine politische Rolle spielt sie. Kann man über die Hamas bei der Lösung des Gesamtkonflikts hinweggehen, indem man sie militärisch vielleicht besiegt?
Kaim: Ich glaube, dass ein militärischer Sieg Israels erst noch unter Beweis gestellt werden muss. Ob es tatsächlich gelingt, mittel- und langfristig den Raketenbeschuss auf Israel vollständig abzustellen, das muss erst noch bewiesen werden. Ich glaube, ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass solche asymmetrischen Konflikte, wo sich ein Staat und eine nichtstaatliche Organisation gegenüberstehen, eigentlich nur mit Verhandlungen geregelt worden sind, also dass es dauerhaft nicht möglich ist, einen Verhandlungspartner auszuschließen. Das hat aber enorme Vorbedingungen. Die Hamas hat bislang das Existenzrecht Israels nicht anerkannt und hat auch dem Terrorismus nicht abgeschworen. Das werden, glaube ich, zwei Vorbedingungen sein, auf die die Hamas eingehen muss, um in den Gesprächsprozess einzutreten, und das sind in der Fußnote bemerkt ja auch die beiden Vorbedingungen, die die Europäische Union und die USA an die Hamas immer herangetragen haben.
Durak: Ist irgendjemand bei den Palästinensern aus Ihrer Sicht in der Lage, die Hamas von diesen beiden Zielen abzubringen?
Kaim: Es gibt innerhalb der Hamas und vielmehr noch in der Fatah ja moderate Palästinenser, die eigentlich die großen Verlierer des gegenwärtigen Konfliktes sind. Zurzeit sieht es nicht so aus, als würden die politisch die Oberhand gewinnen. Man muss jetzt erst mal abwarten, wie die Vermittlungsbemühungen um einen Waffenstillstand ausgehen werden. Ich glaube, deren Stunde könnte wieder schlagen, wenn ein politischer Prozess in Gang kommt, der ja einem Waffenstillstand folgen muss. Uns allen ist klar, dass der so genannte Annapolis-Prozess, über den wir vor nur einem Jahr noch gesprochen haben, faktisch gescheitert ist, und ich glaube, wir werden alle auf den Amtseinzug von Barack Obama ins Weiße Haus warten müssen, auf eine erneute Initiative der USA im Nahen Osten, und es könnte dann sein, dass die Moderaten auf beiden Seiten auf diese Initiative eingehen werden.
Durak: Warten auf Obama, der dann Präsident sein wird, warten auch auf den Ausgang der israelischen Wahlen. Wird es erst nach diesen beiden Ereignissen möglicherweise nach vielen, vielen Jahren erfolgloser Bemühungen eine Chance geben für die Lösung dieses Konflikts?
Kaim: In der Tat. Die beiden Wegmarken haben Sie genannt und die dritte Größe, die hier zu berücksichtigen ist, ist eben die palästinensische Führung. Die Amtszeit des palästinensischen Präsidenten läuft jetzt auch aus. Nach der Sicht der Hamas ist er damit nicht mehr legitimiert. Das heißt, wir stehen vor der Frage, dass wir in dem Moment zwei Interregnen haben, also sowohl in den USA als auch Israel. Wahlen stehen bevor oder ein Regierungswechsel steht bevor. Und bei den Palästinensern ist die politische Führungsfrage noch viel unklarer. Das, glaube ich, ist die entscheidende Größe. Solange diese innerhalb der palästinensischen Bevölkerung beziehungsweise der politischen Eliten nicht klar ist, der tatsächlich für die Palästinenser spricht, glaube ich, wird jede Initiative der Palästinenser dahingehend im Sande verlaufen, dass die von einer anderen Seite torpediert werden wird.
Durak: Das könnte aber auch bedeuten, Herr Kaim, abschließend gefragt, wenn Abbas weg ist und die Hamas auch dies übernimmt, dass es ganz schlimm eine große Zuspitzung gibt?
Kaim: Ob es ganz schlimm werden wird, das sei dahingestellt, aber zumindest, glaube ich, sind die Handlungsspielräume für eine politische Verhandlungslösung, die ja notwendig ist, um zu einem umfassenden und dauerhaften israelisch-palästinensischen Zwei-Staaten-Lösungsprozess zu kommen, sehr finster.
Durak: Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke, Herr Kaim, für das Gespräch.
Markus Kaim: Schönen guten Tag.
Durak: Wir haben heute Morgen hier im Deutschlandfunk den stellvertretenden Generaldelegierten der palästinensischen Regierung in Den Haag und Fatah-Sprecher Jamal Nazzal gesprochen. Israel wolle keinen Frieden in Nahost, behauptete er unter anderem, und auch dies:
O-Ton Jamal Nazzal: Dieser ganze Krieg scheint uns wie ein gemeinsames Spiel der Israelis und der Hamas, denn die Israelis, die jetzt die Tunnel mit den Bomben dicht gemacht haben, sie haben ja jahrelang ein Auge zugedrückt, während die Hamas über die Tunnel und über die Grenze Waffen geschmuggelt hat. Wir Moderaten sind in einem Käfig mit einem halb getöteten Tiger, der sich Hamas nennt. Sollte Israel doch gerade in dieser Zeit den Menschen im Nahen Osten zeigen, dass man von Israel nur mit Verhandlungen das bekommen kann, was man will und nicht mit dem Krieg, und warten sie zwei, drei Wochen ab: die Israelis werden aus dem Gaza-Streifen abziehen und die Hamas wird zum Sieger dieses Krieges erklärt, und dann haben wir den Salat.
Durak: Ein Auszug aus einem heutigen Interview im Deutschlandfunk mit dem stellvertretenden Generaldelegierten der palästinensischen Regierung in Den Haag und Fatah-Sprecher Jamal Nazzal. – Herr Kaim, hat er Recht? Ist dies eine Art gemeinsames Spiel von Israel und Hamas?
Kaim: Ich glaube, man darf hier Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Ich glaube, es ist zutreffend zu sagen, dass die Wirkung des Konfliktes zumindest einigen Radikalen auf beiden Seiten sehr ins politische Geschäft passt. Die radikalen Palästinenser innerhalb der Hamas dürfen sich gestärkt fühlen. Die arabische Straße hat sich hinter ihnen versammelt und sie genießen die Unterstützung von Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Auf der anderen Seite dürfen sich auch diejenigen israelischen Politiker bestätigt fühlen, die sich versuchen, mit Blick auf die Wahlen am 10. Februar innenpolitisch zu profilieren – dahingehend, dass sie die Gelegenheit nutzen, als Gewährleister von Sicherheit für die israelische Bevölkerung aufzutreten. Und wir sehen das ja zum Beispiel auch an den gestiegenen Zustimmungswerten von Ehud Barak. Ob das tatsächlich aber das Kalkül gewesen ist, also das politische Ziel beider Seiten, das wage ich zu bezweifeln, denn tatsächlich stellen wir gerade fest, dass die Hamas ja genau das Gegenteil dieses Kalküls erzielt hat. Sie dürfte mittel- und langfristig militärisch eher handlungsunfähig werden und politisch geschwächt werden, und auch Israel muss erst einmal unter Beweis stellen, dass es gelingt, mit der Militäraktion den Raketenbeschuss dauerhaft zu unterbinden. Beides scheint mir zweifelhaft.
Durak: Herr Kaim, die Ohnmacht der gemäßigten Palästinenser gegenüber der doch – und das muss man immer wieder erwähnen – frei gewählten Hamas war ja deutlich erkennbar, selbst in diesem kurzen Ausschnitt aus diesem Interview. Hätte Israel denn mehr tun können und müssen, um die zu stärken, die gemäßigten, und die Hamas zu schwächen?
Kaim: In der Tat. Die Palästinenser sind ja nicht nur politisch, sondern auch territorial gespalten – mit der Fatah im Westjordan-Land und der Hamas im Gaza-Streifen. Der Fehler, den man Israel vorwerfen kann, dass es im Moment wenig getan hat, um die Zusammenarbeit mit den Moderaten, mit der Fatah so zu gestalten, dass es als ein Vorbild für israelisch-palästinensische Kooperation dienen kann. Das heißt, die Lebensbedingungen der Palästinenser, die im Westjordan-Land leben, sind nur wenig besser als die derjenigen im Gaza-Streifen. Die politische Führung im Westjordan-Land ist nur bedingt mächtiger als die politische Führung im Gaza-Streifen, und das könnte man den Israelis vorwerfen, dass sie eben einen potenziellen Partner im Friedensprozess nicht gestärkt haben.
Durak: Nun gibt es aber die Hamas. Sie ist frei gewählt, ist eine politische Kraft, eine politische Rolle spielt sie. Kann man über die Hamas bei der Lösung des Gesamtkonflikts hinweggehen, indem man sie militärisch vielleicht besiegt?
Kaim: Ich glaube, dass ein militärischer Sieg Israels erst noch unter Beweis gestellt werden muss. Ob es tatsächlich gelingt, mittel- und langfristig den Raketenbeschuss auf Israel vollständig abzustellen, das muss erst noch bewiesen werden. Ich glaube, ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass solche asymmetrischen Konflikte, wo sich ein Staat und eine nichtstaatliche Organisation gegenüberstehen, eigentlich nur mit Verhandlungen geregelt worden sind, also dass es dauerhaft nicht möglich ist, einen Verhandlungspartner auszuschließen. Das hat aber enorme Vorbedingungen. Die Hamas hat bislang das Existenzrecht Israels nicht anerkannt und hat auch dem Terrorismus nicht abgeschworen. Das werden, glaube ich, zwei Vorbedingungen sein, auf die die Hamas eingehen muss, um in den Gesprächsprozess einzutreten, und das sind in der Fußnote bemerkt ja auch die beiden Vorbedingungen, die die Europäische Union und die USA an die Hamas immer herangetragen haben.
Durak: Ist irgendjemand bei den Palästinensern aus Ihrer Sicht in der Lage, die Hamas von diesen beiden Zielen abzubringen?
Kaim: Es gibt innerhalb der Hamas und vielmehr noch in der Fatah ja moderate Palästinenser, die eigentlich die großen Verlierer des gegenwärtigen Konfliktes sind. Zurzeit sieht es nicht so aus, als würden die politisch die Oberhand gewinnen. Man muss jetzt erst mal abwarten, wie die Vermittlungsbemühungen um einen Waffenstillstand ausgehen werden. Ich glaube, deren Stunde könnte wieder schlagen, wenn ein politischer Prozess in Gang kommt, der ja einem Waffenstillstand folgen muss. Uns allen ist klar, dass der so genannte Annapolis-Prozess, über den wir vor nur einem Jahr noch gesprochen haben, faktisch gescheitert ist, und ich glaube, wir werden alle auf den Amtseinzug von Barack Obama ins Weiße Haus warten müssen, auf eine erneute Initiative der USA im Nahen Osten, und es könnte dann sein, dass die Moderaten auf beiden Seiten auf diese Initiative eingehen werden.
Durak: Warten auf Obama, der dann Präsident sein wird, warten auch auf den Ausgang der israelischen Wahlen. Wird es erst nach diesen beiden Ereignissen möglicherweise nach vielen, vielen Jahren erfolgloser Bemühungen eine Chance geben für die Lösung dieses Konflikts?
Kaim: In der Tat. Die beiden Wegmarken haben Sie genannt und die dritte Größe, die hier zu berücksichtigen ist, ist eben die palästinensische Führung. Die Amtszeit des palästinensischen Präsidenten läuft jetzt auch aus. Nach der Sicht der Hamas ist er damit nicht mehr legitimiert. Das heißt, wir stehen vor der Frage, dass wir in dem Moment zwei Interregnen haben, also sowohl in den USA als auch Israel. Wahlen stehen bevor oder ein Regierungswechsel steht bevor. Und bei den Palästinensern ist die politische Führungsfrage noch viel unklarer. Das, glaube ich, ist die entscheidende Größe. Solange diese innerhalb der palästinensischen Bevölkerung beziehungsweise der politischen Eliten nicht klar ist, der tatsächlich für die Palästinenser spricht, glaube ich, wird jede Initiative der Palästinenser dahingehend im Sande verlaufen, dass die von einer anderen Seite torpediert werden wird.
Durak: Das könnte aber auch bedeuten, Herr Kaim, abschließend gefragt, wenn Abbas weg ist und die Hamas auch dies übernimmt, dass es ganz schlimm eine große Zuspitzung gibt?
Kaim: Ob es ganz schlimm werden wird, das sei dahingestellt, aber zumindest, glaube ich, sind die Handlungsspielräume für eine politische Verhandlungslösung, die ja notwendig ist, um zu einem umfassenden und dauerhaften israelisch-palästinensischen Zwei-Staaten-Lösungsprozess zu kommen, sehr finster.
Durak: Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke, Herr Kaim, für das Gespräch.