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Sicherheitsprobleme nach Brüsseler Anschlägen
"Zum Teil sind die Defizite auch politisch gewollt"

Der Sicherheitsexperte Joachim Krause geht davon aus, dass es europäischen Sicherheitsbehörden nicht an einer Zusammenarbeit mangelt. Mit dem Schengen-Informationssystem und Europol gebe es intensive Formen der Kooperation, sagte er im DLF. Es stimme aber, dass die länderübegreifenden Datenbanken einige Defizite aufwiesen und nicht ausreichend miteinander verknüpft seien.

Joachim Krause im Gespräch mit Martin Zagatta | 24.03.2016
    Ein Polizist und ein schwer bewaffneter Soldat unterhalten sich vor dem Brüsseler Hauptbahnhof am 22.03.2016.
    Ein Polizist und ein schwer bewaffneter Soldat unterhalten sich vor dem Brüsseler Hauptbahnhof am 22.03.2016. (afp / Emmanuel Dunand)
    Den Vorwurf, die Anschläge in Belgien hätten durch bessere europäische Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verhindert werden können, wies Krause zurück. Das Problem liege bei Belgien, das sich sich als Land "zu Tode föderalisiert" habe. Dadurch fühle sich in Sachen innere Sicherheit keiner mehr verantwortlich. Den Sicherheitsbehörden seien so unglaubliche Fehler unterlaufen, die die Anschläge erst ermöglicht hätten. Belgien könnte nach Griechenland am wenigsten die innere Sicherheit garantieren.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Mitgehört hat Professor Joachim Krause, Sicherheitsexperte an der Uni Kiel. Guten Tag, Herr Krause.
    Joachim Krause: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Krause, wenn wir die verantwortlichen Politiker gerade gehört haben, dann scheint ja fast festzustehen: Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene funktioniert nicht. Und wegen der Terroranschläge von Brüssel reden sie jetzt wieder darüber. Haben Sie eine Erklärung für eine solche Politik? Das klingt doch höchst fahrlässig.
    Krause: Fahrlässig ist es nicht, aber es wiederholt sich immer. Immer dann, wenn solche Anschläge waren, dann kommen die Innenminister zusammen und erklären, dass alles besser gemacht werden muss. Und es werden immer Einzelvorschläge gemacht. Fakt ist: Sie haben natürlich eine Zusammenarbeit zwischen den Behörden. Das sollte man nicht übersehen. Das wird immer fälschlicherweise hier insinuiert. Tatsächlich haben wir immerhin das Schengen-Informationssystem, wir haben Europol. Nur in beiden Systemen gibt es doch noch Probleme, ich sage mal, in der vollständigen Ausschöpfung der Möglichkeiten, die es dort gibt, und wir haben - darauf weist der Innenminister de Maizière ganz zurecht hin - sehr verschiedene Datenbanken, die nicht interoperationabel sind und die auch zum Teil nicht miteinander verknüpft werden sollen aus Datenschutzgründen.
    Zagatta: Liegt das dann auch am deutschen Datenschutz? Wir haben beispielsweise heute Morgen den EU-Politiker Elmar Brok von der CDU bei uns gehört, der sagt, Deutschland gehört zu den wenigen Staaten, die nur ungenügend Informationen beispielsweise an Europol liefern.
    Krause: Das kann ich jetzt nicht nachprüfen, ob Deutschland ungenügend Informationen an Europol liefert, weil das ist natürlich eine Sache, die man als Außenstehender so nicht nachvollziehen kann. Aber ich glaube schon, dass es da Defizite gibt. Aber zum Teil sind die Defizite auch politisch gewollt. Datenschutz ist ein ganz wesentlicher Faktor. Und wenn wir davon sprechen, dass man verschiedene Datenpools zusammenführen muss, dann ist das im Grunde genommen eine Aufhebung von Datenschutzmaßnahmen. Denn Datenschutz bedeutet, Daten eigentlich nur denjenigen zu überlassen, die unmittelbar damit was zu tun haben müssen. Ich befürchte, diese Diskussion wird sich wieder so entwickeln, dass die Innenminister Vorschläge machen und dann irgendwann die Datenschützer kommen und sagen, das kann man so und so nicht machen. Das ist mal wieder ein Hin und Her. Es sind natürlich auch technische Probleme da, aber Schengen-Informationssystem ist in den letzten zehn, 15 Jahren immer wieder verändert worden. Und bei Europol stellt sich natürlich die Frage, soll Europol zu einer operativen Einheit werden, was es nicht ist, oder weiterhin nur Informationen sammeln. Und wenn es nur Informationen sammelt, muss man ganz ehrlich sagen, wird es auch nicht so für voll genommen. Und dann wird auch die Funktion, die Europol erfüllen soll, nämlich den Austausch von Daten, relevanten Daten über Terrorismus, natürlich nicht voll erfüllt. Die Idee eines europäischen Anti-Terror-Zentrums ist gut, aber sie erfordert natürlich, dass man bis in die Änderung der europäischen Verträge gehen müsste.
    Zagatta: Jetzt stehen ja vor allem die Sicherheitsbehörden in Belgien voll in der Kritik. Ist das dann in diesem Zusammenhang sehr ungerecht, weil wir sagen müssen, auch Deutschland behindert da Aufklärung oder Vorbeugung?
    Krause: Belgische Sicherheitsbehörden haben massive Fehler gemacht
    Krause: Nein. Die belgischen Sicherheitsbehörden haben massive Fehler gemacht. Und das ist ein typisches Beispiel dafür, wenn ein Land sich zu Tode föderalisiert, und das ist in Belgien der Fall gewesen. Dieses Land ist so föderal in alle möglichen Zuständigkeiten aufgesplittert, zwischen nicht nur den Regionen, sondern auch den Sprachgruppen. In vielen Dingen fühlt sich einfach keiner mehr in Belgien verantwortlich. Was hier an Pannen passiert ist in vielfacher Hinsicht, das ist schon einzigartig in Europa. Und das zeigt auch, dass Belgien das schwächste Glied ist neben Griechenland, muss man sagen, in der europäischen inneren Sicherheit. Und da ist es vielleicht sinnvoll, auch noch mal ein bisschen darüber zu diskutieren, was in Belgien falsch gelaufen ist und was in Belgien sich ändern sollte. Denn was nützen diese ganzen europäischen Gespräche, die sich ja fast alle nur auf bestimmte Randereignisse beziehen, auf die Einreise von bestimmten Personen. Das Hauptproblem liegt in Belgien, das Hauptproblem liegt in Molenbeek und in anderen Stadtteilen und Orten Belgiens. Und da sollte man sich eigentlich ein bisschen mehr drauf konzentrieren und nicht nur über Fehler und Defizite des Informationsaustausches auf europäischer Ebene.
    Zagatta: Herr Krause, wenn die Türkei jetzt behauptet, einen der Terrorverdächtigen, einen der möglichen Attentäter von Brüssel abgeschoben zu haben nach Belgien. Und dort sei er direkt wieder freigelassen worden. Wenn so etwas mit Deutschland passiert wäre, die Abschiebung eines Terrorverdächtigen nach Deutschland, sind wir da wirklich besser aufgestellt, oder ist das jetzt Besserwisserei im Nachhinein?
    Krause: Das kommt immer darauf an, ob man im Strafrecht, im deutschen Strafrecht einen Paragrafen hat, nach dem man diese Person dingfest machen kann.
    Zagatta: Das hätte hier genauso passieren können?
    Krause: Ja. Das hängt immer davon ab, was die Natur des Vorwurfes ist. Wenn man sagt, das ist ein Terrorverdächtiger, IS-Verdächtiger, der kommt aus Deutschland, dann hätten wir den wahrscheinlich erst mal festgesetzt. Aber ich glaube, die Türken, wenn das alles so stimmt, was die türkische Regierung sagt, haben ihn ja in die Niederlande ausgeliefert. Und dort hat offensichtlich keiner was mit ihm anfangen können und dann lässt man den frei. Gut, das könnte auf ein Informationsdefizit hinweisen, kann aber auch darauf hinweisen, dass vielleicht die Türken nicht so genau wussten, was sie mit dem machen sollen. Ich würde immer vorsichtig sein, aus solchen einzelnen Fällen größere Schlussfolgerungen zu ziehen.
    Zagatta: Die Belgier haben ja jetzt immerhin ganz schnell Videoaufnahmen der mutmaßlichen Attentäter veröffentlicht. In Deutschland gibt es noch ziemliche Widerstände gegen das Aufstellen von solchen Kameras. Oder sie funktionieren nicht wie damals, als man nach dem Kofferbomber in Bonn gesucht hat. Ist das ein Problem?
    Krause: Ja. Ich finde, es ist ein großes Problem. Dieser Widerstand gegen das Aufstellen von Videokameras in öffentlichen Räumen ist für mich nicht nachvollziehbar. Es ist ein ganz wesentliches Element in gewisser Weise der Abschreckung vor Taten, aber zumindest der Aufklärung von Taten. Und wenn Sie Taten aufklären können, dann können Sie auch weitere Taten damit verhindern. Mir ist nicht erkennbar, wo jetzt der individuelle Schutz liegen soll bei Videokameras, die sich nach einigen Stunden ohnehin wieder löschen. Aber die wichtig wären für den Zeitpunkt eines Anschlages, um nachzuschauen, wer hat sich dort eigentlich umgetrieben.
    Zagatta: Wenn andere Länder zumindest in diesem Punkt sicherheitstechnisch besser aufgestellt sind, Spanien, Großbritannien, Belgien, Frankreich, alles Länder, die von solchen Anschlägen schon getroffen wurden, hat Deutschland da eigentlich Glück, dass bei uns so etwas noch nicht passiert ist? Oder sind unsere Sicherheitsbehörden national tatsächlich besser aufgestellt?
    Krause: Hier besser aufgestellt als in Belgien
    Krause: Unsere Sicherheitsbehörden sind nicht schlecht aufgestellt. Wir haben das Terror-Abwehrzentrum, wir haben einen ganz guten Informationsfluss innerhalb Deutschlands. Ich denke, bei uns wird das schon mit sehr großem Ernst betrieben. Und das hat, unter anderem gemischt mit einer großen Menge Glück, muss man auch sagen, dazu geführt, dass wir bisher solche Anschläge nicht hatten. Aber der Schwerpunkt liegt auf dem Wort bisher. Es kann immer passieren, dass es auch bei uns solche Vorfälle gibt. Aber ich denke mal, wir sind besser aufgestellt als Belgien hier.
    Zagatta: Da gibt es jetzt in Deutschland auch Ängste, dass man mit hunderttausend Flüchtlingen sich auch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko ins Land holt oder geholt hat. Kann man das von der Hand weisen?
    Krause: Man muss vorsichtig sein. Es sind ja nicht die Flüchtlinge, die Terrorverdächtige sind, sondern es ist offenbar so, dass Terroristen sich unter Flüchtlinge gemischt haben. Und das ist ja nun ein ganz großer Unterschied.
    Zagatta: ... , die aber getarnt mit ihnen einreisen.
    Krause: Ja, mit ihnen eingereist sind. Und es hätte mich gewundert, wenn der Islamische Staat das nicht gemacht hätte, denn es ist natürlich eine fantastische Gelegenheit, das Schengen-System zu überwinden, indem man einfach mit diesen Personen einreist. Dann ist man da und ist praktisch nicht mehr zu fassen. Wie groß dieser Einfluss von Personen war, weiß man nicht, aber es dürften doch eine ganze Menge gewesen sein, Dutzende, wenn nicht noch mehr. Man geht heute davon aus, dass es ungefähr 500 bis 600 solche Personen allein in Deutschland geben sollte. Und in Europa mehrere Tausend. Die nicht immer alle mit den Flüchtlingen gekommen sind, auch auf anderen Wegen gekommen sind. Es gibt doch eine Menge Wege, um auch heimlich nach Europa reinzukommen. Und das ist natürlich ein Potenzial, welches gewaltig ist.
    Zagatta: Professor Joachim Krause, Sicherheitsexperte an der Universität von Kiel. Herr Krause, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Krause: Gern geschehen! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.