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"Sie dürfen ihre Gefühle äußern"

Es sei das gemeinsame Gespräch miteinander, durch das unter Schülern ein Grundstein zur Bekämpfung von Mobbing gelegt werde, sagt Marcel Petrowski. An einer Schule auf Fehmarn hat der Sozialarbeiter eine Projektwoche zum Thema Mobbing durchgeführt.

Marcel Petrowski im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.12.2009
    Christoph Heinemann: Auf der Insel Fehmarn befindet sich eine Gemeinschaftsschule, in der für ganz Schleswig-Holstein ausprobiert wird, wie man Kinder vor Mobbing schützen kann. Mobbing oder Mobben kommt vom englischen "to mobb", bedeutet anpöbeln, angreifen, bedrängen, über jemanden herfallen, und das beschreibt eben Formen des sozialen Ausgrenzens. Man könnte auch hinzufügen schikanieren, quälen, seelisch verletzen. Das trifft statistisch jeden sechsten Schüler. An der Inselschule Fehmarn wird Schülerinnen und Schülern der Klassen fünf bis sieben gezeigt, wie sie sich dagegen zur Wehr setzen können, oder es erst gar nicht so weit kommen lassen. Die elf Jahre alte Seline erzählt, was sie mitbekommen hat.

    O-Ton Seline: Die Bilder, die wir gesehen haben und so, die waren schon ziemlich heftig, zum Beispiel jemanden, der zusammengeschlagen wurde oder dessen Ranzen weggenommen wurde und hin- und hergeschmissen, und er stand da und andere Kinder saßen da und haben sich schrott gelacht.

    Heinemann: Am Telefon ist der Sozialarbeiter Marcel Petrowski, der dieses Projekt mitleitet. Guten Morgen!

    Marcel Petrowski: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Petrowski, was lernen die Schülerinnen und Schüler in Ihren Kursen?

    Petrowski: Sie lernen, sich zu artikulieren, ihre Gefühle auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu äußern und die im Zusammenhang mit Mobbing, mit Ausgrenzung natürlich dann in einer ganz gewissen Form auch darzulegen, vor der Klasse, vor den Lehrern und vor den Mitschülern, die es betrifft.

    Heinemann: In Rollenspielen?

    Petrowski: Teilweise wird das halt in Spielen symbolisiert, aber es ist sozusagen das Medium gewesen, wie wir versucht haben, den Schülern zu präsentieren und mit ihnen einzuüben, wie man sich bemerkbar macht, wenn man betroffen ist, oder wenn man es beobachtet hat, das Mobbing.

    Heinemann: Und wie reagieren zum Beispiel Fünftklässler?

    Petrowski: In der Form, dass sie natürlich erst mal Vorbehalte haben, ihre eigenen Gefühle zu äußern. Man muss ihnen auch ein Forum bieten, wo man ihnen das Gefühl vermittelt, sie dürfen ihre Gefühle äußern. Es wird jeder gewertschätzt und kein Gefühl ist es wert, es auszulachen oder es gering zu schätzen. Mit diesem Gefühl im Hintergrund sozusagen versuchen wir, die Schüler dazu zu bewegen, ihre Meinung zu äußern, Feedback zu geben zu dem Verhalten von anderen, aber auch zu ihrem eigenen Verhalten, Kritik einzustecken.

    Heinemann: Mit welchen Formen des Mobbings haben Sie es besonders häufig zu tun?

    Petrowski: Stetige Beleidigung oder auch Ignorieren, aber auch Sachen wegnehmen oder sie vielleicht sogar beschädigen, oder so eine Art Stimmung zu machen von denjenigen innerhalb einer Klasse gegen einzelne.

    Heinemann: Was raten Sie Kindern und Jugendlichen, wie sollen sie sich verhalten, wenn sie geschnitten, ausgegrenzt oder körperlich oder psychisch fertig gemacht werden?

    Petrowski: Ich rate ihnen, sofort jemanden aufzusuchen, weil es ist keine Aufgabe eines einzelnen, mit diesem Problem fertig zu werden. Es ist immer die Aufgabe des Kollektivs, der gesamten Gruppe, diesem Phänomen entgegenzutreten. Sich jemandem anzuschließen, jemanden zu finden, der sich für einen einsetzt, der gemeinsam mit einem versucht, die Probleme, die einen beschäftigen, zu lösen, das ist das, was ich den Schülern raten würde.

    Heinemann: Und wenn in der Schule oder zu Hause keiner da ist, der zuhört?

    Petrowski: Dann sollte man sich seinen Freunden anschließen, seinen Freunden erzählen, wie es einem geht, um dann mit ihnen gemeinsam zum Beispiel den Weg zum Lehrer zu finden.

    Heinemann: Herr Petrowski, Lehrerinnen und Lehrer müssen in deutschen Klassenräumen nicht selten 32, 35 Kinder oder mehr unterrichten oder teilweise auch bändigen. Haben diese Lehrerinnen und Lehrer die Kraft, sind sie darauf vorbereitet, Mobbing-Opfern zu helfen?

    Petrowski: Sie sind auf jeden Fall, sage ich jetzt mal, innerhalb dieser Projektwoche auch geschult worden, sich mit ihren Blicken und ihren Ohren zielgerichteter zu orientieren, und auch mit einer Handlungsstrategie bei Vorfällen mit ausgerüstet worden, um darauf einzugehen. Das heißt, Möglichkeiten wie der Klassenrat, also einer Institution eines Schulunterrichts, in dem sich halt teilweise selbst organisiert die Schüler anhand eines Reglements über Dinge unterhalten; da ist es dann eben das Forum, um solche Sachen anzusprechen, und Lehrer moderieren eben auch oftmals dann solche Gespräche, gerade über Ausgrenzung, Mobbing, Gefühle und Feedback. Das heißt, wie gefällt mir dein Verhalten und was gefällt mir nicht.

    Heinemann: Und das funktioniert?

    Petrowski: Es ist ein Trainingsprogramm. Es baut darauf auf, dass man Erfahrungen macht, die immer weiter fortgesetzt werden. Man kann sozusagen nicht davon sprechen, dass eine Woche ein Problem löst, sondern es bietet den Baustein, auf dem man immer weiter aufbauen kann.

    Heinemann: Das heißt, auch in den folgenden Klassen sollte das wiederholt werden?

    Petrowski: Genau. Es ist eigentlich eine Verpflichtung, es immer wieder stetig hervorzuholen, um es wieder zu thematisieren, weil es dadurch nicht weg ist.

    Heinemann: Herr Petrowski, gibt es typische Täter und typische Mobbing-Opfer?

    Petrowski: Das Phänomen ist eher folgendermaßen, dass selbst jemand, der es erfahren hat, das Opfer zu sein, auch zum Täter wird. Das heißt, dass sich das auch umdreht. Es ist in vielen Fällen auch so zu beobachten, dass jemand, der über eine längere Zeit Opfer war, die Gelegenheit sozusagen, wenn er sie dann bekommt, auch nutzt, selber Täter zu werden. Da gilt es halt, eine Aufklärung zu betreiben, weil es ein Umgehen mit Gefühlen ist, mit Ungerechtigkeitsempfinden, mit einer Scham, mit einer Demütigung, die immer auch wiederum die andere Extreme sucht. Das heißt, habe ich selber Demütigung erfahren, müsste ich jetzt sozusagen für mich selbst, um damit klar zu kommen, selber jemanden demütigen, als Racheakt in dem Sinne. Das heißt also, es gibt da keine klassischen Kinderkonstellationen.

    Heinemann: Prügeleien sind schlimm, die Verletzungen können aber wieder heilen. Aber wenn Bilder der Erniedrigung per Mobiltelefon verschickt oder ins Internet gestellt werden, dann kann man die nie wieder löschen. Wie kann man jungen Menschen, Opfern helfen, damit umzugehen?

    Petrowski: Dieses Cybermobbing oder auch dieses mit dem Handy diese Gewaltbilder zu versenden und dadurch auch Eindruck zu schinden, dem ist erst mal zu begegnen, dass diejenigen sich äußern und das auch nach vorne bringen, das heißt so in die Öffentlichkeit setzen, dass da etwas passiert, was nicht in Ordnung ist. Einiges ist im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich zu finden. Das heißt, es gibt dann einen Entschuldigungsmechanismus über einen Täter-Opfer-Ausgleich, indem eine Entschuldigung mit einer Geste verbunden wird, die dem Opfer sozusagen dann eine Art der Genugtuung, der Gerechtigkeit vermittelt. Aber natürlich gibt es da auch extreme Umstände, die dann in der Justiz ihre Klärung finden.

    Heinemann: Müsste man nicht schon in der Grundschule eine solche Schulung anbieten?

    Petrowski: Ja, das sollte man. Man sollte schon früh Kinder sensibilisieren über die Werte des miteinander Umgehens. Der Umstand, dass es, sage ich mal, sich in der Grundschule bereits teilweise in Rollen verfestigt, wo Kinder sozusagen schon aufgrund des Beobachtens oder des eigenen Erfahrens eine ganz bestimmte Rolle erlernen, erschwert den Umgang mit diesen Kindern in den Jahrgängen fünf und weiter aufwärts, weil es eben schon eine Prägung ist, die da stattfindet, im Umgang mit persönlichem Stress, mit Emotionen, und da gilt es sehr früh anzusetzen, um diesen Umstand zu vermitteln, dass man über Gefühle reden sollte und versucht, über das Gespräch auch eine Klärung zu finden. Das sollte möglichst früh angewandt werden.

    Heinemann: Der Sozialarbeiter Marcel Petrowski. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Petrowski: Auf Wiederhören.

    Heinemann: Unter der Internet-Adresse www.inselschule-fehmarn.de finden Sie weitere Informationen zu diesem Thema.